Der Markt für Enterprise-Application-Integration-Lösungen

Puzzle Integrationsmarkt

24.09.2004
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die klassischen Anbieter für Enterprise-Application-Integration- (EAI-)Lösungen tun sich schwer. Der Markt ist in Bewegung, die Anwender sind irritiert.

Nicht nur im deutschen Markt zeichnen sich Veränderungen ab. So drängen zunehmend Hersteller von Unternehmenssoftware und Infrastrukturspezialisten in das Integrationsgeschäft. Außerdem sorgen die anhaltenden Diskussionen um Web-Services-Standards und neue serviceorientierte Softwarearchitekturen für Verwirrung. "Von den Boomzeiten der Jahre 2000 und 2001 ist der Integrationsmarkt weit entfernt", lautet das ernüchternde Fazit des Gartner-Analysten Fabrizio Biscotti. Verzeichnete die Branche noch vor wenigen Jahren Wachstumsraten von 20 Prozent und mehr, sind die Geschäfte heute rückläufig. So habe beispielsweise der Markt in Nordamerika 2003 im Vergleich zum vorangegangenen Jahr um 5,5 Prozent nachgegeben. Auch in Europa laufen die Geschäfte derzeit nur schleppend. Zwar steigerten die Anbieter in Westeuropa ihre Umsätze im vergangenen Jahr um 5,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dieser Anstieg basiert Biscotti zufolge jedoch allein auf

Währungseffekten. So profitierten die Hersteller vom starken Euro. Rechne man die in Euro verbuchten europäischen Einnahmen in Dollar um, verzerre dies das Bild, da die eigenen Analysen auf Dollar-Basis ausgelegt seien, räumt der Marktforscher von Gartner ein. Gemessen an den ursprünglichen Euro-Zahlen wäre auch auf dem alten Kontinent ein Abschwung zu verzeichnen gewesen. Eine genaue Zahl konnte der Analyst jedoch nicht nennen. Er führt die lahmenden Geschäfte vor allem auf die generell schwache Konjunktur der europäischen Industrienationen zurück.

Branchenprimus IBM

Der deutsche Integrationsmarkt liegt mit einem Plus von 4,8 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt, berichtet Biscotti. Nur die Märkte in Italien, Spanien und der Schweiz hätten noch schlechter abgeschnitten. Gartner fasst im Integrationssegment Lösungen für den Application-Integration-Markt (AIM) wie zum Beispiel Application Server und EAI-Tools sowie Middleware und Portale zusammen. Insgesamt haben die Hersteller damit im vergangenen Jahr in Deutschland knapp 352 Millionen Dollar umgesetzt.

Branchenprimus ist laut Gartner mit deutlichem Abstand IBM. Big Blue sicherte sich mit einem Marktanteil von 34,4 Prozent das größte Stück des deutschen Integrationsmarkts. Die folgenden Plätze auf dem Treppchen gingen an Bea Systems (6,9 Prozent) und Fujitsu-Siemens Computers (6,4 Prozent). In Lauerstellung auf den Rängen vier und fünf liegen Oracle (4,2 Prozent) und SAP (3,7 Prozent). Der Infrastrukturanbieter und der Weltmarktführer für Business-Applikationen rangieren damit noch vor den Integrationsspezialisten Seeburger (2,4 Prozent) und Tibco (2,2 Prozent). Die Top Ten komplettieren Microsoft (1,3 Prozent), die Software AG (1,2 Prozent) und Borland (1,0 Prozent).

Insgesamt zeigt der Markt damit ein fragmentiertes Bild. Die führenden fünf Anbieter - darunter eine dominierende IBM mit über einem Drittel der Marktanteile - sichern sich 55,6 Prozent der Einnahmen in Deutschland. Das übrige Geschäft teilen sich Anbieter, deren Marktanteile im niedrigen einstelligen Prozentbereich, zum größten Teil sogar unter einem Prozent, liegen.

Anwender wollen nicht nur Technik

Die deutliche Führung IBMs im deutschen Integrationsgeschäft resultiere in erster Linie aus dem Renomee des IT-Anbieters, erläutert Biscotti. Die Kunden orientierten sich nicht allein an der technischen Plattform. Faktoren wie eine funktionierende Serviceorganisation sowie ein möglichst dichtmaschiges Netz von Partnern und Wiederverkäufern würden die Anwender bei der Produktauswahl ebenfalls berücksichtigen. Auch die Überlebensfähigkeit eines Anbieters spielt nach Einschätzung des Analysten eine wichtige Rolle. Demnach achten die Kunden verstärkt auf die finanzielle Situation und Stabilität der Softwareanbieter. Branchenriesen wie IBM hätten daher grundsätzlich eine günstigere Ausgangsposition, als weniger gewichtige Anbieter.

Fehlt dieser Rückhalt, könne es kritisch für die Softwarehersteller werden, prognostiziert der Gartner-Analyst. Da helfe auch eine ausgereifte Technologie, die in aller Regel nicht schlechter sei als die der Konkurrenz, nicht weiter. Mangelndes Vertrauen der Kunden treffe vor allem die kleineren Spezialanbieter, die zudem von einer deutlich geringeren Kundenbasis leben müssten.

Hielten sich Anwender mit neuen Investitionen zurück, gerieten diese Hersteller schneller in eine finanzielle Schieflage. Die Wartungserlöse allein reichten nicht zum Überleben, bilanziert Biscotti. Der Analyst geht davon aus, dass sich der allgemein in der Softwarebranche herrschende Trend zur Konsolidierung auch im Markt der Integrationsanbieter niederschlagen wird. Die Marktforscher von Gartner rechnen damit, dass Ende 2004 nur noch rund die Hälfte aller Softwareanbieter des Jahres 2000 aktiv sein werden.

Die jüngsten Unternehmensergebnisse untermauern diese These. So verzeichnete beispielsweise Integrationsspezialist Webmethods im ersten Quartal seines Geschäftsjahres 2004/05 im Vergleich zum Vorjahr einen Umsatzrückgang von 43,2 auf 41,8 Millionen Dollar. Der Verlust stieg von sechs auf 9,5 Millionen Dollar. Auch Vitria beklagte im Jahresvergleich für das zweite Quartal 2004 einen Umsatzeinbruch von 18,1 auf 13,7 Millionen Dollar. Der Verlust wuchs von sechs auf immerhin 6,7 Millionen Dollar.

Regionale Besonderheiten

Beide Spezialanbieter spielen laut Gartner im deutschen Integrationsmarkt keine besondere Rolle. Dies liegt auch an regionalen Besonderheiten. So kann sich beispielsweise Fujitsu-Siemens Computers (FSC) aufgrund seiner stark verbreiteten IT-Infrastruktur in Deutschland auch als Integrationsanbieter positionieren. Das deutsch-japanische Joint Venture bietet mit "Openseas" seine eigene Integrationsplattform an. International vermag FSC in Sachen Integration dagegen kaum zu punkten.

Auch SAP hat in Deutschland ein Heimspiel. Die Softwerker aus dem Badischen forcieren derzeit mit "Netweaver" als zentralem Bestandteil ihrer "Enterprise Services Architecture" (ESA) eine eigene Integrationsplattform. Neben der umfangreichen installierten Kundenbasis könnten die SAP-Verantwortlichen auf die enge Verknüpfung zwischen ihren Anwendungen und Integrationskomponenten wie Application Server oder Portal bauen, analysiert Biscotti. Kunden, die neue SAP- Produkte kaufen, erhielten Netweaver als integrierte Komponente. Neben SAP versuchen auch andere Applikationsanbieter, ihre Geschäfte mit Integrationskomponenten zu forcieren: Peoplesoft verfolgt mit "Appconnect" ein eigenes Konzept, und Oracle hat vor wenigen Monaten mit dem "Customer Data Hub" ein Integra- tionsprojekt gestartet.

Damit drohen die kleinen Anbieter in die Mühlen zwischen Applikations- und Infrastrukturanbieter zu geraten. Denn auch IBM und Microsoft wollen die IT-Schaltzentralen in den Unternehmen mit ihren eigenen Plattformen besetzen. Microsoft bringt dafür seine .NET-Plattform und den Biztalk-Server ins Spiel. IBM hat vor kurzem angekündigt, seine Middleware-Plattform "Websphere" durch einen "Enterprise Service Bus" (ESB) auszubauen. Dieser soll eine flexiblere und effizientere Integration von Daten und Anwendungen erlauben. Auch Infrastrukturspezialist Bea Systems hat mit dem Projekt "Quicksilver" eine serviceorientierte Integrationstechnik in Arbeit.

Der Integrationsmarkt bewegt sich auf eine Service Oriented Architecture (SOA) zu, prognostiziert Gartner-Analyst Biscotti. Inwieweit die Geschäfte der Anbieter davon profitieren, bleibt abzuwarten. Zwar verspricht die modulare Applikationswelt einer SOA den Anwendern mehr Flexibilität. Allerdings steigt auf der anderen Seite wegen der steigenden Zahl der Schnittstellen auch der Grad der Komplexität.

Daher bleibt vorerst die Frage offen, ob es den Anbietern gelingt, die Unsicherheit der Anwender angesichts der unterschiedlichen Techniken und Architekturen aufzulösen. "Hier ist noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten", sagt Biscotti. So geht Gartner auch nur von einem bescheidenen Wachstum des Marktes in den nächsten Jahren aus. Die Analysten rechnen bis 2008 jährlich mit einem durchschnittlichen Plus von 0,9 Prozent in der Region Europa, Naher Osten und Afrika (Emea). In vier Jahren beliefe sich dann der Umsatz im europäischen Integrationsgeschäft auf rund zwei Milliarden Dollar.

* Der Autor Martin Bayer ist Redakteur bei der Computerwoche. [mbayer@computerwoche.de]