Novell erwacht aus seinem Koma

30.11.2004
Mit dem Fokus auf Linux und Open Source hat der Hersteller die Talsohle verlassen. Große Hoffnungen ruhen nun auf dem angekündigten Netware-Nachfolger "Novell Open Enterprise Server".

Wenn der Spruch "Totgesagte leben länger" in der IT auf einen Hersteller zutrifft, dann auf Novell. Es gibt nur wenige Unternehmen, die solche Höhen und Tiefen durchlitten haben. Die Company, die 1983 mit ihrem Betriebssystem "Netware" das File- und Print-Sharing in Unternehmensnetzen salonfähig machte und Anfang der 90er Jahre mit einem Marktanteil von 70 Prozent den Neid von Bill Gates weckte, sackte in der Folge unter dem Wettbewerbsdruck von Microsoft ab.

Doch nicht nur der Konkurrent aus Seattle, auch strategische Fehler des Managements brachten Novell aus der Erfolgsspur. Nur der weithin gelobten Stabilität der Netware-Server und wegweisenden Entwicklungen wie den "Netware Directory Services" war und ist es zu verdanken, dass viele Netware-Jünger dem Unternehmen die Treue hielten und bis heute das Überleben sicherten.

Dennoch nahm die Erosion der Kundenbasis weiter ihren Lauf und stürzte Novell sogar in die Verlustzone. In den letzten Jahren mehrten sich deshalb die Stimmen, die keinen Pfifferling mehr auf das Unternehmen gaben - bis zum Herbst 2003: Da überraschte der Anbieter die Branche mit dem Kauf der Linux-Anbieter Ximian und Suse. Mit diesem Open-Source-Schwenk aus heiterem Himmel zeigte Novell seinen Kunden plötzlich einen Ausweg aus der Netware-Sackgasse auf.

Ein Jahr nach Bekanntwerden des Strategiewechsels deutet nun einiges darauf hin, dass Novell das Gröbste überstanden hat. Der Hersteller schloss alle vier Quartale des Fiskaljahrs 2004 im Plus ab und schrieb insgesamt einen Gewinn von 57,2 Millionen Dollar. Trotzdem ist weiter Vorsicht geboten, denn nun hängt alles davon ab, ob die Einbußen im Netware-Lizenzgeschäft durch Linux- und andere Novell-Produkte wie den "Identity Manager" (Verzeichnis- und Anwendungsintegration), "Border Manager" (Sicherheit) oder "Zenworks" (Systemverwaltung) aufgefangen werden können.

Wie sehr Novell künftig vom Erfolg des Open-Source-Betriebssystems abhängt, verdeutlicht das abgelaufene Geschäftsjahr. Der Anbieter musste im Jahresdurchschnitt bei den Einnahmen aus Softwarelizenzen einen Rückgang von über zehn Prozent hinnehmen. Dabei sanken die Netware-Umsätze im Jahresmittel sogar um 13 Prozent, allerdings konnte das Unternehmen diese Verluste mit dem Service- und Wartungsgeschäft mehr als wettmachen.

Novell sieht sich also weiter mit einer Abwanderung der Netware-Kunden konfrontiert, die mit Hilfe des Linux-Portfolios gestoppt werden soll. Als erstes Anzeichen für eine erfolgreiche Weichenstellung in diese Richtung wertet Horst Nebgen, Geschäftsführer der Novell GmbH, das letzte Halbjahr. Im dritten und vierten Quartal des soeben beendeten Fiskaljahres trug Linux bereits mit jeweils zwölf Millionen Dollar zum Umsatz bei.

Linux-Geschäft im Plan

Gemessen an den Quartalseinnahmen von jeweils rund 300 Millionen Dollar nimmt sich der Linux-Anteil jedoch noch bescheiden aus. Dennoch ist Nebgen mit der Entwicklung zufrieden: "Wir sind im Plan", erklärt er. Dem Manager zufolge verläuft das Wachstum im zweistelligen Bereich. Novell habe im vierten Quartal über 21 000 Einheiten des Suse Linux Enterprise Servers (SLES) vermarkten können.

Wie stark die Linux-Produkte (siehe Kasten "Novells Linux-Portfolio") im laufenden Geschäftsjahr zum Gesamterlös der Software- und Serviceschmiede beitragen sollen, darüber schweigt sich Novell aus. CEO Jack Messman verweist lediglich auf die allgemeinen Prognosen der Marktforscher, die Linux im Jahr 2005 ein Wachstum zwischen 30 und 35 Prozent attestieren.

Das größte Wachstumspotenzial werde auf der Server-Seite gesehen, präzisiert Nebgen die Analystenaussagen und auch die Hauptstoßrichtung seines Arbeitgebers. "In unseren Planungen spielt der Desktop umsatztechnisch im laufenden Geschäftsjahr eine deutlich kleinere Rolle", sagt er. Allerdings registriere sein Team in Deutschland ein enormes Interesse an Linux-Desktop-Lösungen.

Einige Finanzanalysten zweifeln dennoch, ob Novell das Linux-Business auf die Schnelle so stark ankurbeln kann, dass die Netware-Ausfälle ausgeglichen werden. Die Wallstreet rümpfte bereit über den Umsatz des vierten Quartals die Nase und verweist darauf, dass die Netware-Einnahmen seit vier Jahren kontinuierlich sinken. Es werde nicht Monate, sondern Jahre dauern, bis die Linux-zentrierte Strategie finanziell tragfähig sei und die Linux-Plattform Cross-Selling-Effekte mit anderen Novell-Produkten erzeugen könne, orakelten Finanzanalysten.

So skeptisch beurteilt Andreas Zilch vom Kasseler Marktforschungs- und Beratungshaus Techconsult die Zukunft von Novell nicht. Natürlich könne das Suse-Geschäft das klassische Novell-Business heute noch nicht auffangen, aber immerhin bereits stützen. "Der entscheidende Punkt ist, dass Novell mit Linux jetzt eine neue Plattform unter seine Services schiebt", meint Zilch und ergänzt: "Novell baut seine Zukunft nicht auf der Basisplattform Netware auf, sondern auf Services eine Architekturstufe höher, wie zum Beispiel Verzeichnisdienste oder Identity-Management." Deshalb sei es wichtig, möglichst schnell viele der Produkte, mit denen Novell Geld verdient, auf der Linux-Plattform auszubreiten.

Nach Einschätzung des Marktbeobachters hat das Unternehmen die Zeit für die Integration der Ximian- und Suse-Produkte mit den Novell-Diensten bisher sehr gut genutzt. In dem "Novell Linux Desktop" habe die Company die wesentlichen Features der beiden Zukäufe bereits vereint, und mit dem "Novell Open Enterprise Server" (NOES) stehe ein Produkt vor der Tür, das Netware-Bestandskunden einen ernst zu nehmenden Migrationspfad zu Linux biete. Nach Zilchs Beobachtung ist bereits erkennbar, dass sich am Markt das Linux-Image von Novell ausprägt.

"Wir arbeiten intensiv daran, uns im Markt grundsätzlich als Linux-Hersteller zu positionieren", bestätigt Nebgen diese Marschroute. Dabei setzt Novell stark auf Kooperationen. Seit Januar, so der Deutschland-Chef, hätten weltweit über 1100 Anbieter ihre Hard- und Softwarelösungen für den Suse Linux Enterprise Server zertifizieren lassen. Dazu zählen aus dem Softwarelager Akteure wie SAP, die Software AG, Hyperion oder Intershop, während auf Seiten der Hardwarelieferanten nach IBM und Hewlett-Packard nun auch noch Dell als Mitspieler gewonnen werden konnte.

Red Hat auf den Fersen

Mit dem Geschäftsmodell der Partnerschaften versucht Novell, den Hauptkonkurrenten Red Hat mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und den Bekanntheitsgrad der Suse-Distribution über die Grenzen Europas hinaus zu steigern. "Solche Vereinbarungen haben weltweite Signalwirkung", meint Nebgen und ist überzeugt, dass Novell gegenüber Red Hat stark aufgeholt hat. Es gebe bereits Hinweise einiger Hersteller, so der Geschäftsführer, komplett von Red Hat auf Suse zu wechseln, weil Novell ein Player von weltweiter Größenordnung sei und deshalb über eine bessere Vertriebs- und Supportstruktur verfüge.

Die Bedenken mancher Finanzanalysten über die künftige Entwicklung von Novell hält Nebgen für überzogen. Das Unternehmen sei wieder profitabel und habe seinen Umsatz gesteigert. Außerdem verfüge man über 1,2 Milliarden Dollar an liquiden Mitteln. Nebgen warnt außerdem davor, Novell nur am Rückgang des Lizenzgeschäfts zu messen. Der Umsatz werde in diesem Segment aufgrund des Linux-Geschäftsmodells, das Novell bewusst gewählt habe, vermutlich weiter sinken, weil das Unternehmen von einigen Produkten keine Lizenzen mehr verkaufe. Stattdessen wolle man mehr mit Wartung und Service einnehmen.

Microsoft-Kunden im Visier

Lizenzen sollen aber auch künftig verkauft werden, vor allem vom neuen Novell Open Enterprise Server (NOES), auf dem die Hoffungen der Novell-Strategen ruhen. Das Produkt soll die Netware-Gemeinde bei der Stange halten und ihr die Migration auf Linux schmackhaft machen. Der NOES wird über einen Linux- und einen Netware-Kernel verfügen und den Kunden laut Nebgen die Vorzüge beider Server-Welten bieten.

Für den Novell-Manager ist damit auch das Thema Netware-Schwund weitgehend vom Tisch. Er wertet die weltweit 1600 Anfragen von Netware-Kunden, die bereits am Betaprogramm teilnehmen wollten, als Indiz für ein großes Interesse an dem Produkt. Außerdem schließt Nebgen aus dem rückläufigen Abwanderungstrend der Netware-Nutzer im vierten Quartal, dass beim Stammpublikum die Botschaft vom angekündigten Netware-Linux-Kombi-Server angekommen ist und dieser in den Migrationsplänen eine wichtige Rolle spielt.

Novell möchte mit dem Produkt aber nicht nur in eigenen Gewässern fischen, sondern auch in denen von Microsoft. "Wir wollen Microsoft-Kunden motivieren, von ihren aufwändigen Windows-Plattformen auf den Novell Open Enterprise Server mit seinen zusätzlichen Workgroup-Features zu migrieren", gibt sich Holger Dyroff, Vice President Product Management für Suse Linux bei Novell, selbstbewusst.

Zwitterlösung birgt Risiken

Inwiefern Novell mit diesen Überlegungen die Rechnung ohne die Bestands- und Neukunden macht, bleibt abzuwarten. "Ich hätte Bedenken, mit einem sofortigen Produktiveinsatz auf die Nase zu fallen. Man weiß nicht, ob nicht dasselbe passiert wie damals bei der Einführung von Netware 4.0, als einige Details übersehen wurden", zögert Markus Hildebrand, Leiter technische IT bei Schwan Cosmetics, eigentlich ein bekennender Novell-Fan.

"Das ist noch nicht das Ei des Kolumbus", mahnt auch Marktforscher Zilch vor Euphorie und glaubt nicht, dass sich die Anwender gleich in Scharen auf den Netware-Nachfolger stürzen werden. Marketing-technisch kommt die Zwitterlösung nach Ansicht des Beraters aber zum richtigen Zeitpunkt. Netware-Anwender hätten nun gute Chancen, ihre gewohnten Services sowie die Zuverlässigkeit ihrer Novell-Umgebungen auf Linux zu portieren, während dies bei Windows-Plattformen kaum möglich gewesen sei.

Zilch räumt Novell deshalb Chancen ein, mit seinem Linux-Portfolio auch Neukunden zu erobern. Es gebe Unternehmen, die sich bisher nicht für Novell interessiert hätten, nun aber im Zusammenhang mit Linux das Angebot der Company studierten. Microsoft habe sicher nicht zufällig jetzt ein Programm gestartet, um Netware-Kunden auf den Windows Server 2003 zu locken. Nach Meinung von Zilch wird diese Initiative sehr schwer für Microsoft werden: "Jetzt, da Novell wieder im Aufwind ist, wird Microsoft sicher größere Probleme mit der Migration der Netware-Anwender haben. Diese glauben mittlerweile wieder an die Zukunftssicherheit von Novell und sind zumeist ebenso treue Kunden wie die der AS/400."