Netzwerker raeumen Fehler ein und wollen bessere Systemintegration

Suns Java soll Novell den Weg in die Internet-Zukunft sichern

29.03.1996

Mit frenetischem Beifall nahmen die Zuhoerer auf der zwoelften Brainshare in Salt Lake City die Yes-Internet-Botschaft auf, die Novells CEO Robert Frankenberg verkuendet hatte. Fuer den europaeischen Beobachter erschloss sich allerdings nicht, ob der Applaus der treuen Netware-Fangemeinde dem Ja zum Internet galt oder das Publikum nur die Tatsache wuerdigte, dass die Netware- Company nach der langen Durststrecke des "No Appware, No Groupware, No Unixware, No Application Server" endlich einmal wieder positive Signale setzte.

Nachdem sich die Netzwerker erst im September mit Unixware aus dem Applikations-Server-Business verabschiedet hatten, durfte in Salt Lake City Netware die Wiedergeburt als Server-Plattform fuer Anwendungen feiern. Zwar, wie Frankenberg einraeumte, nicht als "General Purpose Application Server", sondern als Server fuer spezielle Aufgaben, der in seinen jeweiligen Spezialgebieten den Erzrivalen Windows NT Server weit hinter sich lasse. Ihren Performance-Vorsprung demonstrierten die Netzwerker anhand ihres "Netware Web-Server", der, glaubt man den Firmenangaben, mit einem Prozessor schneller ist als Microsofts NT-basierter "Internet Information Server" mit vier CPUs.

Erstaunlich angesichts bisheriger Novell-Politik war, wie locker Bob Frankenberg das bis vor kurzem als Unwort geltende "NT" ueber die Lippen ging. So ist die Company mittlerweile auch bereit, Integrations-Tools fuer die Einbindung von Microsofts NT-Plattform in Netware-Netze anzubieten. So soll es zu Weihnachten quasi als Belohnung fuer die treue Netware-Gemeinde eine NDS-Version geben, die auf Windows NT im Native Mode laeuft. Auf den lange ersehnten Netware-Client fuer Windows NT muessen die Anwender allerdings noch bis 1997 warten. Steve Markman, Novells Nummer zwei, bedauerte den spaeten Termin: "Wir haetten den Client lieber schneller fertig, doch dann muessten wir Ressourcen aus anderen wichtigen Projekten abziehen."

Insgesamt scheint sich Novell damit abgefunden zu haben, dass NT als Application Server gegenueber Netware einen Vorsprung hat. "Solange deswegen Netware bei den Usern nicht abgeloest wird, beunruhigt mich das nicht", so Unternehmenschef Frankenberg. Zudem gehoert NT wie Unixware nach Ansicht des Firmenchefs zu den AnwendungsServern der Vergangenheit.

Allerdings scheint die Gelassenheit nur aufgesetzt zu sein. Fieberhaft suchten die Netzwerker naemlich nach einer Applikations- Server-Plattform der naechsten Generation, die ihrem um die NDS erweiterten File- und Print-Netzwerk-Betriebssystem das Ueberleben sichern soll. Eine solche Plattform scheint das Unternehmen mittlerweile in der "Virtual Java Machine" gefunden zu haben. Als erste Company nimmt damit Novell Suns Interpreter-Sprache als Server-Plattform in Lizenz (vgl. CW Nr. 12 vom 22. Maerz 1996, Seite 1). Ueberschwenglich hebt man diese bereits in den Rang des "Applikations-Servers der naechsten Generation". Ebenso euphorisch war die Reaktion von Suns Chief Technology Officer Eric Schmidt, der die Lizenznahme der "Programmiersprache des 21. Jahrhunderts" begruesste. Gerade fuer eine Networking-Company wie Novell sei dies die richtige Wahl, "da Java die erste plattformuebergreifende, netztaugliche Programmiersprache sei, bei der selbst die Bugs kompatibel sind", so Schmidt weiter.

Novell fuehlt sich als die Internet-Company

Mittlerweile fuehlen sich die Netzwerker dank ihrem TCP/IP-Paket "LAN Workplace", das frueher im Novell-Marketing nur eine Nebenrolle spielte, als die aelteste und einzige Internet-Company. Neben Sun mit seiner Java-Technologie erhaelt Novell bei der Verwirklichung seiner Internet-Plaene Schuetzenhilfe von der Open Market Inc. (OM). Das aus Cambridge stammende Unternehmen soll Novell kuenftig ermoeglichen, mit "OM-Secure Link" ebenfalls in Sachen Electronic Commerce ueber das Internet eine wichtige Rolle zu spielen. Die Kombination aus den drei Elementen Java, Open Market und der NDS von Netware mit ihren Sicherheitsfunktionen, stellt fuer Novell die Internet-Plattform par excellence dar.

Zumindest in einem Punkt haben die Netzwerker aus Orem (Utah), die sich trotz IPX und anderen eigenen Technologien, ploetzlich als Internet-Foerderer feiern, den Sinn fuer die Realitaet behalten: Auch sie sehen den groessten IP-Wachstumsmarkt in den Intranets.

Vor dem Hintergrund des erwarteten Internet- beziehungsweise Intranet-Booms sieht CEO Frankenberg eine signifikante Verlagerung der Einnahmen auf sein Unternehmen zukommen. Waehrend Netware heute noch mit rund zwei Dritteln des Gesamtumsatzes die Cash-cow der Company ist, wird der Anteil des Netz-Betriebssystems an den Einnahmen laut Frankenberg in den naechsten Jahren auf 40 Prozent schrumpfen. Dagegen sollen die Connectivity-Produkte, die heute 20 Prozent der Erloese einbringen, deutlich staerker zum Ertrag des Konzerns beitragen. Offen liess der CEO allerdings, ob in diesem Szenario NEST oder die Netware Connect Services die Umsatzrenner der Zukunft sind. Zumindest in Sachen Groupwise ist sich der Firmenlenker sicher: Der Anteil des Groupware-Produkts am Firmenumsatz soll sich von fuenf auf zehn Prozent verdoppeln.

Doch bei aller Internet-Euphorie ist den Novell-Verantwortlichen auch klar, dass ihre vordringliche Aufgabe darin besteht, ihre Netware-Plattform einerseits zu oeffnen, andererseits den Entwicklern endlich Werkzeuge zu geben, die die Verwaltung der Netware-Umgebung auf das Niveau eines Windows NT heben.

Diese Funktion soll die bereits im September letzten Jahres in Atlanta vorgestellte Entwicklungsplattform Net 2000 uebernehmen, die einen universellen Netzzugang unabhaengig vom gewaehlten Betriebssystem gewaehrleisten soll. In Salt Lake City bekannten sich die Netzwerker jetzt dazu, Net 2000 um gaengige Scriptsprachen wie Visual Basic oder Netbasic zu erweitern. In dieser Kombination soll Net 2000 Entwickler und Netzadministratoren in die Lage versetzen, Netware-Applikationen sowie NLMs auf einfache Weise mit Hilfe der Skriptsprachen zu schreiben. Zudem soll der Netzverantwortliche damit Utilities entwickeln und ueber das Netz, einschliesslich des Internet, verwalten koennen.

Auf diese Art lassen sich relativ schnell grafische Applikationen und NLMs erstellen. Beispielsweise ist es so moeglich, die Auslastung eines Netware-Servers zu ueberwachen und, falls ein Grenzwert ueberschritten wird, via NLM einen Pager, ein Fax oder ein E-Mail-System ansteuern, das den Administrator benachrichtigt. Ebenso sind Einsatzgebiete denkbar, wo ein Basic-Script Datenbankabfragen ausfuehrt.

Neben den diversen Basic-Plattformen hat Novell Net 2000 durch eine Lizenz der "Network Management Extension" (NMX) der Hitec Soft Corp. erweitert. Diese Ergaenzung soll die Scriptverwaltung und -ausfuehrung ueber das Netz automatisieren. So koennen Netzverwalter mit NMX beispielsweise anwenderspezifische Umgebungen definieren, die bereits bestehende NMLs nutzen und fuer den User freigeben. Ausserdem erlaube das Tool die Automatisierung spezieller Netzwerkaufgaben wie der Server- Ueberwachung oder das virtuelle Laden und Entladen von NLMs, um so die Performance und die Ressourcen eines Servers zu erhoehen. In Verbindung mit Novells Web-Server bietet sich Net 2000 darueber hinaus als Server- Entwicklungsplattform fuer das Internet an.

Anwender, die nicht bereits auf der Brainshare 96 in Salt Lake City die entsprechende "Jumpstart CD-ROM" fuer Net 2000 erhalten haben, koennen weitere Informationen ueber Novells WWW-Site unter der Adresse http://developer.novell.com/net2000 beziehen.

Waehrend die Company in Sachen Internet und Net 2000 ein detailliertes Zukunftsszenario entwarf, flossen Informationen zu NEST eher spaerlich. Besonders enttaeuscht wurden Europaeer, die auf diese Technologie hoffen, um der Telekom mit Hilfe der Stromerzeuger ab 1998 auf der sprichwoertlichen "Last Mile" zu Telefonkunden ein Schnippchen schlagen zu koennen.

Die Netzwerker denken naemlich vorerst nicht daran, ihre auf NEST beruhende Powerline-Technologie auf den deutschen Markt zu bringen. Vielmehr soll die vielversprechende Netztechnologie, die die Ausweitung der LANs auf Stromleitungen erlaubt, ab Mitte 1997 erst einmal dazu dienen, die elektrischen Geraete in amerikanischen Haushalten fernzusteuern.

Nach der NEST-Entaeuschung war der europaeische Besucher auch nicht weiter ueberrascht, ueber die naechste Netware-Generation "Green River" nichts Konkretes zu erfahren. Die Informationen zu den Produkt-Features in Salt Lake City reichten kaum ueber das hinaus, was ein handverlesenes Publikum bereits auf der CeBIT in Deutschland zu sehen bekommen hatte (vgl. CW Nr. 12 am 22. Maerz 1996, Seite 12).