Standardsoftware/Flexibilität durch Objektorientierung

Softwaremonolithen haben morgen keine Chance mehr

11.10.1996

Erfolgreiche Unternehmen gestalten ihre Organisation schlank und flexibel. Sie werden sich zunehmend zu virtuellen Betrieben weiterentwickeln, die Bereiche auslagern und strategische Partnerschaften in neuen Geschäftsfeldern eingehen. Dadurch ergeben sich komplexe Geschäftsprozesse, die in geeigneten DV- Strukturen abgebildet werden müssen.

Um eine rasche und flexible Anpassung an neue Geschäftsprozesse zu gewährleisten, muß eine betriebswirtschaftliche Standardsoftware auf moderner Client-Server-Technologie aufsetzen. Diese Erkenntnis ist sicherlich nicht neu, und viele Softwarehäuser haben sie in den letzten Jahren auch berücksichtigt.

Vergleicht man jedoch verschiedene Softwarepakete, werden erhebliche technologische Unterschiede sichtbar. Am deutlichsten läßt sich dies bei der Einführung einiger Systeme erkennen. Sie verlangen zusätzliche leistungsstärkere Hardware und folglich ein höheres Investitionsvolumen.

Die Unternehmen sind in den letzten Jahren bezüglich Kostenfragen sensibler geworden. Sie verlangen nach flexiblen und sehr leistungsstarken Lösungen. Unbewegliche DV-Kolosse, die aufgrund ihrer starren Programmierung enorme Hardwareressourcen beanspruchen und so die Investitionskosten in die Höhe treiben, sind nicht mehr gefragt.

Heute erobern komplexe betriebswirtschaftliche Lösungen, die auf einem echten Zwei-Ebenen-Client-Server-Konzept aufsetzen, den Markt. Dabei kann die Anwendung wahlweise auf einem Server oder komplett auf dem Client ablaufen. Der Vorteil ist, daß so die ohnehin vorhandene Intelligenz der Workstation voll ausgenutzt wird und der normalerweise zusätzlich notwendige Applikations- Server entfallen kann. Die Folge sind geringere Investitionskosten und eine höhere Flexibilität bei der Erweiterung des Netzwerks.

Aber auch eine offene Systemarchitektur und der damit verbundene Investitionsschutz sind bei der Auswahl einer integrierten Standardsoftware zunehmend ein K.-o.-Kriterium. Nur zu häufig mußten DV-Leiter in der Vergangenheit die schmerzliche Erfahrung machen, daß sie bei der Auswahl einer Standardsoftware den Weg einer technologischen Sackgasse eingeschlagen hatten.

Gerade in der DV-Branche, in der sich Entwicklungen und Standards extrem rasant ändern, sichert eine zukunftsorientierte DV- Strategie nicht zuletzt den eigenen Arbeitsplatz. Beispielsweise würden viele Unternehmen heute aufgrund der überzeugenden Performance und der einfachen Bedienbarkeit von Windows NT von ihrer Unix-Umgebung gern auf eine einheitliche Microsoft-Umgebung migrieren. Man scheut diesen Schritt jedoch, weil sich die betriebswirtschaftlichen Anwendungen oft nur mit erheblichen Problemen herüberziehen lassen.

Als logische Konsequenz hieraus werden sich in der Zukunft plattformunabhängige Systeme am Markt durchsetzen. Denn Investitionssicherheit läßt sich nur gewährleisten, wenn man sich mit seiner Standardsoftware nicht exklusiv an einen Rechnertyp, ein Betriebssystem oder eine Datenbank binden muß.

Darüber hinaus bietet ein hohes Maß an Offenheit die Anbindungsmöglichkeit an andere Standardprodukte. So kann es sich zum Beispiel heute kein Hersteller betriebswirtschaftlicher Software mehr erlauben, Microsoft-Office-Produkte nicht über seine Schnittstellen zu integrieren. Auch die Einbindung von EDI- Schnittstellen (Electronic Data Interchange) gehört heute zum Standard einer komplexen Lösung.

Betrachtet man die Anwenderoberfläche und die damit verbundene Benutzerfreundlichkeit der Systeme, hat Microsoft sicherlich Standards gesetzt. Eigenschaften wie Multitasking und Multiprocessing zeichnen Arbeitsplätze mit hohem Benutzerkomfort und hohen Sicherheitsanforderungen aus.

Angesichts dieser Tatsachen läßt sich erkennen, daß bisherige Systeme mit veralteten Programmiersprachen an ihre Grenzen stoßen werden und dem Bedürfnis nach flexiblen Anwendungen nicht mehr entsprechen. Benötigt werden Entwicklungs-Tools, die eine leichte und effiziente Strukturierung des Programmcodes ermöglichen, komplexe Funktionen in einzelne Methoden aufteilen und darüber hinaus eine anwendernahe Programmierung unterstützen.

Zu erfüllen sind all diese Anforderungen nur durch die Möglichkeiten, die objektorientierte Programmierung heutzutage bietet. Durch das Klassifizieren und Gruppieren einzelner Dialoge lassen sich Programmteile in Komponenten aufspalten und als sogenannte Klassen ablegen. Einmal definiert, kann eine Klasse als Objekt instanziert und beliebig oft in die Programmstruktur eingebunden werden.

Durch das sinnvolle Verknüpfen einzelner Objekte lassen sich Entwicklungszeit und somit die Kosten erheblich senken. Ein weiterer Vorteil ist die flexible Architektur der Programme. Zusätzliche individuelle Add-ons können leicht in bestehende Strukturen eingefügt werden, ohne bei einem späteren Update Probleme zu verursachen. Dabei macht man sich die Vererbbarkeit einzelner Objekte zunutze.

Das Internet bringt günstigere Distribution

Darüber hinaus können einzelne Applikationen über Inter- beziehungsweise Intranet Hardware-unabhängig übertragen werden. Dies erlaubt nicht nur den Anwendern weitläufig einsetzbare DV- Konzepte, sondern bringt auch den Softwarehäusern sehr günstige Methoden der Distribution.

Diesen Trend hat - wenn auch spät - SAP erkannt. Der Marktführer zerlegt zur Zeit sein starres System in einzelne Bausteine. Mit enormen Investitionsmitteln versucht das Unternehmen, Teile des R/3-Monolithen in die flexible Philosophie der Objekttechnologie zu zwängen, um sich dadurch zumindest ansatzweise den Zugang zum lukrativen Internet zu sichern.

Bei diesem Kraftakt sollte man jedoch nicht vergessen, daß sich Erfahrungen mit neuen Technologien nur bedingt durch hohe Entwicklungsetats einkaufen lassen. Viele Klippen und Hindernisse gerade auf der ersten Strecke des Weges in die Objektorientierung zeigen sich erst während des Programmieralltags.

Die Tücken der Objektorientierung

Diese Erfahrung mußte auch die IAS machen. Die eigene betriebswirtschaftliche Komplettlösung ist schon seit 1993 vollständig objektorientiert programmiert. Dabei hat man auch die Kehrseite einer modernen Programmiertechnik kennengelernt.

Hakan Karabiber, Geschäftsführer der IAS, beschreibt die Probleme folgendermaßen: "In den Lehrbüchern gibt es eine Reihe verschiedener Ansätze, die eine Strukturierung und Vorgehensweise bei der objektorientierten Programmierung beschreiben. In der Praxis jedoch erweisen sich gerade die klare Definition und die modulare Konzentration der einzelnen Objekte als problematisch. Die effektive und funktional korrekte Verknüpfung der generierten Objekte erfordert deshalb viel Know-how und Erfahrung in dieser noch jungen Programmiertechnik."

Trotzdem: Die Ansprüche des Markts machen die Umsetzung neuer Technologieansätze erforderlich. In den nächsten Jahren wird kaum ein Unternehmen an der Einführung von Client-Server-Konzepten vorbeikommen. Konzeptionell überholte Lösungsansätze werden es unter Berücksichtigung der heutigen IT-Technologien und des vorsichtiger gewordenen Investitionsverhaltens der Anwender zunehmend schwerer haben, sich auf dem Markt zu behaupten.

Der Trend geht unausweichlich zu hochintegrierter Standardsoftware, die mittels objektorientierter Programmiersprachen schlank geschrieben ist. Nur dies erlaubt eine relativ einfache Anpassung an spezifische Anforderungen des Anwenders. Organisatorische Veränderungen im Unternehmen, die durch Wachstum oder Verkleinerung entstehen, müssen unterstützt werden.

Die notwendige Software hierfür muß einfach konzipiert sein und sich innerhalb kürzester Zeit einführen lassen. Einführungsphasen von einem Jahr und mehr sowie Zeiträume von mehr als drei Jahren für den Return on Investment sind heute angesichts kurzer Produktlebenszyklen und eines starken Wettbewerbsdrucks nicht mehr akzeptabel. Auch wenn in deutschen Chefetagen der Umdenkungsprozeß gerade erst begonnen hat, werden mittelfristig preisgünstige und dabei dennoch extrem leistungsstarke Softwareprodukte den Markt dominieren.

Angeklickt

Alle Lösungen, die auf höchst komplexen und alles abdeckenden Konzepten beruhen, treiben vor allem die Kosten in die Höhe. Außerdem erweisen sie sich letztlich schon deswegen als unflexibel, weil die Anwender nach enormen Investitionen in sie tiefgreifende Änderungen scheuen. Inzwischen setzt sich die Erkenntnis durch, daß kleine Komponenten auf Basis der Objekttechnik eine günstigere Lösung sind. Doch ist diese Technik nicht einfach eine modernere Programmiersprache. Der Weg zu guten objektorientierten Lösungen ist steinig.

*Thomas Mondelli ist Marketing-Leiter bei der IAS Unternehmensberatung GmbH inKarlsruhe.