Wissensmanagement

So retten Arbeitgeber das Know-how ihrer Mitarbeiter

27.02.2024
Von 
Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist u.a. Autor des "Change Management Handbuch" und zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence und der Technischen Universität Clausthal.
Wie stellen wir sicher, dass das (Erfahrungs-)Wissen, gerade der älteren Mitarbeiter, nicht verloren geht? Das fragen sich viele Unternehmen. Folgende Anregungen können weiterhelfen.
Angesichts des demografischen Wandels sollte es höchste Zeit sein, dass sich Arbeitgeber mit Fragen beschäftigen, welches Wissen es lohnt, im Unternehmen zu behalten und wie es an die entsprechenden Stellen kommt.
Angesichts des demografischen Wandels sollte es höchste Zeit sein, dass sich Arbeitgeber mit Fragen beschäftigen, welches Wissen es lohnt, im Unternehmen zu behalten und wie es an die entsprechenden Stellen kommt.
Foto: fizkes - shutterstock.com

Seit Bestehen der Menschheit erfolgte die Wissensweitergabe in mehr oder minder strukturierter Form. Doch lange Zeit wurde diese Wissensvermittlung nicht als ein Managementprozess verstanden, der zielorientiert gestaltet werden sollte. Dieses Bewusstsein entwickelte sich erst im Verlauf der Industrialisierung, als immer größere Unternehmen entstanden, die stets komplexere Produkte produzierten und verkauften, und die Arbeitsorganisation immer arbeitsteiliger wurde.

In diesem Kontext gewann auch die Frage an Relevanz: Wie sorgen wir dafür, dass die Wissensbasis unserer Organisation nicht nur gewahrt bleibt, sondern sich auch so erneuert, dass das Unternehmen auch mittel- und langfristig erfolgreich ist?

Herausforderung: Vermittlung von Erfahrungswissen

In diesem Prozess wird zwischen dem "expliziten" und dem "impliziten Wissen" unterschieden - zwei Begriffe, die der Chemiker und Philosoph Michael Polanyi prägte, unter anderem in seinem 1958 erschienenen Buch "Personal Knowledge".

Unter dem Begriff "explizites Wissen" wird meist das Wissen subsummiert, das man unter anderem mittels Sprache, Schrift, Zeichnungen und Bildern eindeutig kodifizieren und dokumentieren kann. Hierbei handelt es sich weitgehend um das Regel- und Faktenwissen, das man beispielsweise in Form von Berichten, Lehr- und Handbüchern, Arbeitsanweisungen sowie Zeichnungen an andere Menschen weitergeben kann. Dieses explizite Wissen kann aufgrund seiner kodierten Form auf zahlreichen Medien gespeichert, verarbeitet und übertragen werden - auch online.

Der Begriff "implizites Wissen" hingegen bezieht sich auf das Wissen, das häufig als Erfahrungswissen bezeichnet wird. Die Träger dieses Wissen, das sich aus Erfahrungen, Erinnerungen und Überzeugungen speist, können Personen oder Organisationen sein. Es kann zudem dem jeweiligen Träger bewusst sein, muss es aber nicht. Auf alle Fälle lässt es sich dieses Wissen aber nur schwer kodifizieren und dokumentieren und somit an andere Personen weitergeben.

Typische Beispiele für ein implizites Wissen im betrieblichen Kontext sind,

  • wenn ein erfahrener Verkäufer intuitiv spürt, wie er sich bei gewissen Kunden taktisch verhalten sollte, damit er einen Auftrag erhält, oder

  • wenn einem erfahrenen Techniker sein "Gefühl" sagt, wenn wir nicht bald gewisse Wartungsarbeiten an der Maschine x vornehmen, bekommen wir mit ihr Probleme, oder

  • wenn einem Manager oder Unternehmer sein Bauchgefühl sagt, diese Chance sollten wir nutzen, um langfristig erfolgreich zu sein, obwohl scheinbar alle Fakten dagegen sprechen.

Das implizite Wissen ist mit Einstellungen verknüpft

Beide Wissensformen sind für den Erfolg von Unternehmen wichtig, wobei jedoch die Regel gilt: Das Vermitteln des expliziten Wissens fällt ihnen leichter - nicht nur, weil es sich dokumentieren lässt, sondern auch weil die Unternehmen hiermit in ihren Bereichen Aus- und Weiterbildung schon viel Erfahrung gesammelt haben.

Anders verhält es sich beim impliziten Wissen. Seine Vermittlung setzt oft voraus, dass es in einem gezielten Prozess der Externalisierung - beispielsweise durch eine systematische Befragung der Wissensträger oder eine Analyse ihres Tuns - zunächst in ein explizites Wissen umgewandelt wird, so dass es dokumentiert werden kann. Dieses Externalisieren ist beim impliziten Wissen aber häufig nur bedingt möglich, weshalb es anderen Personen oft nur in dialogischen Verfahren wie zum Beispiel Coaching- und Mentoring-Programmen weitergegeben werden kann.

Hinzu kommt: Das implizite Wissen ist oft außer mit Erfahrungen auch mit teils durch sie bewirkten Einstellungen und Überzeugungen verknüpft. Deshalb ist bei den Personen, die dieses Wissen verinnerlichen möchten oder sollen, nicht selten auch eine Einstellungs- und Verhaltensänderung nötig. Ansonsten entfaltet es keine Wirkung. Auch deshalb ist seine Weitergabe oft nur in dialogischen Verfahren möglich.

Veränderte Rahmenbedingungen erfordern verändertes Wissensmanagement

Dabei gilt die Faustregel: Je komplexer eine Aufgabe ist, umso mehr implizites Wissen muss zu ihrer Lösung übertragen werden. Dies ist insofern relevant, als in den letzten Jahren unter anderem im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung die Arbeit und die in ihr gestellten Anforderungen - zumindest in der Wahrnehmung der Mitarbeitenden - stets komplexer wurden. Deshalb müssen die Unternehmen der Vermittlung des impliziten Wissens mehr Bedeutung beimessen, wenn sie vermeiden möchten, dass in ihrer Organisation immer mehr Wissensinseln entstehen, die letztlich

  • die oft angestrebte hierarchie- und bereichsübergreifende oder gar unternehmensübergreifende Team- und Projektarbeit erschweren und

  • dem Schaffen der erforderlichen Strukturen, um schnell und flexibel und agil auf neue Herausforderungen zu reagieren, im Wege stehen.