Devcon: Anwender interessieren sich vorrangig für Java

Netscape will das Extranet hoffähig machen

12.12.1997

Seit März 1997 steht der Begriff Extranet für alle wichtigen Aktivitäten bei Netscape. Produkte wie die Softwarefamilie "Suitespot 3.0", der Web-Client "Communicator" sowie die E-Commerce-Software "Commerce Xpert" werden unter dem Extranet-Dach zusammengeführt. Marc Andreessen, Executive Vice-President der kalifornischen Softwareschmiede, nannte in seiner Keynote-Speech einige Firmen, die Extranets mit Netscape-Technik implementierten. Beispielsweise vertreibt General Motors über die Web-Site "GM Buypower" seine Autos auch online. Ein Käufer sucht sich ein bestimmtes Modell und kann gleichzeitig bestimmen, in welcher Stadt er das Fahrzeug erwerben möchte. Daraufhin baut das System eine Verbindung mit dem Intranet des Ortes auf, in dem ein Händler mit dem gewünschten Wagen ansässig ist. Auf diese Weise erhält der Benutzer eine Wegbeschreibung.

Zum ersten Mal veranstaltete Netscape seine Entwicklerkonferenz Devcon außerhalb der USA. Entwickler aus ganz Europa folgten der Einladung der Internet-Company nach Paris, um sich drei Tage lang über neue Produkte von Netscape sowie über die jüngsten Entwicklungen in Sachen Java, Javascript und Hypertext Markup Language (HTML) zu informieren. Zu den Themen gehörte unter anderem das Entwickeln von Server-basierten Java-Applets, das Implementieren von Geschäftsanwendungen mit Netscapes Entwicklungs-Tool "Visual Javascript" sowie Erläuterungen zu den Neuerungen von Javascript. Außerdem präsentierten im "Partner Pavillion" Unternehmen wie Digital, Oracle, Sun und Netdynamics ihre Internet-Produkte.

Einige Besucher, die bereits ähnliche Veranstaltungen, wie beispielsweise Microsofts Tech Ed besucht hatten, äußerten sich enttäuscht über die geringe Themenvielfalt. So beklagte sich Matthew Perrins, Software Engineer bei IBM in Großbritannien, auch über den geringen technischen Tiefgang der dargebotenen Vorträge. "Die zeigen uns nur, wie man in Virtual Javascript Datenbanktabellen mit Java-Anwendungen verknüpft." Statt dessen hätte Perrins lieber detaillierte Beispiele für die Verbindung von Business-Software mit Java gesehen, denn dies seien schließlich die Aufgaben, denen sich Programmierer stellen müßten. Der IBM-Mitarbeiter kann sich daher nicht vorstellen, noch einmal eine solche Veranstaltung zu besuchen.

Zufriedener zeigte sich der Belgier Chris Verlinden, Manager Technical Support vom Centrum voor Organisatie en Informatica (COI). Er und zwei Programmierer des Unternehmens kamen auf ihre Kosten, weil sie sich in den drei Tagen einen Überblick über die Anwendung von Web-Techniken verschaffen konnten. Für leitende Angestellte aus dem technischen Umfeld, so Verlinden, bringe die Devcon einiges.

Jim Barksdale, President und CEO von Netscape, griff mit seiner Keynote-Rede wieder das Thema Extranet auf. Er beschrieb europäische Firmen, die sich für Netscape-Produkte zur Realisierung von Intranets und Extranets entschieden haben.

Namhafte Unternehmen wie Shell, BMW, Dresdner Bank und Renault gehören zu den "Design Wins". So bezeichnete Kunden haben mehr als 500 Desktop-Arbeitsplätze ("Seats") mit E-Mail, Groupware sowie Java und Javascript-Lösungen von Netscape-Software ausgestattet. Wobei, wie Albert Gouyet, Director Messaging Server Produkt Marketing, bestätigte, etwa 70 Prozent der Anwenderfirmen sich wegen der E-Mail-Funktionen für den Hersteller entschieden hätten. Dies liege zu einem großen Teil an dem geringeren Administrationsaufwand gegenüber Konkurrenzprodukten sowie an dem in allen Netscape-Produkten integrierten Verzeichnisdienst Lightweight Directory Access Protocol (LDAP). Etwa 100 der weltweit 425 Design Wins sind laut Barks-dale europäische Firmen.

Die fünf großen Herausforderungen bei der Entwicklung von Extranets wurden auf der Devcon folgendermaßen definiert: die Verbindung zu den Geschäftsanwendungen, die Cross-Plattform-Fähigkeit der Lösung, die Verteilung der Applikationen auf die Clients, Skalierbarkeit sowie Sicherheit. Netscapes Anwort darauf sei "Netscape One", ein Paket von Diensten, die über Java-Objekte (Javabeans) zur Verfügung gestellt werden. Über Javabeans erhalten Entwickler Programmcode für den Zugriff auf Datenbanken. Neben dem Web-Server spielt der Applikations-Server der jüngst übernommenen Firma Kiva eine zentrale Rolle. Wesentliche Vorteile dieses Systems seien nach den Worten von Andreessen die Verbindung zu Business-Software wie etwa "Baan Triton", SAP R/3 und Oracle. Hier wies das Produktportfolio des Herstellers bisher noch Lücken auf.

Andreessen und einige andere Netscape-Manager stellten sich den Fragen der Entwickler. Ein Zuhörer beklagte sich über das Fehlen eines kleineren und preisgünstigeren E-Commerce-Systems, da das jetzige Angebot nur für große Unternehmen erschwinglich sei. Andreessen sagte dazu nur lapidar: "Wir müssen wohl etwas am Preis tun."

Ein anderer Anwender beschwerte sich über den mäßigen Support. Andreessen verwies auf Netscapes Bemühungen, in puncto Support und Beratung präsenter zu sein. Weltweit wolle man 600 Experten einstellen. Darüber hinaus sei es wichtig, bei großen Firmen mit eigenen Beratern vorstellig zu werden und dies nicht den Partnern zu überlassen. Die Frage nach einer Version von Netscapes Web-Server-Software "Enterprise Servers" für das Mainframe-Betriebssystem S/390 beantwortete Andreessen mit dem Hinweis, ein Partnerunternehmen werde die Portierung vornehmen. Bereits heute laufen die Netscape-Produkte sowohl auf Unix-Derivaten als auch auf Netware und Windows NT.

Ein vieldiskutiertes Thema war auch die schlechte Performance der von Netscape favorisierten Programmierumgebung Java. Nach Auffassung von Andreessen lassen sich nicht alle Anwendungen mit der plattformunabhängigen Sprache implementieren. So sei es wenig ratsam, einen Flugsimulator mit dieser Programmiersprache zu realisieren.

James Gosling, Vice-President and Sun Fellow beim Java-Entwickler Sun Microsystems, widersprach dieser Auffassung gegenüber der CW ernergisch. Schließlich sei das komplexe Steuerprogramm für das Hubble-Teleskop in der Erdumlaufbahn komplett mit dieser Sprache implementiert worden.

Die Sun-Tochter Javasoft arbeitet außerdem an einer verbesserten Version der Java Virtual Machine (JVM). Java-Programme lassen sich aber auch beschleunigen, indem man sie allein auf dem Server laufen läßt. Dadurch würden die Clients von einigen Lasten befreit. Ein weiterer Vorteil von Server-seitigem Java: Desktops mit Windows-3.1 benötigen keine JVM, wenn eine solche auf dem Server residiert. Auf diese Weise können auch solche Anwender des 16-Bit-Betriebssystems Java-Programme verwenden, deren Rechner über weniger als 16 MB Hauptspeicher verfügen.

Durch Java auf dem Server lassen sich zudem existierende Anwendungen wie zum Beispiel Cobol-Programme Web-fähig machen, vorausgesetzt, diese Applikationen verfügen über die entsprechende Corba-Schnittstelle (Corba = Common Object Request Broker Architecture). Ein Beispiel für eine solche Anwendung ist das Online-Banking-System der Wells Fargo Bank. Die User sprechen über das Web Corba-Objekte an und haben dadurch Zugang zu den Applikationen auf den operativen Systemen des Kreditinstituts.

Beim Stichwort Java drängt sich sofort die Frage nach der Kompatibilität zum Java Development Kit (JDK) 1.1 auf. Weder Microsoft noch Netscape vertreiben bisher Browser mit diesen Eigenschaften. Von der Netscape- Homepage könne man sich aber ein entsprechenden "Smartupdate" für den Web-Client "Communicator" kostenlos herunterladen.

Auf die Frage, wie es mit der Integration von Microsoft-Techniken bestellt sei, antwortete Andreessen, er schließe eine Öffnung der Netscape-Produkte zu Active X oder dem Distributed Common Object Model (DCOM) nicht aus.