Novell: Mit Linux zum One-Stop-Shop

21.08.2003
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

Allerdings ist das gerade erst erschienene Netz-Betriebssystem Netware 6.5 nur ein erster Schritt auf Novells Weg in Richtung Linux und Open Source. Ende des Jahres folgt mit den "Nterprise Linux Services 1.0" Novells erste Adaption der hauseigenen Netzdienste auf Basis dieses Betriebssystems (siehe Kasten "Novells Produktpläne im Detail"). Nach Novell-internen Angaben werden die Linux Services in der ersten Version etwa 50 Prozent der Funktionalität einer klassischen Netware abdecken. Die Netzdienste lassen anfangs auf den Linux-Distributionen von Red Hat und Suse nutzen. Für später zieht der Hersteller auch eine Unterstützung von anderen Varianten wie etwa Turbo-Linux in Betracht.

Netware goes Linux: Das Fernziel, eine Netware mit Linux- und Netware-Kernel, steuert Novell über mehrere Zwischenschritte an. (Quelle: Novell)
Netware goes Linux: Das Fernziel, eine Netware mit Linux- und Netware-Kernel, steuert Novell über mehrere Zwischenschritte an. (Quelle: Novell)

Anfang 2004 migriert die Company dann ihre Collaboration-Plattform "Groupwise" auf Linux. Zu diesem Zeitpunkt sollen sowohl ein entsprechender Client erhältich sein als auch die eigentliche Groupware-Anwendung unter dem Pinguin-Betriebssystem laufen. Zudem ist ein Konnektor im Gespräch, der eine Verbindung zwischen Novells Groupwise und Ximians Evolution sicherstellt. Das Fernziel ist allerdings die Verschmelzung beider Groupware-Plattformen in einem Produkt. Ebenfalls im Frühjahr 2004 will Novell mit einem automatischen Patch-Management den Update-Wirrwarr der Vergangenheit endgültig auflösen. Bei der Entwicklung dieses Tools wird die Company vermutlich von Ximians Know-how in Sachen Red Carpet profitieren.

Einen weiteren Meilenstein in Richtung Linux markieren Ende 2004 die Nterprise Linux Services 2.0. Sie warten dann, so die heutigen White Papers, mit 98 Prozent der Netware-6.5-Funktionalität auf. Die endgültige Verschmelzung der Linux- und Netware-Linien ist dann für Mitte 2005 mit dem Nachfolger von Netware 6.5 anvisiert. Netware 7.0 besitzt nämlich sowohl einen Linux- als auch einen Netware-Kernel, wobei sich beide Varianten bezüglich des Funktionsumfangs nicht mehr unterscheiden sollen.

Auch wenn Unternehmen wie MLP oder Lufthansa Systems Novells Linux-Ausrichtung begrüßen, etliche Netware-Anwender dürften noch Kopfschmerzen bekommen, wenn es zum endgültigen Linux-Schwur kommt. Zwar versprechen die Netzwerker, dass traditonelle Netware-Benutzer auch künftig nicht in die Röhre schauen, der Wechsel der Betriebssystem-Plattform hat in der Praxis aber tief greifende Konsequenzen. So laufen etwa Applikationen, die in der Vergangenheit auf Basis von Novells NLM-Konzept (Netware Loadable Modules) entwickelt wurden, nicht unter Linux. Anwender, die also vorhandene Netware-Anwendungen wie Fax-Server oder Backup-Programme in einer Linux-Umgebung weiternutzen wollen, sind somit gezwungen, parallel zu den Netware Services for Linux einen dedizierten Netware-Server weiterzubetreiben. Oder sie migrieren ihre Anwendungen auf Open Source, Java oder Web-Services. Das Problem mit den Legacy-Programmen sieht zwar auch Novell, doch in den Augen der Netzwerker überwiegen bei der Abkehr vom NLM-Modell die Vorteile: Durch die Unterstützung von Open Source, Java und Web-Services werde die Anwen-dungsentwicklung für Partner und unabhängige Softwareentwickler vereinfacht, da sich diese über standardisierte APIs und Schnittstellen in die Novell-Netzdienste einklinken könnten. Letztlich dürfte bei dieser Argumentation die Hoffnung mitschwingen, auf diese Weise wieder mehr Entwickler für Zusatzdienste zu gewinnen, denn in den letzten Jahren sank die Zahl der NLM-Programmierer kontinuierlich.

Ebenfalls Geschichte ist in der Linux-Welt die Bindery der älteren Netware-2.x- und -3.x-Server. Dieses flache Verwaltungsprinzip wird unter Linux nicht mehr unterstützt - auch nicht in Form einer Emulation wie unter Netware 4.x und 5.x. Sollen die älteren Server im Einsatz bleiben, so kann auf sie nur zugegriffen werden, wenn ein weiterer Netware-Server mit einer neueren Version des Betriebssystems die Bindery in den Directory-Context überträgt. Das Aus für die Bindery dürfte vor allem Anwender schmerzen, die bereits seit langem die Netware-3.x-Plattform als stabilen File- und Print-Server schätzen. Denn diese Urversionen laufen, wie User berichten, teilweise seit 1995 ununterbrochen ohne einen einzigen Reboot und erlauben selbst einen Festplattenwechsel im laufenden Betrieb. Eine Zuverlässigkeit, von der Microsoft nur träumen kann.