Nur Lizenzierungsgebaren und NDAs Gegenstand des Abkommens Microsoft schliesst Burgfrieden mit EU und US-Justizministerium

29.07.1994

MUENCHEN (jm) - Microsoft hat mit dem US-Justizministerium und der EU-Kommission Directorate-General IV (DG IV) ein "Consent-Decree-" beziehungsweise "Undertaking"-Abkommen geschlossen. Gegenstand der gleichlautenden Vereinbarungen sind Microsofts Lizenzierungsvertraege mit OEM-Partnern sowie die Stillschweigeabkommen mit Software-Entwicklern. Nach Meinung der meisten Insider und Industriebeobachter kann Microsoft das Abkommen als grossen Sieg werten.

"Die Vereinbarung wird keinen wesentlichen Einfluss auf den Markt haben", urteilt Dataquest-Analyst Andrew Baul-Lewis. Windows habe etwa in Europa eine noch viel groessere Marktakzeptanz als in den USA, weswegen "ich mir nicht vorstellen kann, dass dieser Consent Decree IBM oder einem der anderen Konkurrenten jetzt neue Chancen eroeffnet".

Microsoft, so Baul-Lewis weiter, werde praktisch zu nichts gezwungen. Wie Christian Wedell, Direktor Zentraleuropa von Microsoft, glaubt auch der Dataquest-Mann, im besten Fall koennten einige PC-Hersteller nun etwas attraktivere Vertraege mit der Gates-Company abschliessen.

Vielleicht gestalten sich durch die jetzt getroffene Vereinbarung zwischen Microsoft einerseits und den US- und Europa-Behoerden andererseits die Marktverhaeltnisse fuer europaeische Konkurrenten ein klein wenig fairer. Das meinte jedenfalls Keith Mallinson von der Yankee Group:

"Aber der Consent Decree wird weder Microsoft noch Windows umbringen."

Mit dieser Einschaetzung trifft Mallinson ziemlich genau die Stimmung im Hauptquartier des Softwarekroesus. Dessen Chef William H. Gates konnte anlaesslich einer Telefonkonferenz kaum seine Genugtuung ueber den Ausgang der mittlerweile vier Jahre langen Untersuchung verbergen, die im Juni 1990 von der US-Kartellbehoerde aufgenommen und im Herbst 1993 vom Justizministerium an sich gerissen wurde.

Die Frage, welche Auswirkungen der Consent Decree fuer Anwender haben werde, beantwortete der Branchenueberflieger kurz und buendig: "Ich sehe keine unmittelbaren Effekte." Obwohl die PC-Hersteller den Benutzern seit Jahren verschiedene Betriebssystem-Alternativen anboeten, wuerden viele Kaeufer Windows vorziehen. Gates selbstsicher: "Ich denke, dass bleibt auch so in Zukunft."

Duncan Baldwin, Novells Europadirektor fuer externe Beziehungen, aeusserte in einer ersten Einschaetzung, im grossen und ganzen koennten alle Apologeten des freien Handels den Consent Decree als gute Nachricht verbuchen. Bedeute das Abkommen doch Wahlfreiheit fuer Kaeufer und eroeffne Firmen wie Novell oder anderen Independent Software Vendors (ISVs) groessere Moeglichkeiten.

Baldwin bezog sich vor allem auf die Abschaffung der Pro- Prozessor-Lizenzierung, die Microsoft OEM-Partnern in der Vergangenheit vorgeschlagen hatte. Danach - monierten Konkurrenten - haetten die Manager aus Redmond solchen OEM-Partnern besonders guenstige Konditionen eingeraeumt, die fuer jeden verkauften Rechner Lizenzgebuehren an den PC-Software-Monopolisten abfuehrten. Hierbei war es voellig unerheblich, ob ein Microsoft-Betriebssystem oder ein Wettbewerbsprodukt wie etwa DR-DOS aufgespielt wurde.

Konkurrenten wie Kartellrechtler werteten diese Vorgehensweise als Versuch, Anbieter anderer Betriebssysteme vom Markt auszugrenzen. Das britische Unterhaus wie auch die EU-Kommission hatten die fragwuerdige Lizenzierungspraxis zum Anlass genommen, im Fruehjahr/Sommer 1993 wettbewerbsrechtliche Untersuchungen gegen den Softwaregiganten einzuleiten.

Microsoft konnte sich gegenueber dem US-Justizministerium sowie dem Bruesseler DG IV nun mit der Ansicht durchsetzen, bei der in Zukunft praktizierten Pro-System-Lizenzierung habe der OEM- Hardwarepartner wesentlich mehr Freiheiten als bisher. Bei dieser Gebuehrenkalkulation bezeichnet der PC-Anbieter gegenueber Microsoft dezidiert Systemreihen mit bestimmten Prozessoren - etwa ein System mit 486-CPU und 33 Megahertz Taktrate -, fuer die er sich das Recht erkaufen will, ein Microsoft-Betriebssystem aufzuspielen.

Auch bei dieser Variante rechnen die Vertragspartner ohne Beruecksichtigung des tatsaechlich installierten Betriebssystems die insgesamt verkauften PCs ab, aus deren Zahl sich die Hoehe der Lizenzgebuehren ergibt.

Gegenueber der COMPUTERWOCHE verteidigte sich William Neukom, Microsofts oberster Justitiar und Chefunterhaendler, gegen den Vorwurf, bei dem neuen Lizenzierungsverfahren handle es sich um Etikettenschwindel, bei dem einem Kind lediglich ein anderer Name verpasst werde. Glaube ein PC-Hersteller, Bedarf an einer bestimmten Prozessor- beziehungsweise Rechnerklasse zu erkennen, so koenne er eine solche in seinem Produktspektrum neu definieren. Diese PC-Linie sei dann nicht Gegenstand der Lizenzierungsvereinbarung mit Microsoft.

Abgesehen von dieser Gebuehrenvariante koennen sich OEM-Partner aber auch fuer das Recht entscheiden, beliebig viele Ko-

pien von Microsoft-Betriebssystemen zu erstellen, diese auf ihren Rechnern zu installieren und hierfuer zu zahlen.

In der Vergangenheit gaben einige Hardware-Anbieter zudem Verpflichtungserklaerungen (advanced/minimum commitments) ab, Microsoft fuer die geltende Dauer einer OEM-Vereinbarung eine vorher festgelegte Menge von Softwareprodukten abzunehmen. Auch dieses Vorgehen wurde mit dem Consent Decree unzulaessig. Wie bisher, so Microsofts Rechtsbeauftragter fuer Europa Brad Smith, werden aber auch zukuenftig Abnehmern grosser Stueckzahlen interessante Preise eingeraeumt.

Neu ist darueber hinaus, dass die Gates-Company nur noch OEM- Vertraege mit einer Laufzeit von einem Jahr abschliesst, mit der Option, diese Abkommen um weitere zwoelf Monate zu verlaengern. Der Optimismus einiger Marktbeobachter, beispielsweise des Novell- Mannes Baldwin, naehrt sich zudem aus den Verpflichtungen, die Microsoft bezueglich kuenftiger Stillschweigeabkommen, sogenannter Nondisclosure-Agreements (NDAs), eingegangen ist: "Applikationsentwickler wie die unserer Wordperfect-Gruppe duerfen jetzt Anwendungen fuer Windows, gleichzeitig aber auch fuer Betriebssysteme des Wettbewerbs entwickeln", erlaeutert Baldwin.

In der Vergangenheit hatte Microsoft in Stillschweigeabkommen von ISVs verlangt, deren Entwickler duerften, so sie fuer Microsoft- Betriebssysteme Anwendungen entwerfen, nicht gleichzeitig an Konkurrenzprodukten arbeiten. Als Wordperfect das Vorgehen im Fruehjahr 1994 oeffentlich machte, zog William H. Gates diese Forderung wieder zurueck.

Kernpunkte des Consent Decree

1. Die Dauer von OEM-Abkommen wird reduziert auf ein Jahr mit der Option, solche Vertraege um zwoelf Monate zu verlaengern.

2. Verpflichtungserklaerungen von OEM-Partnern zur Mindestabnahme von Microsoft-Softwareprodukten (minimum/advanced commitments) fallen weg.

3. Microsoft gibt die Praxis der Pro-Prozessor-Lizenzierung auf.

4. NDAs (etwa zu Chicago) werden nur noch fuer ein Jahr abgeschlossen. Kommt ein entsprechendes Betriebssystem vorher auf den Markt, gilt das Abkommen bis zu diesem Zeitpunkt. ISVs duerfen gleichzeitig fuer Microsoft und fuer Konkurrenzunternehmen Anwendungen entwickeln.