Linuxworld: Viele Wege zum Erfolg

Open Source steht die Tür zu den Unternehmen offen

20.10.2000
Einen Trend zur Anwendung von Open-Source-Software in professionellen Umgebungen halten alle Aussteller der ersten Linuxworld in Frankfurt für das Kennzeichen der jüngeren Entwicklung von Linux. Unterschiedlich aber sind die Ansichten darüber, was die nächsten Etappen sind.

"Sie sollten nur für Services Geld ausgeben, nicht für alten Code!" Jon "Maddog" Hall, grauhaariger Altvorderer der Open-Source-Bewegung und Chef von Linux International, fasst sich an den Kopf. Mit dem Kauf einer neuen Version proprietärer Software, so rechnet er vor, zahle man jedesmal wieder für alte Programmierarbeiten, für die man schon beim letzten Release zur Kasse gebeten wurde.

Bei Open Source sei eben das Konzept der Entwicklung und der Vermarktung anders, so Hall, nicht die Technik: "Man kann mit Linux nichts machen, was sich nicht auch mit anderen Systemen bewältigen ließe, aber mit Linux geht es billiger und effektiver." Das scheint sich herumzusprechen. Rund 30 Millionen Rechner sind derzeit weltweit mit Linux ausgestattet, schätzt Hall. Dass davon inzwischen etwa zwei Millionen Systeme professionell in Unternehmen und Verwaltungen genutzt werden, ist für ihn der erfreulichste Aspekt.

"Bei den Anwendern ist das Vertrauen in Open Source gewachsen", stellt Caldera/SCO-Topmanager Hans Bayer stellvertretend für zahlreiche Aussteller auf der Linuxworld fest. Die Fragen der Besucher an den Ständen hätten eins belegt: "Das Wissen über Linux und Open-Source-Software ist deutlich gewachsen." Allerdings, so legt Walter Schumann, Chef der neuen deutschen Tochterfirma von VA-Linux, nach, sei Linux "noch sehr stark ein Insider-Business".

Auf die zunehmende Professionalisierung reagiert die Open-Source-Gemeinde mit der Maxime: "Technik geht vor Politik." Die Frankfurter Linuxworld entwickelte sich nicht zum Forum heißer politischer Debatten zwischen Fraktionen der Community, hier stand Business im Vordergrund. Optimismus allerseits. Andreas Schmidt, Director Professional Services von Apptime, traut Linux zu, "einen ähnlichen Boom" zu erleben wie Microsoft zu Beginn der 90er Jahre. In welchen Segmenten der sich abspielen soll, gilt indes nicht als ausgemacht.

So ist momentan Linux für Embedded Systems ein hochaktuelles Thema. Maddog Hall hält es für "die derzeit stärkste Entwicklung". Auch für Dirk Hohndel, Mitbegründer und Chief Technology Officer (CTO) des Nürnberger Distributors Suse, ist es "ein Haupttrend" - bei dem allerdings noch längst nicht ausgemacht sei, welches Business-Modell für dieses Marktsegment tauge. Klar scheint jedoch, dass Linux beste Aussichten hat, via Embedded Chips Handys, digitale Assistenten und Palmtop-Begleiter zu erobern.

Sogleich verbinden Newcomer mit Linux die Hoffnung, in diesen scheinbar besetzten Märkten Coups landen zu können. So hat Agenda Computing auf der Linuxworld erstmals in Europa den auf Linux-VR basierenden PDA "VR3+" vorgestellt.

Mit dem ersten Gerät spricht das Unternehmen gezielt Linux-Fans an. Agenda-Geschäftsführer Jürgen Schuster macht keinen Hehl aus der Hoffnung, dass die Community schnell die für den Markterfolg so wichtigen Anwendungen über die eingebauten klassischen PDA-Funktionen hinaus entwickeln werde.

Ein sicheres Geschäft ist Linux derweil in Sachen Internet. Der Ausgangspunkt ist die starke Position des offenen Betriebssystems bei Web-Servern. Sie gründet sich - ähnlich wie es bei Handys und PDAs der Fall ist - auf klar umrissene DV-Aufgaben, für die es nicht allzu viel Software braucht. "Die besten Geschäfte lassen sich mit Linux im Internet machen", gibt VA-Manager Schumann unumwunden zu.

Das ist zugleich die Erklärung dafür, dass sich in anderen Märkten weniger tut. Die jungen Linux-Companies sind mit der Nachfrage infolge des Internet-Booms vollauf ausgelastet. Das sei gar nicht schlecht, meint Informix-Marketing-Manager Gerhard Lzicar, denn es bedeute auch: "Linux wird in den Zukunftsmärkten eine große Rolle spielen." Durch diesen Bedarf zum Vorteil von Linux könnte sich die Ausbreitung von Open Source in andere Anwendungsbereiche nur beschleunigen.

Angesprochen ist damit vor allem die von vielen erwartete Ausbreitung von Linux im Segment Application-Server. Allerdings gibt es deutlich unterschiedliche Einschätzungen, wie schnell und in welche Teilmärkte sich dieser Trend entwickeln könnte. "Linux wird die ganze Anwendungspalette im Server-Bereich dominieren", meint Schumann, ohne sich allerdings auf Spekulationen über die Zeiträume einlassen zu wollen.

Der VA-Linux-Manager ist erstaunt, dass bereits erste - wenn auch zögernde - Anfragen aus Banken und Versicherungen in diese Richtung gehen. Einen sicheren Boom für Linux sieht er für Server-basierte Anwendungen in Behörden und Verwaltungen voraus. Allerdings würden dieses Geschäft wohl nicht neue Companies wie VA Linux machen, sondern traditionelle Haus-und-Hof-Lieferanten wie Siemens.

Zurückhaltender schätzt die Marktperspektiven Jens Klauke, Deutschland-Chef des Softwarehauses Rogue Wave, ein: "Linux kommt auf die Applikations-Server - zunächst aber nur mit eher trivialen Anwendungen." Da kann er sich mit Suse-Topmann Hohndel streiten. Der meint immerhin: "Der Trend bewegt sich zu professionellen Anwendungen im RZ. Es geht rein in den Highend-Bereich."

Ähnlich optimistisch ist Daniel Riek, Vorstand des Bonner distributionsunabhängigen Open-Source-Dienstleisters ID-Pro: "Generell ist Linux reif für Business-Anwendungen" - aber nicht für alle Bereiche. So sei die Position in Sachen ERP "noch ziemlich schwach", aber nach den Office-Applikationen werde Linux sich auch bei solchen Frameworks ausbreiten. Seine Prognose begründet Riek mit Verweis auf die immer deutlichere Linux-Ausrichtung von SAP.

Just zur Linuxworld hat der Walldorfer Softwareriese seine Datenbank "SAP DB" als quelloffene Software zur Verfügung gestellt. Es handelt sich dabei um eine Weiterentwicklung der "Adabas-D"-Datenbank von der Software AG. Nun sind zwar noch nicht die zugehörigen Entwicklungs-Tools Open Source, aber es steht ein anderes Datenbankkaliber als die Open-Source-Produkte "MySQL" oder "Postgres" zur Verfügung. ID-Pro-Manager Riek: "Jetzt haben wir eine Highend-Datenbank."

Gleichwohl mag Suse-Mitbegründer Hohndel deswegen noch nicht die Application-Server als nächsten Schauplatz von Linux-Erfolgsstories benennen. Für ihn spielen sich die neben Embedded Systems und Highend im Rechenzentrum vor allem auf dem Desktop ab. Der Desktop-Markt sei "wahnsinnig interessant", meint Hohndel. "Es geht los." Dem widerspricht Raphael Leiteritz, Chef des distributionsunabhängigen Berliner Software- und Serviceunternehmens Innominate: "Der Desktop ist nicht das Thema der nächsten Jahre." Interessanter seien die Entwicklungen in Sachen Application Server und Embedded Systems.

Ein weiteres umstrittenes Thema sind Entwicklungs-Tools. Rogue-Wave-Manager Klauke sieht hier "derzeit noch ein Minus". Aber es laufe gerade eine deutliche Veränderung. Die meisten Hersteller solcher Programmierwerkzeuge würden sich beeilen, ihre Produkte für Linux bereitzustellen. Daraus lässt sich ableiten, dass auch diese Branche eine zunehmende Verbreitung von Linux-Applikationen voraussieht. Der rege Andrang professioneller Entwickler am Stand des französischen Unternehmens 4 J''s, Anbieter einer von Betriebssystem, Datenbank und Client-Typ unabhängigen Programmiersuite, zeigt außerdem zunehmendes Interesse an Cross-Entwicklungs-Tools für eine bessere Integration der heterogenen DV-Landschaften an.

Die Kritik an einem "Tool-Defizit" bei Linux mag Arthur Tyde, Gründer und Chef von Linuxcare, so nicht akzeptieren: "Die Tools für Linux sind besser als die für die Windows-Welt." Nachsatz: "Sie sind mächtiger, wie eben Linux mächtiger als Windows ist." Nur komme damit die große Schar der Durchschnittsprogrammierer nicht aus dem Stand zurecht - weswegen es interessant wäre, mehr einfache Programmierwerkzeuge in der Art von Visual Basic zur Verfügung zu haben.

Überhaupt müsse in Sachen Training für Entwickler mehr getan werden, so Tyde. Die qualitative Überlegenheit von Linux gegenüber den Microsoft-Systemen werde nur nutzbar, wenn die IT-Profis mehr können, als Windows ihnen abverlangt. Schon aus Gründen der Sicherung von Qualitätsstandards für einen kompetenten Gebrauch von Linux seien die Maßstäbe des Linux Professional Institute (LPI) enorm wichtig. "Wir müssen das LPI voranbringen."

Standards waren generell ein beliebtes Thema auf der Linuxworld. Caldera/SCO-Manager Bayer resümierte am Stand: "Die Anwender fragen hier nach Standards. Es gibt Sorgen vor einer Fragmentierung." Das hat auch Klauke von Rogue Wave erfahren: "Viele sind gebrannte Kinder aus den Unix-Kriegen."

Und erstes "Opfer" des Trends zu Linux dürfte der in den letzten Jahren schon gelichtete einstige Dschungel der Unix-Derivate werden. In nicht sehr ferner Zeit könnten neben Linux nur noch drei Derivate eine Rolle spielen, so Klauke: IBMs AIX, HP-UX und Suns Solaris. Seine Schlussfolgerung: "Wenn die Standards nicht von den Entwicklern kommen, dann erzwingt der Markt sie."

Hohndel hält das Warten auf die Macht des Marktes nicht für ausreichend: "Ich erlebe hier kein Gespräch, ohne dass die Rede auf Standards käme." Die Arbeit der Free Standards Group sei "der Schlüssel zum Erfolg". Hohndel lobte vor versammeltem Auditorium ausdrücklich den Konkurrenten Caldera für sein Engagement in den Standardisierungsbemühungen. Er erwartet erste wirkungsvolle Gemeinschaftsspezifikationen für Linux-Distributionen, die Linux Standard Base (LSB), für Anfang nächsten Jahres.

Hohndel möchte sogar schnell noch weiter vorankommen: "LSB sollte auch das Desktop-User-Interface standardisieren." Man müsse "sicherstellen, dass unabhängige Softwarehäuser wie in der Windows-Welt für eine Standard-GUI entwickeln können". Das muss nicht darauf hinauslaufen, dass die beiden konkurrierenden Open-Source-Projekte KDE und Gnome ihre Arbeiten an einer Linux-Benutzeroberfläche zu einem Produkt vereinen. Aber es geht eindeutig in diese Richtung.

Deutsche Linuxworld mit gutem Start

MÜNCHEN (CW) - Die erste deutsche Veranstaltung der internationalen "Linuxworld Conference & Expo" unter der Regie von International Data Group (IDG) hat die Erwartungen der Veranstalter übertroffen.

Zufrieden zeigt sich IDG, Muttergesellschaft der COMPUTERWOCHE, mit dem Verlauf der Linuxworld, die vom 5. bis 7. Oktober 2000 auf dem Frankfurter Messegelände stattfand. Mit mehr als 11000 Fachbesuchern wurde das gesetzte Ziel um rund zehn Prozent übertroffen. Laut Befragung durch die Veranstalter kamen 87 Prozent der Besucher aus beruflichem Interesse, genauso viele erklärten, Kaufentscheidungen in ihren Unternehmen zu beeinflussen.

Als gut bis sehr gut beurteilten 92 Prozent der Ausstellungsgäste das Informationsangebot, das über 100 Aussteller auf rund 9000 Quadratmetern präsentierten. Mehr als 40 Prozent der Firmen haben bereits Ausstellungsfläche für die nächstjährige Linuxworld gebucht.

Verschiedene Panel-Diskussionen leitete der Open-Source-Evangelist Jon "Maddog" Hall von Linux International. Besonders reger Andrang herrschte erwartungsgemäß bei den Reden der Open-Source-Prominenz, insbesondere bei den Auftritten von Linux-Erfinder Linus Torvalds (Interview in CW 41/00, Seite 9).

Die Aussteller registrierten auf ihren Ständen ein gemischtes Publikum von Softwarehaus-Mitarbeitern, über Entscheider und IT-Profis bis zu Studenten. Insgesamt scheine, so Walter Schumann, Chef der jungen deutschen VA-Linux-Tochter, "das Ziel eines Business-to-Business-Events gut umgesetzt zu sein". Andreas Schmidt, Director Professional Services bei Apptime, erlebte "viele Systemadministratoren und Entscheider" mit entsprechenden Fragen: "Die wissen, was sie wollen." Dirk Hohndel, Mitbegründer und Chief Technology Officer des Nürnberger Linux-Distributors Suse, hatte "hier vor allem den Level Projektleiter und Programmierer" erlebt. Ihm wären "mehr Topentscheider" lieber gewesen.

Ein Messethema hinter den Kulissen war die vielerorts bedauerte Konkurrenz von Linustag und Linuxworld. Viele Aussteller plädierten für eine einzige Veranstaltung, da sonst die personellen und finanziellen Belastungen für die oft kleinen und jungen Unternehmen in der Open-Source-Welt zu groß seien. Suse-CTO Hohndel sieht hingegen "kein Problem mit zwei dedizierten Linux-Veranstaltungen, wenn die Zielgruppen sich klar unterscheiden". Allerdings appelliert er an die Veranstalter der deutschen Linux-Events: "Man kann ja von der Open-Source-Community etwas lernen: Gemeinsam geht es besser."

Eine Linux-Basis

Turbolinux, einer der "großen Vier" und in Asien marktführender Linux-Distributor, spricht sich jetzt deutlich stärker als bisher für Linux-Standards aus. Der seit Juni 2000 amtierende Chief Executiv Officer Paul Thomas rechnet mittelfristig mit einer einheitlichen Linux-Version: "Der Weg geht zu einer einzigen generischen Distribution, die wir alle benutzen werden." Es sei Zeit für eine Konsolidierung: "Die Welt braucht keine 150 Linux-Abarten."

VA Linux schreibt Awards aus

Auf der Frankfurter Linuxworld hat VA Linux den "First European Open Source Award" ausgeschrieben, dessen Gewinner im Rahmen der Pariser Linuxworld im nächsten Jahr prämiert werden soll. In vier Kategorien gibt es Preise:

Der "Enterprise Award" honoriert mit 10000 Dollar die erfolgreichste Implementierung einer Open-Source-Lösung in einer Unternehmensumgebung. Der "ISV Award" bringt für herausragende Leistungen eines unabhängigen Softwareanbieters bei der Nutzung von Open-Source-Lösungen 15000 Dollar ein. Die gleiche Geldsumme erwartet den oder die Gewinner des "Community Award" für ein von der Entwicklergemeinde selbst gekürtes innovatives quelloffenes Softwareprojekt. Mit 25000 Dollar gibt es das höchste Preisgeld in der Kategorie "Exeptional Contribution", die ein außergewöhnlich erfolgreiches Open-Source-Projekt aus der europäischen Linux-Community auszeichnet.

Die Schirmherrschaft der Ausschreibung übernimmt VA-Linux-Chef Larry Augustin. Die Jury besteht aus Linus Torvalds, Jon "Maddog" Hall, Dirk Hohndel, Wichert Akkerman und Philippe Derivet.