Pressespiegel

01.09.1995

Fanfaren haben es begruesst (die "Zeit"), der "Focus" sprach von einem digitalen Urbi et Orbi, und fuer die "Woche" war es eine virtuelle Ekstase - Pressestimmen zum Spektakel um Windows 95:

Das "Handelsblatt" vom 24.8.95 : Statt dessen lenken Gutscheine fuer Windows 95 beim Computerkauf von der Tatsache ab, dass auf derselben Hardware im Prinzip auch ein Betriebssystem der Konkurrenz laufen koennte. Dass OS/2 von IBM oder das System 7.5 von Apple unter Fachleuten als die besseren Produkte gelten - wen kuemmert's, wenn alle auf Windows warten? Doch warten wirklich alle? Waehrend IBM und Apple traditionell Anzeigen und Fernsehspots schalten muessen, wird ueber Microsoft kostenfrei informiert: in redaktionellen Beitraegen, ueberall. Selbst renommierte Zeitungen, einst Bastionen gegen Produkt-Placement, brueten in der Hitze dieses Sommers fast taeglich ueber Microsoft. Und die britische "Times" hat sich gleich ganz an Gates verkauft: Fuer 700 000 Mark darf Microsoft eine verdoppelte Tagesauflage heute auf britischen Strassen verschenken.

Die "Sueddeutsche Zeitung " vom gleichen Tag: Fast alle sind wir Sklaven des Software-Pharaos Bill Gates. Seine Firma quaelt uns seit Anbeginn des PC-Zeitalters (zirka 1981) mit Betriebssystemen, deren Handbuecher schwerer zu knacken sind als ein kabbalistisches Traktat. Wie geht es Ihrem config.sys? Wie hoch ist Ihr interleave factor? Was Wunder, dass fast jeder PC-Mensch nach Erloesung lechzt. Und nun das kulturhistorische Paradox: Der Pharao gibt sich als Moses. Mit Windows 95 verspricht er uns Befreiung von just jener Knute (MS-DOS, Windows 3.1), mit der er uns ein Jahrzehnt lang in die Gefolgschaft gezwungen hat. Windows 95 wird alles lindern, lautet die Verheissung; es wird bequemer und einfacher zu ertragen sein als das alte Joch - im Laufschritt gar. Und deshalb sammeln sich weltweit alle MS-Sklaven, um demuetig die neue Verkuendigung entgegenzunehmen.

Der "Spiegel" Nr. 35/1995: Der Zauber machte aus dem verspaeteten Upgrade eines Standardprogramms das groesste Ereignis in der Computergeschichte seit Aufzeichung des Wetterberichts auf elektronische Datentraeger ... Der Hype um Windows 95 hat - nichts ist mehr so, wie es mal war - sogar Nischen erreicht, in denen gemeinhin ueber das Weltenschicksal ernsthaft nachgedacht wird. Josef Joffe, Chef im aussenpolitischen Ressort der Sueddeutschen Zeitung, leitartikelt gewoehnlich ueber Belange wie "In welcher Welt lebt die Weltpolitik?" Am Donnerstag voriger Woche hat er in einem Kommentar endlich eine moegliche Antwort gefunden: "Die Welt als Windows". (Siehe oben, Anm. d. Red.) Die Vermutung, er habe als Aussenpolitiker halt nur dem Grossthema "Bill Gates - ein Mann greift nach der Weltherrschaft" (Die Woche) nicht widerstehen koennen, dementiert Joffe umgehend. Viel einfacher: "Mich aergert Windows", begruendet er den Text.

Der "Focus" Nr. 35/1995: Fast 100 US-Fernsehstationen uebertrugen in den folgenden Tagen eine halbstuendige Sendung mit Microsoft- Gruender Bill Gates ... Unter dem Motto "The Start of Something New" predigte er das Evangelium der neuen Software. Ein digitales Urbi et Orbi ... Das neue Betriebssystem bringt grundlegende Erleichterungen nach dem Prinzip "es tut so gut, wenn der Schmerz nachlaesst": Endlich braucht der verwirrte PC-Benutzer nicht mehr zwischen den unlogischen Datei- und Programm-Managern der alten Windows-Versionen hin- und herzuspringen.

Die "Woche" vom 25.8.95: Mit Windows 95 scheint ein Zustand virtueller Ekstase erreicht. Das werde "einer der groessten Starts in der Geschichte der Konsumartikel", prophezeit Ed Belleba, oberster Verkaufsstratege des Hauses. Seit zwei Jahren arbeiten die Image-Ingenieure daran, Begeisterung fuer das neue Produkt zu garantieren. Mindestens 150 Millionen Dollar fliessen in Werbung und Marketing. "Man koennte glauben, Microsofts neues Betriebssystem wird der naechste Praesident", spottet ein US- Beobachter.

Die "Zeit" Nr. 35/1995 unter der Ueberschrift "Fetter Charmeur mit Kanten: Es ist ein kleiner Schritt fuer die Menschheit, doch ein grosser fuer den Computer, wenn ein Text ploetzlich "Briefe an die ZEIT-Computerseite" heissen darf und nicht als BRFZTCPS.TXT gut getarnt im Dschungel der Festplatte haust. Damit ist Windows das letzte gepflegte System, das sich von der Beschraenkung auf acht Buchstaben und eine Endung von drei weiteren Zeichen befreit. Ein Teil des DOS-Erbes bleibt aber praesent: Die Endung wird nach wie vor benoetigt, damit der Nutzer eine Datei automatisch mit dem passenden Programm bearbeiten kann ... Andere Systeme sind da weiter: OS/2 von IBM, das mit Windows 95 direkt konkurriert, laedt dank besserer Technik fuer eine Textdatei ungeruehrt das passende Textverarbeitungsprogramm, auch wenn ihr Name auf "XLS" oder gar "blubber" endet. Apples Macintosh bietet diese Automatik seit 1984; der Nachfolger von Windows 95 soll sie auch einmal bringen.