Scott McNealy - oder wie er die Welt sah

28.04.2006
Nach 22 Jahren als Chef von Sun Microsystems macht der CEO Platz für Jonathan Schwartz. Er hinterlässt ein Unternehmen, das vor gewaltigen Herausforderungen steht.

Rekordverdächtig erscheint die Bilanz des scheidenden CEO mindestens in zweierlei Hinsicht: Kaum ein Manager in der schnelllebigen IT-Branche hielt sich so lange auf dem Chefsessel; und niemand aus der Riege der charismatischen Unternehmensgründer war so berüchtigt für seine große Klappe. Eine Mischung aus gesundem Selbstbewusstsein und Arroganz, bisweilen auch Selbstüberschätzung und Realitätsferne attestierten ihm Kritiker.

Best of McNealy

Mit seinen verbalen Attacken gegen Konkurrenten sorgte der Sun-CEO immer wieder für Schlagzeilen. Im langjährigen Erzfeind Microsoft sah er die "die Bestie aus Redmond" oder "das Reich des Bösen". Das Führungsduo Steve Ballmer und Bill Gates nannte er "Ballmer und Butthead" unter Anspielung auf zwei trottelige Comic-Figuren.

Auch IBM bekam sein Fett weg: Der weltgrößte IT-Konzern "braucht eine Systemintegrations-Company, die sich nur um die eigene Preisliste kümmert", lästerte der Harvard-Absolvent. Hewlett-Packard war für ihn nur "ein großartiges Druckerunternehmen". Nach Intels Problemen mit dem 64-Bit-Prozessor Itanium benannte er den Chip in Anspielung auf die "Titanic" in "Itanic" um. Wenig übrig hatte der Sohn eines Automobil-Managers auch für den Direktanbieter Dell, der mit Lowend-Servern in Suns Kernmarkt einbrach: "Dell verkauft Kolbenringe. Wir produzieren ganze Autos."

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Wann immer er öffentlich auftrat, durften Beobachter mit markigen Sprüchen rechnen, darunter oft derbe Attacken auf die Konkurrenz. Seinen Lieblingsgegner Microsoft nannte der Harvard-Absolvent abwechselnd "die Bestie aus Redmond" oder schlicht "das Reich des Bösen". Als Microsoft Ende der 90er Jahre das spektakuläre Kartellverfahren mit US-Behörden ausfocht, sah sich McNealy als letzten verbliebenen Kämpfer gegen die Monopolmacht der Windows-Company: "Wir sind das einzige Computerunternehmen, das nicht in irgendeiner Weise mit Microsoft zusammenarbeitet."

Auf seinem Kreuzzug gegen den Erzrivalen übernahm Sun 1999 die Hamburger Softwareschmiede Star Division. Eine kostenlose Variante des Büropakets "Star Office" sollte die Vormacht von Microsofts Office-Suite brechen. Über das Open-Source-Projekt "Open Office" gelang es McNealy immerhin, eine akzeptierte quelloffene Alternative zum Produkt der Gates-Company aufzubauen. Der durchschlagende Erfolg blieb der Software indes versagt. Auch die Versuche, Microsoft mit einem Thin-Client-Konzept das Wasser abzugraben, scheiterten.

Eine ungleich größere Wirkung entfaltete Suns plattformunabhängige Programmiersprache Java. Mit dem Versprechen "Write once, run anywhere" gewannen die Kalifornier die Herzen von Millionen Softwareentwicklern. Heute bilden Java-Anwendungen einen mächtigen Gegenpol zur geschlossenen Microsoft-Welt und dem auf Windows ausgerichteten .NET-Framework. "Wo wäre Sun heute, wenn es Java nicht gegeben hätte?", fragte McNealy zum zehnjährigen Java-Jubiläum. "Alle Entwickler würden für .NET und Windows schreiben."

Geheimwaffe Java

Seit der ersten Alphaversion von Java im März 1995 hatte sich das Verhältnis der Antipoden nicht gerade verbessert. Umso mehr rieben sich Branchenkenner die Augen, als McNealy und Microsoft-CEO Steve Ballmer im April 2004 gemeinsam an die Öffentlichkeit traten, um das Ende aller Streitigkeiten zu verkünden. Für die Beilegung der seit 1997 schwelenden juristischen Auseinandersetzungen um Java-Lizenzen überwies Microsoft rund zwei Milliarden Dollar an Sun. Zugleich gaben die Erzrivalen eine zehnjährige Technikpartnerschaft bekannt. Bei genauerem Hinsehen richtete sich der Deal gegen einen gemeinsamen Gegner: IBM und dessen gewinnträchtige Mainframe-Bastion.

Unter McNealy entwickelte sich Sun vom kleinen Workstation-Hersteller zu einem weltweit agierenden Technikkonzern. Der passionierte Golfspieler hatte das Unternehmen 1982 gemeinsam mit Bill Joy, Andreas von Bechtolsheim und Vinod Khosla gegründet. Das Kürzel Sun stand ursprünglich für Stanford University Network. Mit dem eigenentwickelten Unix-Derivat "Solaris" trat das Startup-Unternehmen gegen die damaligen Branchengrößen Hewlett-Packard, Digital Equipment und IBM an. Bestückt mit den ebenfalls hauseigenen Sparc-Prozessoren verhalfen Solaris-Workstations und -Server dem Neueinsteiger zu einem kometenhaften Aufstieg, der seinen Höhepunkt im Internet-Boom Ende der 90er Jahre fand.

Ende der Erfolgsgeschichte

Das Platzen der Dotcom-Blase läutete zugleich den Niedergang von Sun Microsystems ein. Hier endet die Erfolgsgeschichte von Scott McNealy. Denn trotz all seiner Errungenschaften steht das Unternehmen heute vor gewaltigen Schwierigkeiten. Seit 2001 verlor Sun jedes Jahr Geld oder fuhr nur minimale Gewinne ein. Der Jahresumsatz schmolz von 18,7 Milliarden Dollar auf elf Milliarden Dollar. Seit dem Höchststand von 64 Dollar im Jahr 2000 fiel der Aktienkurs um mehr als 90 Prozent.

Augenfälligstes Problem ist die Kostenstruktur. Schon seit längerem fordern Analysten deshalb harte Einschnitte. Die Investmentbank Merill Lynch etwa empfiehlt, 15 Prozent des Personals abzubauen. McNealy lehnte solch drastische Maßnahmen stets ab. Ob sein Nachfolger Jonathan Schwartz einen anderen Kurs fährt, ist längst nicht ausgemacht. Immerhin kündigte der frisch gekürte CEO an, in den nächsten 60 Tagen alle Unternehmensbereiche auf den Prüfstand zu stellen.

Doch die Ursachen der Misere liegen tiefer. Zu den strategischen Versäumnissen McNealys gehört, dass er die wachsende Popularität preisgünstiger Standard-Server mit x86-Prozessoren unterschätzt hat. Sun reagierte spät auf diese Entwicklung, vielleicht zu spät. Als die Ingenieure im kalifornischen Santa Clara begannen, Server mit CPUs des Intel-Rivalen AMD zu bestücken, hatte Sun bereits große Teile seines Kerngeschäfts an die Billigkonkurrenz verloren.

Ähnliches gilt für die Open-Source-Bewegung, deren Bedeutung der heute 51-Jährige stets klein redete. Das quelloffene Betriebssystem Linux stelle keine Bedrohung für Suns Geschäfte dar, behauptete er noch im Mai 2000. Erst im vergangenen Jahr kamen die Sun-Strategen auf die Idee, Solaris unter einer Open-Source-Lizenz zugänglich zu machen. Auch große Teile des Java-basierenden Middleware-Stacks legten sie offen. Mit Simon Phipps leistet sich Sun heute einen Chief Open Source Officer.

Schweres Erbe für Schwartz

Dennoch gelingt es dem einstigen Börsenstar bis heute nicht, den Erfolg der Java-Produkte in klingende Münze zu verwandeln. Auch dieses Problem muss der 40-jährige Schwartz angehen, will er die Abhängigkeit vom Hardwaregeschäft verringern. Von McNealy, der Vor- sitzender des Verwaltungsrats bleibt, kann er dabei nur bedingt Hilfe erwarten, denn der vierfache Familienvater hat noch einen Nebenjob angenommen. Als Chef von Sun Federal soll er sich um das Geschäft mit US-Regierungsbehörden und wichtigen Großkunden kümmern. Seine neue Aufgabe beschreibt er auf die ihm eigene Art: "Jonathan wird meinen Hintern für die nächsten 90 Tage in ein Flugzeug schnallen."