"Stabilitaet der Plattform zu gering" Tester: Windows NT zeigt Client- und Server-Macken Von CW-Mitarbeiter Alexander Deindl

20.08.1993

ST. GEORGEN/SAN MATEO - Microsoft-Mogul Bill Gates koennte mit seinem selbstgesteckten Ziel, innerhalb eines Jahres ueber eine Million NT-Lizenzen zu verkaufen, Schwierigkeiten bekommen. Jedenfalls klagen Anwender ueber ein "instabiles, leistungsschwaches und wenig gefragtes" Server-Betriebssystem sowie unzureichende Client-Funktionen.

"Wir halten es derzeit fuer unzumutbar, Software auf NT-Basis einzusetzen, da die Stabilitaet der Betriebssystem-Plattform im Moment schlichtweg zu gering ist", gibt Ulrich Dietz, Geschaeftsfuehrer der Gesellschaft fuer Technologietransfer (GFT) aus St. Georgen im Schwarzwald zu bedenken.

Der Chef der auf dezentrale Hardware und objektorientierte Software spezialisierten GFT hat dem NT-Engagement seines Unternehmens zunaechst einen Riegel vorgeschoben. So sei eine Implementierung der firmeneigenen Entwicklungsumgebung "Grit plus" fuer das 32-Bit-Betriebssystem zwar abgeschlossen, eine Auslieferung kaeme jedoch erst dann in Frage, wenn sich Windows NT etabliert habe.

Ein weiterer Grund, weshalb Windows NT bei Dietz "auf der Prioritaetenliste weit nach unten gerutscht ist", sei das noch aeusserst geringe Interesse der Anwender an NT-Applikationen. Nach Angaben der GFT ergab eine stichprobenartig durchgefuehrte Kundenumfrage, dass lediglich 15 Prozent aller angesprochenen Benutzer den Einsatz von Windows NT ueberhaupt in Erwaegung ziehen. Ganze drei Prozent wollten hingegen noch in diesem Jahr eine Probeinstallation des Betriebssystems vornehmen.

Ein gebranntes Kind ist die GFT offensichtlich schon jetzt: "Wir hatten uns durch ein fruehzeitiges NT-Engagement signifikante Wettbewerbsvorteile ausgerechnet, die die derzeitige Marktnachfrage jedoch nicht hergibt", beklagt sich Geschaeftsfuehrer Dietz.

Unzureichende Funktionalitaet im Client-Bereich bemaengelt unterdessen die amerikanische CW-Schwesterpublikation "Infoworld". Neben zwingenden Hardware-Anforderungen wie 70 MB Festplattenkapazitaet und 12 MB Hauptspeicher sei der Einsatz von Windows NT zusammen mit bestehenden 16-Bit-Windows- oder DOS- Applikationen unzumutbar.

Realitaetsnahe Tests haetten ergeben, dass verschiedene Arbeitsschritte, die innerhalb von "Powerpoint", "Excel" und "Wordperfect fuer Windows" durchgefuehrt wurden, rund 75 Prozent langsamer bewaeltigt werden konnten als unter Windows 3.1. In Kombination mit der Version 2.1 von OS/2 hingegen haette der Geschwindigkeitsverlust zu Windows 3.1 bei gleichen Anforderungen etwa elf Prozent betragen.

Auch habe OS/2 im Vergleich mit Windows NT bei der Speicherverwaltung die Nase vorn. So stelle das IBM-Betriebssystem dem Anwender mehr freies EMS-, XMS- und DPMI-Memory zur Verfuegung als sein Microsoft-Kontrahent. Die Leistungstests wurden Infoworld zufolge auf einem 486-DX2-Intel-Rechner mit 66 Megahertz und 16 MB RAM durchgefuehrt.

Windows NT befindet sich laut Infoworld derzeit in einem Teufelskreis: Der Einsatz des Betriebssystems ohne die passenden 32-Bit-Applikationen sei kaum sinnvoll. Andererseits jedoch lasse die Nachfrage fuer Windows-NT-Programme momentan noch sehr zu wuenschen uebrig.