Zukunft des Desktop/Gibt es ein Ende der Microsoft-Monokultur im PC-Sektor?

Neue Optionen für Unternehmen dank Java-basierter Office-Suites

18.09.1998

Bisher haben Anbieter typischer Office-Pakete ihre Produkte mit einer Vielzahl von Funktionen überladen. Da jedoch Anwender für den Einsatz in Unternehmen zunehmend leicht administrier- und installierbare Lösungen fordern, offerieren Hersteller nun auch schlanke, auf Java basierende Standardsoftware für Büroaufgaben.

Diese Pakete liefern einen neuen Typ Java-basierter Anwendungen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentationsgrafik oder Adreßverwaltung für Network-Computing-Umgebungen. Durch ihren plattformunabhängigen Aufbau, ihre Kompaktheit und ihre Modularität können diese Applikationen schnell vom Netz heruntergeladen werden und garantieren eine hohe Leistung sowohl am Netzcomputer (NC) als auch am PC.

Insofern sind die Java-Office-Suites, die fast alle führenden Hersteller parallel zu ihren klassischen Büropaketen anbieten, eine erste Antwort auf die Herausforderung, Anwendungen für das Network-Computing zur Verfügung zu stellen. Diese abgespeckten Suites sind im Netz konfiguriert und laufen auf einfachen Geräten.

Führende Marktforschungsunternehmen erklären in diesem Zusammenhang übereinstimmend: Die überwältigende Mehrheit der Anwender im professionellen Bereich nutzt gerade 20 Prozent der Funktionalität konventioneller Office-Suites, um in Teilaufgaben zerlegte Arbeitsschritte auszuführen.

Inzwischen ist Microsoft der einzige Hersteller von Office-Produkten, der kein in Java programmiertes, auf das neue Network-Computing-Modell ausgerichtetes Büropaket anbieten will. Durch die Java-basierten Programme befürchtet der Softwaregigant, große Markteinbrüche beim klassischen "Office"-Produkt zu erleiden, und bevorzugt deshalb statt der offenen und herstellerunabhängigen Java-Plattform eigene, proprietäre Technologien wie Active X.

Microsoft verharrt weiter auf dem Konzept der autonomen Fat Clients, die jedoch relativ hohe Hard- und Softwarekosten sowie einen großen Verwaltungsaufwand verursachen. Die meisten anderen Hersteller dagegen haben die Anforderungen der Anwender erkannt und bieten die neue Technologie alternativ zu ihren bestehenden Produkten an.

Die IT-Verantwortlichen in den Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, die Gesamtkosten der Computernutzung zu senken und zugleich mehr Mitarbeitern Zugriff auf DV-Ressourcen, auf noch mehr Daten und Anwendungen zu gewähren. So bieten Hersteller wie Applix, Corel, Lotus Development oder Star Division mit Java-Office-Suites eine neue Klasse von maßgeschneiderten, aufgabenzentrierten Bürolösungen. Deren Ziel besteht insbesondere darin, die laufenden Betriebskosten von Büroanwendungen zu senken, die Produktivität zu steigern und neue Applikationen für das Internet und die Intranets schneller zu realisieren.

Anyware Office von Applix

"Anyware Office" von Applix ist in drei Schichten aufgebaut: die Benutzeroberfläche (Client), die Programm-Engine (auf dem Server) und die Benutzertransaktionen. Bei diesem relativ starren Modell liegt die Arbeitslast weitgehend beim Server. Aufgrund der Zentralisierung müssen im Hintergrund leistungsfähige Server arbeiten, während die Clients nur die grafische Darstellung auf dem Bildschirm übernehmen.

Die recht komfortable Textverarbeitung und die Tabellenkalkulation von Anyware Office entsprechen weitgehend dem Standard. Obwohl das Produkt über keine brauchbaren Importfilter verfügt, ist die Funktionalität für das Tagesgeschäft vollkommen ausreichend. Darüber hinaus sind Module für E-Mail, Web-Publishing und Präsentationsgrafik vorhanden. Es fehlen jedoch persönliche Dienste wie Kalender-Management, eine spezifische Teamunterstützung und eine Datenbank.

Open-J und J-Bridge von Corel

Corel bietet mit "Open-J" und "J-Bridge" zwei Java-Office-Produkte an, die auf unterschiedlichen Konzepten aufbauen. Open-J basiert auf einer Zweiteilung der Anwendung, bei der einfache Funktionen wie die Ein- und Ausgabe von Befehlen auf dem Client und alle rechenintensiven Prozesse auf den Server stattfinden. Bei dieser Variante hat Corel bewußt darauf verzichtet, den vollen Umfang der Word-Perfect-Suite neu zu implementieren, und sich lediglich auf die Bereitstellung von Hauptfunktionen beschränkt. Open-J bietet deshalb Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationsgrafik nur als sogenannte Light-Version.

Als Alternative hierzu gibt es, technologisch völlig unabhängig von Open-J, die J-Bridge, die einen Java-Client-Zugang zu konventioneller Software auf Servern ermöglicht. Diese stellen alle notwendigen Informationen zur Verfügung und suggerieren dem Nutzer, er hätte einen PC vor sich.

Das Programmpaket stellt Textverarbeitung, Tabellenkalkulation sowie Präsentationsgrafik in vollem Umfang der Word-Perfect-Suite zur Verfügung, wobei jedoch die Datenbank fehlt. Dafür ist eine umfassende E-Mail-Funktionalität vorhanden, die sich bei Open-J noch in Planung befindet.

E-Suite Workplace von Lotus

Bei "E-Suite Workplace" liegen die Textverarbeitung, die Tabellenkalkulation sowie die Präsentationsgrafik in abgespeckten Versionen vor, die sich leicht installieren und administrieren lassen. Die Kommunikation ist über E-Mail-Standards möglich, und es werden auch persönliche Dienste geliefert. Darüber hinaus verfügt die E-Suite über eine umfangreiche Unterstützung von Teamarbeit in Unternehmen sowie über Web-Publishing.

Auf die Implementierung einer Datenbank hat Lotus Development jedoch verzichtet, da in den meisten Unternehmen die Datenbank eine Welt für sich ist, die nicht aus der Office-Suite heraus bedient wird. Deshalb müssen aus der Sicht dieser Unternehmen die Office-Pakete keine eigene Datenbankfunktionalität bieten, sondern nur den Zugriff auf die Unternehmensdatenbank erlauben.

Bei dem von Lotus entwickelten Konzept des mobilen Offline-Einsatzes wählt sich ein Anwender, zum Beispiel ein Außendienstmitarbeiter oder ein Geschäftsreisender, mit einem Thin Client (NC oder abgespeckter PC) über das Internet in das Firmen-LAN ein, um seine Office-Anwendungen zu laden. Danach arbeitet er offline weiter. Erst nach Beendigung der Arbeit muß der Nutzer die Daten wieder im Intranet seines Unternehmens abspeichern. Damit setzt diese Lösung keine ständige Netzverbindung voraus und ermöglicht es außerdem, Arbeiten auch ohne konstant fehlerfreie Netze zu erledigen.

Star Office for Java von Star Division

"Star Office for Java" basiert auf einer Zweiteilung der Anwendung in Client und Applikations-Server, der eine variable Aufgabenverteilung zwischen beiden ermöglicht. Dabei sorgt der Applikations-Server auch für eine optimale Lastverteilung zwischen dem Client und dem zentralen Server, indem er automatisch die Ressourcen der lokalen Rechner analysiert und sich auch veränderten Netzbelastungen anpaßt. Aus Performance-Gründen setzt Star Division jedoch nicht nur auf Java, sondern hat die Clients parallel in C++ für Plattformen wie Windows NT und Sun Solaris implementiert und will auch Main- frames unterstützen.

Star Division stattet die Java-Version mit dem vollen Funktionsumfang von "Star Office 4.0" aus und bietet Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentationsgrafik sowie eine Datenbank. Sie verfügt über E-Mail-Funktionalität, persönliche Dienste, einen Scheduler und Teamunterstützung für die Überarbeitungsfunktion sowohl in der Textverarbeitung als auch in der Tabellenkalkulation.

Für das Web-Publishing hat Star Division einen eigenen Explorer entwickelt, den die Anwender weitgehend nach eigenem Gusto konfigurieren können. Dadurch lassen sich Benutzeroberflächen gestalten, die an die individuellen Bedürfnisse angepaßt sind. Dies ist insbesondere bei zeichenorientierten Oberflächen ohne Mausfunktionalität von Vorteil.

Die Stärken und Schwächen von Java-Office-Suites

Java-basierte Büropakete bieten aufgrund ihrer Plattformunabhängigkeit eindeutig mehr Flexibilität bei der Hardware-Ausstattung in den Unternehmen. Durch die zentrale Verwaltung fällt gegenüber konventionellen Office-Suites, die auf jedem einzelnen Rechner zu installieren sind und viel Speicherplatz benötigen, der Wartungsaufwand geringer aus. Das reduziert die laufenden Kosten und die Komplexität der IT-Infrastruktur.

Das dürfte es den Anbietern leicht machen, neue Anwender anzusprechen und sich ganze neue Benutzergruppen zu erschließen. Daraus ergibt sich eine große Chance für Java-Office-Suites. Darüber hinaus können Anwender zwischen einer Vielzahl von Herstellern auswählen.

Die Schwächen heutiger Java-Office-Suites liegen zum einen in der noch nicht richtig ausgetesteten Technologie und zum anderen darin, daß der Dokumentenaustausch mit vorhandenen Büroanwendungen bei einigen Produkten nicht immer möglich ist. Das bedeutet, daß beispielsweise ein Anwender klassischer Microsoft-Produkte nicht einfach Word- oder Powerpoint-Dokumente in Java-Office-Suites einbeziehen kann. Vernünftigerweise muß ein solcher Austausch in beide Richtungen möglich sein.

Ein weiterer Nachteil ergibt sich daraus, daß die Java-Office-Suites von der Netzverbindung abhängig sind - "no Network, no work": Wenn sie ausfällt, stehen auf den Clients lediglich einige Grundfunktionen zur Verfügung.

Erst wenn die Java-Office-Suites in großem Stil in den Unternehmen zum Einsatz kommen, können sie beweisen, daß die neue Technologie und das Network-Computing-Konzept funktionieren. Daß es zu diesem Beleg kommen könnte, lassen Angaben der Meta Group vermuten, denen zufolge 50 Prozent der 2000 größten Unternehmen bereits Java einsetzen oder testen.

Für die Zukunft erwarten Analysten eine dynamische Entwicklung im gesamten Java-Umfeld und zügige Produkteinführungen. Einen Trend, der diese Entwicklung noch unterstützt, hat kürzlich Rüdiger Spies von der Meta Group in München benannt: "Nach dem Jahr 2000 sollen die meisten Anwendungen über das Internet-Protokoll IP laufen. Die Internet-Technologie bildet dann alle Unternehmensanwendungen ab, und das Web-User-Interface hat sich als Standard auf den PCs durchgesetzt."

Technische Ansätze

Applix Anyware Office: Aus der Unix-Welt stammendes dreischichtiges Modell, bei dem der Server die Hauptrechenarbeit übernimmt. Die Bildschirmdarstellung erfolgt lokal, und die Interaktionen der Anwender gehen über das Netzwerk. Kontakt: www.applix.com

Corel Open-J und J-Bridge: Bei Open-J werden komplexe und rechenintensive Aktionen auf dem Server ausgeführt, während einfache Funktionen auf dem Client verbleiben. Die Wordperfect-Funktionalität steht nur als Light-Version zur Verfügung. Bei J-Bridge ermöglicht ein Java-Client, der in vollem Umfang der Wordperfect-Suite Textverabreitung, Tabellenkalkulation und Präsentationsgrafik nutzt, den Zugang zu konventioneller Software auf Servern. Kontakt: www.corel.com

Lotus E-Suite Workplace: Der Client lädt sich Java Applets vom Server in den lokalen Arbeitsspeicher und arbeitet dann offline. Dies bringt einen erheblichen Performance-Gewinn. (Kontakt: www.lotus.de)

Star Office for Java: Variable Arbeitsaufteilung und Auslastung zwischen Client und Server. Dies bringt eine Verbesserung der Performance. Die Java-Version des Büropakets bietet den vollen Funktionsumfang von Star Office, Version 4.0.

Angeklickt

Ein wunderbares Geschäft sind für die Anbieter seit Jahren die kompletten Büropakete. Und die Kunden glauben, viel für ihr Geld zu bekommen - um schließlich festzustellen, daß sie die meisten Features nie gebrauchen. Die von _:Microsoft ausgehende Monokultur auf den Büro-Desktops könnte sich ändern, denn das Unternehmen ist der einzige Anbieter solcher Pakete, der nicht auf eine Java-basierte Lösung setzt. Die Alternativen lassen sich präziser an Anwenderbedürfnisse anpassen und unterstützen hardwareneutral ein Server-orientiertes DV-Konzept, was die Kosten senkt. Der Autor gibt einen Überblick über Stärken und Schwächen der Produkte.

Dr. Detlef Sandern ist Redakteur bei der Agentur PR-COM in Martinsried bei München.