Der Gastkommentar

SW-Dinosaurier existieren auf Kosten der Wettbewerbsfaehigkeit

14.05.1993

Nach der Markteinfuehrung des PCs - oder besser des Arbeitsplatz- Computers - hat dessen Akzeptanz eine Lawine von technologischen Innovationen ausgeloest. Dem Benutzer steht heute sehr leistungsfaehige Hard- und Software zur Verfuegung. Nun hat die Nutzung dieser Technologien in vielen Bereichen zu einer erheblichen Steigerung der individuellen Produktivitaet gefuehrt. Manch ein Produkt wie etwa Lotus 1-2-3 hat die Arbeitstechniken in seinem Anwendungsgebiet sogar nachhaltig gepraegt.

Vielleicht noch wichtiger als die individuelle Produktivitaetssteigerung ist jedoch die Unterstuetzung grosser organisatorischer Einheiten. Die Menschen arbeiten ja nicht isoliert, sondern mit anderen Menschen zusammen. Das ist wesentlich durch die Aufgabenstellungen in modernen Organisationen bedingt: Sobald ganzheitliche oder dezentrale Loesungen gefragt sind, hilft es, das Fachwissen mehrerer Personen hinzuzuziehen. Die Bildung von Teams, also kleinen organisatorischen Einheiten, erweist sich als Notwendigkeit. Zudem ist die motivations- und damit produktivitaetssteigernde Wirkung der Teamarbeit hinreichend untersucht und bewiesen worden.

Dass diese Organisationsform Hard- und Software-Unterstuetzung erfordert, haben die Anwender erkannt. Der Versuch der Anbieterseite, diesem Bedarf sofort zu entsprechen, fuehrte jedoch zu einem Wildwuchs auf dem Markt fuer PC-Netze.

Eine Diskussion ueber die eigentlichen Beduerfnisse, und inwieweit PC-Netze ueberhaupt Loesungen bieten koennen, fand zunaechst nicht statt. Viele Organisationen nehmen deshalb nach wie vor mit halbherzigen Loesungen vorlieb.

Client-Server-Systeme werden in diesem Zusammenhang als neue Zauberformel gehandelt. Jedoch muss schon der Begriff kritisch hinterfragt werden. Die Definition, dass Kunden und Diener zusammenarbeiten sollen, bedeutet noch gar nichts. Die blosse Abkehr vom klassischen Master-slave-Verhaeltnis kann die erforderlichen Loesungen nicht bringen. Mit begrifflichen Unschaerfen werden einfache Patentrezepte vorgegaukelt. Die tatsaechlichen Anforderungen sind viel komplexer, als die Anbieter teilweise suggerieren. Es sind kooperative Konzepte gefragt, die sich in kein Schwarzweiss-Schema pressen lassen.

Sinnvoll sind Client-Server-Systeme erst dann, wenn tatsaechlich alle Ressourcen im System am Netz angeschlossen sind und sich zuverlaessig nutzen lassen. Nur mit 3270-Emulationen, Drucker- Spoolern und Netz-Dateisystemen laesst sich dies allerdings nicht erreichen.

Der eigentliche Kern des Problems wird von solchen Massnahmen nicht beruehrt, naemlich wie Menschen innerhalb einer Organisation miteinander und nicht isoliert voneinander arbeiten koennen.

Der PC als Einzelplatz-Rechner steht nicht laenger im Mittelpunkt der Betrachtung. Er sollte als Hilfsmittel angesehen werden, das sich mit seinen Leistungen in das Gesamtsystem einbindet. Nur so kann er letztendlich fuer die gesamte Organisation und nicht nur fuer das Individuum hilfreich sein.

Ein Client-Server-System darf somit nicht als Addition nahezu isolierter Einheiten von Hard- und Software begriffen werden. Vielmehr ist es als ein verteiltes System zu verstehen, bei dem die Server als diensterbringende Komponente und die Clients als dienstanfordernde Teile lediglich logische Elemente darstellen, die sich frei auf der Hardware verteilen lassen. Dabei sorgt die Transparenz des Netzes dafuer, dass die physikalische Herkunft der Applikationen oder Daten fuer den Benutzer nicht von Bedeutung ist. Erst bei Betrachtung dieses Gesamtsystems laesst sich dann kritisch hinterfragen, ob mit der Auswahl an Hard- und Software die unternehmensspezifischen Aufgaben geloest werden und ob die Konstellation die Organisationsstrukturen wirklich unterstuetzt.

Ein integrationsfaehiges Gesamtsystem bietet Gestaltungsmoeglichkeiten, die sich fuer eine Organisation als wettbewerbsentscheidend erweisen koennen. Der vielbeklagten Informationsflut, der sich heute schon Sachbearbeiter ausgesetzt sehen, ist auf Dauer nur mit einem effektiven Informations- Management beizukommen. Ein Client-Server-System, das letztlich nur Verbindungen zwischen Einzel-Arbeitsplaetzen herstellt, unterstuetzt allenfalls, dass sich jeder Mitarbeiter in seinen eigenen Informationsfriedhof vergraebt.

Mit dem technischen Standard, wie er zu Beginn der PC-Aera zur Verfuegung stand, waeren integrierte Soft- und Hardwaresysteme nicht zu realisieren gewesen, dies sei zur Verteidigung der Kunden wie auch der Anbieter gesagt. Inzwischen stehen aber die technischen Voraussetzungen zur Verfuegung. Die Rechnerleistungen erlauben heutzutage die Einbindung leistungsfaehiger Applikationen, die es vor ein paar Jahren schlichtweg noch nicht gab. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Anwendbarkeit von Posix- Funktionalitaeten auf PCs. Dieser Trend zeigt sich deutlich bei den neuen Betriebssystemen wie OS/2, Windows NT oder Apple, System 7, die sich klar am Posix-Vorbild orientieren.

In bezug auf die Anwendungssoftware koennen dies leider weder alle Hersteller noch alle Anwender fuer sich in Anspruch nehmen. Zu viele Organisationen vertrauen noch ihrer bewaehrten Software, die sicherlich jahrelang alle Erwartungen befriedigt hat. Aber wird sie auch in Zukunft ihre Aufgabe erfuellen koennen? Dem Client- Server-Anspruch genuegen diese Programme sicherlich nicht. Es ist fuer die Anwender an der Zeit, ihre Softwareloesungen gut zu ueberdenken. Wer zu lange an seinen Softwaredinosauriern haengt, macht dies am Ende auf Kosten seiner Wettbewerbsfaehigkeit.