Lernen in Communities

Sich persönlich zu treffen ist für Entwickler unersetzlich

14.06.2017
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Über Lernmethoden wird viel diskutiert und geschrieben. Eines ist dabei unstrittig: Wo es gelingt, Talente zusammenzuführen und voneinander lernen zu lassen, sind die Erfolge am größten. Kein Wunder, dass sich hier viele Unternehmen besonders engagieren.

Andreas Christian Fischer arbeitet seit 29 Jahren als Entwickler für die Datev. Auf Clean Code, also gut geschriebene Software, legt der 54-Jährige großen Wert. Unter den rund 2000 Entwicklerkollegen fand er viele Gleichgesinnte und gründete vor vier Jahren eine konzerneigene Entwickler-Community. Seitdem treffen sich hier Datev-Entwickler über Abteilungsgrenzen hinweg, tauschen sich aus und lernen voneinander. Aus Fischers Idee ist inzwischen eine kleine Bewegung geworden mit mehr als 600 Mitarbeitern in 20 Communities, die sich mit verschiedenen Aspekten der Softwareentwicklung beschäftigen. Dabei waren es bei der Datev nicht die Entwickler, die zuerst auf die Idee einer Community gekommen sind, sondern die Sekretärinnen. Ihr Netzwerk SekNet gibt es bereits seit 2005.

Wer unter www.meetup.com ein Technikthema und einen Ort eingibt, findet vielfältigste Gruppen, denen er sich anschließen kann: von Agile über Deep Learning bis hin zu Cloud Native. Firmen stellen ihre Räume oft und gerne für Treffen zur Verfügung, kommen sie doch so mit IT-Profis ins Gespräch, die sie sonst kaum kennenlernen würden.
Wer unter www.meetup.com ein Technikthema und einen Ort eingibt, findet vielfältigste Gruppen, denen er sich anschließen kann: von Agile über Deep Learning bis hin zu Cloud Native. Firmen stellen ihre Räume oft und gerne für Treffen zur Verfügung, kommen sie doch so mit IT-Profis ins Gespräch, die sie sonst kaum kennenlernen würden.
Foto: Datev

Ausgestattet mit einem eigenen Budget, können Fischer und ein achtköpfiges Organisationsteam Referenten einladen, Kollegen zu Konferenzen schicken oder sich um Weiterbildungen kümmern. Matthias Nitsche, Mitglied der Geschäftsleitung der Datev, schätzt das Engagement: "Wir wollen unternehmerisch denkende Mitarbeiter, die selbst die Initiative ergreifen. Deshalb unterstützen wir deren Engagement und ermutigen unsere Kollegen, sich aktiv in die Communities of Practice einzubringen."

Andreas Hümmer, der vor zehn Jahren bei ­Datev als IT-Auszubildender mit dem Schwerpunkt Entwicklung für Mainframes begann, engagiert sich in der Community zTalents. Da sich immer mehr Großrechner-Experten dem Rentenalter nähern, ist es das Ziel dieser Community, den Wissenstransfer von älteren zu jüngeren Kollegen zu fördern. So soll auch das vermittelt werden, was in keinem Lehrbuch steht, etwa Kniffe zu den Betriebssystemen z/OS oder zu den IBM-Middleware-Produkten. "Jeder jüngere hat einen älteren Kollegen als Paten", sagt der 26-jährige. Insgesamt engagieren sich rund 65 Mainframe-Spezialisten. "Alle ehemaligen Auszubildenden und Kollegen unter 30 sind dabei, aber auch viele der älteren Kollegen kommen regelmäßig zu den Veranstaltungen", sagt Hümmer.

Kaum Zeit für Weiterbildung im Joballtag

Der Informatiker Marco Emrich arbeitet als Trainer bei der Webmasters Akademie in Nürnberg und engagiert sich in der Software-Craftman-Ship-Szene. Diese internationale Bewegung von Entwicklern begreift das Schreiben von guter Software als Handwerk und will es weiterentwickeln. "Viele Enwickler haben gemerkt, dass sie sich nicht innerhalb ihres 40-Stunden-Jobs weiterbilden können", sagt Emrich. Persönliche Treffen innerhalb und ­außerhalb eines Unternehmens helfen, mit Gleichgesinnten zu lernen. Hin und wieder unterstützt Emrich Firmen, die hausintern Communities aufbauen möchten, in denen sich Entwickler zum Programmieren oder zum Austausch treffen. "Die Themen sind nah an der tatsächlichen Arbeit, die Teilnehmer bringen Programmierprobleme mit, die wir während der Treffen lösen."

Andreas Christian Fischer hat vor vier Jahren die erste Entwickler-Community bei der Datev ins Leben gerufen. Heute treffen sich mehr als 600 Mitarbeiter in 20 unterschiedlichen Communities zu Themen der Softwareentwicklung.
Andreas Christian Fischer hat vor vier Jahren die erste Entwickler-Community bei der Datev ins Leben gerufen. Heute treffen sich mehr als 600 Mitarbeiter in 20 unterschiedlichen Communities zu Themen der Softwareentwicklung.
Foto: Datev

Gerade weil im Alltag oft wenig Zeit für Weiterbildung oder auch Erfolgserlebnisse bleibt, eröffnen sich mit Communities neue Perspektiven. Wichtig aus Sicht des Trainers ist es, dass die Initiative von den Mitarbeitern ausgeht. "Manche sind sofort Feuer und Flamme, andere wollen keine Veränderung. Es bringt nichts, die Leute zu zwingen", mahnt Emrich. Doch ebenso wichtig sei Rückendeckung des Manage­ments. Wie Wissenstransfer innerhalb eines Unternehmens gelingen kann, darüber zerbrechen sich Organisationsentwickler seit vielen Jahren den Kopf. "Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß", war lange ein geflügeltes Wort, denn viel Wissen steckt trotz aufwändiger Datenbanken immer noch in den Köpfen. Verlässt ein Mitarbeiter das Unternehmen, geht meist auch sein Know-how verloren. Manchen Firmen stecken viel Geld in Wissensdatenbanken und komplizierte Prozesse, um das vorhandene Wissen in der Breite zugänglich zu machen. Meistens hält sich der Erfolg in Grenzen.

Interne Communities zeigen indes einen gangbaren Weg, um den Austausch zu fördern. "Es ist faszinierend zu sehen, wie Menschen aufblühen, wenn sie voneinander lernen", beobachtet Datev-Entwickler Fischer. Auch seine Karriere bekam neuen Schwung. Heute verantwortet er unternehmensweit das Thema Code-Qualität. "Communities funktionieren dann, wenn es spannende Events gibt, die Leute Spaß dabei haben und freiwillig mitmachen", bilanziert Fischer. Er engagiert sich auch in der weltweiten Software Craftsmanship Community.

Wie Unternehmen Meetup nutzen

Andreas Hümmer entdeckte mit den zTalents viele neue Aspekte seines Spezialgebiets, nebenbei lernte er im Organisationsteam auch einiges über Management und seinen Arbeitgeber. Demnächst räumt er seinen Platz im Orga-Team für jüngere Kollegen. "Ich hatte Kontakt zum Top-Management und habe von der bereichsübergreifenden Kommunikation profitiert. Leicht fällt es mir nicht, diese Position aufzugeben", sagt Hümmer.

Andreas Hümmer startete bei der Datev als IT-Azubi und engagiert sich heute in der Mainframe-Community zTalents, in der alte Hasen ihr Wissen an den Nachwuchs weitergeben.
Andreas Hümmer startete bei der Datev als IT-Azubi und engagiert sich heute in der Mainframe-Community zTalents, in der alte Hasen ihr Wissen an den Nachwuchs weitergeben.
Foto: Datev

Sich zu treffen und voneinander zu lernen entwickelt sich in Entwicklerkreisen zu einem Trend, der über Firmengrenzen hinausreicht. Nach Veranstaltungen zu entsprechenden IT-Themen lässt sich leicht über die Online-Plattform Meetup (www.meetup.com) suchen. Darüber organisieren Firmen, Gruppen oder Privatpersonen Termine. Interessierte können ihre Abfrage nach Themen oder Postleitzahlen vornehmen. Viele Unternehmen stellen ihre Räumlichkeiten für diese Treffen gerne zur Verfügung. So kommen ihre Mitarbeiter mit IT-Spezialisten ins Gespräch, die sie sonst kaum kennenlernen würden. Für knapp zehn Dollar im Monat lassen sich eine Gruppe über die Plattform verwalten, Termine vereinbaren und Einladungen verschicken.

Gleichgesinnte aus anderen Branchen treffen

Vor 15 Jahren in New York gegründet, entwickelte sich Meetup zu einem globalen Unternehmen, das Menschen mit ähnlichen Interessen oder Hobbys verbindet und ihnen hilft, sich zu verabreden. Mittlerweile organisieren viele IT-Spezialisten ihre Treffen mit diesem Tool. Thomas Bodenmüller-Dodek, Data Scientist bei SAS, ist einer von ihnen: "Ich besuche interne Weiterbildungskurse meines Arbeitgebers, bin in Online-User-Gruppen aktiv, lese viele Blogs und vernetze mich mit Kollegen." Über die Plattform Meetup verabredet sich der Data-Scientist mit Kollegen, um über neue Tools zur Visualisierung von Daten zu diskutieren. "Die Meetup-Treffen in Heidelberg und Frankfurt sind eine gute Ergänzung für mich. Dort tausche ich mich mit Experten aus anderen Branchen aus", erklärt er. Besonders viele Meetups zu IT-Themen gibt es München.