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SGI-Chef Bishop: "Wir sind eine Werkzeugfirma"

04.12.2000
SGI besinnt sich zurück auf die eigenen Stärken der Vergangenheit, setzt aber auch auf Linux. An der Suse Linux AG haben sich die Kalifornier jetzt strategisch beteiligt.

Von CW-Redakteurin Kriemhilde Klippstätter

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Ein Jahr Stillschweigen nach außen hat Robert Bishop, Chairman und Chief Executive Officer von SGI, seinem Unternehmen bei Amtsantritt im Sommer 1999 verordnet. In dieser Zeit wurde nicht nur die Produktpalette komplett überarbeitet, sondern auch auf die alte und neue Zielgruppe - die kreativen und technisch orientierten Betriebe - ausgerichtet.

"Der Übergang ist geschafft", freut sich SGI-Chef Bishop, der sich nach dem Umbau der Company erstmals in München der Presse stellte. In seiner Amtszeit trennte sich das kalifornische Hightech-Unternehmen von einigen Geschäftszweigen, die in der Vergangenheit im Haus aufgebaut worden oder durch zugekaufte Firmen in das Unternehmen gekommen waren. "Wir tanzten auf zu vielen Hochzeiten und verloren dabei unsere Identität", charakterisiert Bishop das Unternehmen, dessen Leitung er vor mehr als einem Jahr übernahm. Damals gab er als Parole aus, dass sich SGI auf die Bedürfnisse der kreativen und technisch orientierten Kunden konzentrieren müsse. Den Film- und Fernsehschaffenden wolle man Hochleistungcomputer ebenso anbieten wie den Konstrukteuren von Automobilen oder den Forschungseinrichtungen. "Wir sind ein Werkzeuglieferant", so der neue Slogan.

Deshalb trennte sich SGI von den Unternehmenszweigen, die sich nicht in dieses Konzept integrieren ließen. Spektakulär war der Verkauf von Cray an den bis dato unbekannten Supercomputerhersteller Tera. Etwa 40 Millionen Dollar flossen für die Vektor-Rechnerabteilung von Cray im April dieses Jahres in die leeren SGI-Kassen, wobei SGI rund 1000 Mitarbeiter aus dem Entwicklungsteam von Cray sowie die Urheberrechte behielt.

Verkauft wurde auch der Embedded-Bereich von Mips, der Risc-Prozessor-Schmiede. Käufer waren die eigenen Aktionäre. Das Know-how über den Risc-Kernel behielt der CEO im Unternehmen, denn Mips bleibt für SGI auch in Zukunft die wichtigste Plattform im Highend-Bereich. Die im Haus entwickelte Streaming-Software "Mediabase" wurde ausgegliedert und in das Startup-Unternehmen Kasenna Inc. eingebracht, an dem die Mutter einen Anteil von 20 Prozent hält. "Wir sind keine Software-Company, und deshalb war die Trennung besser für uns und besser für Mediabase", rechtfertigt der CEO den Verkauf von zukunftsträchtiger Technologie. Von den einst 9100 Mitarbeitern sind nur mehr 6800 im Unternehmen verblieben, die Betriebskosten sanken von 313 Millionen auf 245 Millionen Dollar pro Vierteljahr.

Das "Big-Data-Problem"

Die verschlankte SGI soll sich nun auf das konzentrieren, was Bishop das "Big-Data-Problem" nennt: das Erfassen, Speichern, Zugreifen, Verteilen und Analysieren großer Datenmengen. "Eine Klinik in den USA produziert täglich durchschnittliche 1 TB Daten. Ein digitaler Hollywood-Film umfasst 50 TB. Fernsehsender wie CNN erzeugen ebenfalls 1 TB an Videodaten pro Tag", rechnet Bishop aus. Dazu benötigen Firmen skalierbare Rechner, die diese Daten verarbeiten, inklusive Kompressionsverfahren und Verschlüsselung.

Zudem hat der CEO bemerkt, dass seine beiden Zielmärkte, die kreativen und die technisch orientierten Unternehmen, zusammenwachsen, denn "die enormen Datenmengen können nur mehr durch Visualisierung ausgewertet werden". Hochleistungs-Computing und Visualisierung verbinden sich. Diesen Markt, den Bishop auf 34 Milliarden Dollar schätzt, soll SGI bedienen. "Bei einem geplanten Umsatz von 2,2 Milliarden Dollar für das laufende Geschäftsjahr bleibt für uns noch genug Spielraum, um zu wachsen", scherzt Bishop.

Back to the roots mit Numaflex

Etwa ein Viertel des Umsatzes soll in Europa erwirtschaftet werden, davon 20 bis 30 Prozent in Deutschland. "Wir haben in Deutschland in der Vergangenheit Marktanteile verloren, aber in diesem wie für uns geschaffenen Markt mit den großen Automobilherstellern und den wichtigen Media-Firmen wollen wir Boden gutmachen", hofft der CEO. In Dresden und Erlangen stehen schon die neuen modular aufgebauten "Origin-3000"- und "Onyx-3000"-Rechner, die mit der "Numaflex"-Architektur arbeiten.

Die Systeme verfügen über keine Backplane und lassen sich deshalb bei fast allen Komponenten (Prozessoren, PCI-Erweiterungen, Speichereinheiten und Grafiksubsystemen) erweitern. Die Numaflex-Technik stammt vom Cray-Entwicklungsteam. Ein System kann bis zu 512 CPUs mit einem "Single Shared Memory" von maximal 1 TB enthalten. Zudem lassen sich mehrere Systeme zu einem Cluster zusammenschalten. In Amsterdam weihte Bishop beispielsweise kürzlich das System "Sara" mit 1024 Mips-Prozessoren ein. Im norwegischen Stavanger stehen 70 Systeme, die die seismischen Daten der Ölindustrie visualisieren. "Unsere Kunden begrüßen die Rückbesinnung auf unsere Kernkompetenzen", begründet Bishop die jüngsten Erfolge.

Als Begründung dafür, warum SGI für das dritte und vierte Quartal 2000 trotzdem mit Verlusten kämpfen muss, nennt der CEO die Lieferprobleme des einzigen Herstellers von SGI-spezifischen Asics mit Keramikgehäuse: "Solche Bausteine enthalten bis zu 1600 Pins und manchmal 32 Layer. Da gibt es nur einen Lieferanten, und der versorgt alle Hersteller. Compaq, IBM und HP sind mit ihren großen Systemen von den Lieferschwierigkeiten genauso betroffen.“ So konnte SGI im dritten Quartal nur 77 der kleineren Rechner ausliefern, doch in absehbarer Zeit soll der aufgelaufene Auftragsbestand an großen Systemen auch abgebaut werden.

SGI steigt bei Suse ein

Am Wochenende wurde bekannt, dass sich SGI strategisch am Nürnberger Linux-Distributor Suse Linux AG beteiligt hat. Über die Höhe der Finanzspritze wurde indes nichts verlautbart. Zuvor hatten die Kalifornier bereits Anteile an den US-amerikanischen Linux-Playern VA Linux Systems sowie Turbolinux erworben. Dass sie nun auch Anteile am wichtigsten europäischen Distributor des Open-Source-Unix halten, beweist einmal mehr die wachsende strategische Bedeutung von Linux.

Zwar setzt der CEO im Hochleistungs-Computing weiterhin auf Mips-Prozessoren und das hauseigene Unix-Derivat "Irix“, aber "als Einstiegslösung wollen wir Rechner mit Intels 64-Bit-CPUs unter Linux anbieten", erklärt Bishop. Die Numaflex-Architektur erlaube zudem den gemischten Betrieb beider CPU- und Betriebssystem-Arten, so dass Kundeninvestitionen gesichert seien. Linux muss nach Angaben von Bishop aber noch skalierbarer und sicherer werden. Dazu will SGI mit Suse zusammenarbeiten. Der Open-Source-Gemeinde wurden schon diverse Interna zur Verfügung gestellt, beispielsweise das "XFS"-File-System, die "Pro-64"-Compiler sowie ein API, das zwischen Mips/Irix und Intel/Linux eine Brücke schlägt. Diese muss allerdings zusätzlich durch Middleware ergänzt werden, da Intel zu Mips inkompatibel ist. Rund 300 SGI-Ingenieure sind für die Linux-Weiterentwicklung - etwa die Echtzeitfähigkeit - abgestellt, denn in fünf Jahren, so der CEO, "wird unser Umsatz zu 50 Prozent aus dem Intel-Linux-Geschäft stammen."

Die rund 2000 Mitarbeiter, die für Consulting, Systemintegration und Service zuständig sind, sollen in Zukunft mit 30 bis 40 Prozent zum Gesamterfolg beitragen, Tendenz steigend. Dazu zählt auch der Aufbau von Speicherlösungen für die enormen Datenbestände der SGI-Kunden. Die Kalifornier kaufen allerdings die Fibre-Channel-Hardware zu: Highend-Speicher von Hitachi Data Systems (HDS), LSI Logic im mittleren Leistungsbereich und Mylex/IBM für Einstiegslösungen. Die Speichersoftware stammt aus den eigenen Labors, hier wurde einmal mehr auf das Know-how der Cray-Entwickler vertraut.

SGI hat kürzlich von Intergraph die Windows-basierte Workstation-Linie "Zx10" gekauft und sich im Gegenzug Intergraph als Abnehmer von SGI-Systemen im Wert von 100 Millionen Dollar in den nächsten drei Jahren gesichert. Wichtiger sei jedoch, dass Intergraph auf den Numaflex-Maschinen entwickeln will. Trotz der Engagements im Windows- und Linux-Umfeld setzt Bishop auf die eigenen Stärken, denn nur dort könne SGI die Entwicklungen selbst steuern: "Wir besitzen Mips, Numa und die Grafik, das könnten wir alles in einen Chip integrieren", wirbt der Firmenchef.