Nach Lizenznahme der Internet-Programmiersprache Microsoft gesteht Java nur eine Nebenrolle zu

15.12.1995

MUENCHEN (ws) - Die steile Karriere der Programmiersprache "Java" hat den Kampf um Internet-Standards verschaerft und bedroht Microsofts Ambitionen bezueglich des weltweiten Netzwerks. Nachdem der Softwareriese aus Redmond nach Meinung von Marktbeobachtern auf den Internet-Boom ohnehin zu spaet reagiert hat, tritt er nun mit der Lizenznahme von Java die Flucht nach vorne an. Die Hoffnung auf Internet-Dominanz hat Microsoft freilich deswegen noch nicht aufgegeben.

In den letzten Wochen verging fast kein Tag, an dem nicht ein namhafter Soft- oder Hardware-Anbieter seine Unterstuetzung fuer die Programmiersprache Java des Workstation-Herstellers Sun Microsystems Inc. bekanntgab. Die Runde der Java-Unterstuetzer nahm die Form einer Anti-Microsoft-Allianz an, besonders da der Marktfuehrer bei PC-Software einzig auf eigene Konzepte setzte. Diese schienen Bill Gates vorerst aber doch nicht durchschlagskraeftig genug, er entschied sich nun ebenfalls fuer Java.

Gleichzeitig legte Microsoft eine umfassende Internet-Strategie vor, die den Konzern in den kommenden Jahren wesentlich mit der Entwicklung von Internet-Software beschaeftigt. Damit folgt er einem Trend, den innovative Entwickler bereits vorgegeben haben: Nicht das mit viel Werberummel auf den Markt gebrachte Windows 95, sondern das Internet ist mittlerweile die heisseste Plattform fuer Software-Anbieter.

Dabei geht es nicht nur um einen - wenn auch grossen - Online- Markt. Das Internet setzt Standards fuer alle Umgebungen, fuer unternehmensweite Netzwerke wie fuer den Desktop.

Auch wenn die interkontinentalen Verbindungen noch langsam sind, der klare Trend zu TCP/IP in LANs und WANs sorgt fuer die gleiche Infrastruktur wie im Netz der Netze.

Microsoft liegt als dominierendem Anbieter von Office-Paketen nichts daran, den im Zusammenhang mit Java ausgerufenen Paradigmenwechsel in der Softwarebranche zu forcieren. Demnach sollten im Netz verteilte Java-Applets, die spontan zu Anwendungen kombiniert werden koennen, wuchtige Applikationen vom Schlage eines Word oder Excel abloesen. Gates ist der Meinung, dass Java-Applets zwar die Attraktivitaet von Web-Seiten erhoehen, ausgewachsenen Office-Anwendungen aber keine Konkurrenz machen koennen.

Es ueberrascht daher wenig, dass Java in Microsofts Strategie eine ganz andere Rolle spielt. Im bewaehrten "Embrace- and-extend"- Verfahren will der Softwareriese die Herrschaft ueber das Internet uebernehmen. Gemeint ist damit, dass zuerst bestehende Standards eingehalten und fuehrende Anwendungen geklont, spaeter aber proprietaer erweitert und der Kontrolle Microsofts unterworfen werden sollen. Ohne rhetorische Schnoerkel kuendigte Bill Gates in seiner Internet-Rede am 7. Dezember fuer den Cyberspace diese Vorgehensweise an, die schon gegen Lotus 1-2-3 und Novell Netware erfolgreich war (abzurufen unter http://www.microsoft.com).

Sun verfolgt mit Java vor allem das Ziel, so Donatus Schmid von der deutschen Niederlassung des Workstation-Herstellers, dem Softwaremangel auf den eigenen Plattformen abzuhelfen. Die Software-Industrie befindet sich fest im Griff von Microsoft, die Plattformunabhaengigkeit von Java soll sie aus dem Zwang zu Windows befreien.

Sun erhofft sich sogar einen Unix-Vormarsch auf dem Desktop, wenn dank Java dafuer ausreichend Anwendungen geschrieben werden. Und Plaene fuer zukuenftige Internet-Endgeraete kann der Workstation- Hersteller schmieden, ohne gleich Angst vor zu geringer Unterstuetzung durch Softwarehaeuser haben zu muessen.

Microsoft benoetigt Java in erster Linie, damit es mit seiner Browser-Software in Web-Seiten eingebettete Java-Applets aktivieren kann. Mit der aktuellen Version des hauseigenen Internet-Explorers bleiben dem Anwender naemlich saemtliche WWW- Angebote verborgen, die auf Java beruhen. Das soll sich mit einem Internet-Add-on fuer Windows 95 und NT aendern.

Vorgesehen ist dabei, dass Browser-Funktionen direkt in die Shell integriert werden und daher keine eigenstaendige Anwendung mehr noetig sein soll - der Anwender hat nur mehr mit Ordnern zu tun, sie repraesentieren dann sowohl lokale als auch Internet- Ressourcen. Dieses Zusatzprodukt soll es noch 1996 kostenlos fuer Windows 95 und Windows NT geben. Hauptkonkurrent Netscape kommt zusaetzlich durch die Microsoft-Kooperation mit Spyglass Inc. unter Beschuss. Der Hersteller des Web-Browsers "Mosaic" soll sein Produkt fuer Windows, Macintosh und Unix um Unterstuetzung fuer OCX und "Visual Basic Script" erweitern.

Content-Provider und Programmierer sollen nach der Vorstellung von Microsoft WWW-Angebote mit Produkten aus Redmond erstellen. Eine Schluesselposition kommt dabei Visual Basic zu.

Entwickler sollen mit der weit verbreiteten Sprache OLE Custom Controls (OCX) erstellen, die ueber das Netz verteilt und abgerufen werden koennen. Netzwerktaugliches OLE befindet sich aber erst in der Entwicklung, ungeklaert sind auch noch Fragen der Performance: Das Einbetten beispielsweise einer Excel-Tabelle in ein Word- Dokument mittels OLE bringt derzeit selbst leistungsstarke Desktop-Rechner in Verlegenheit. Das Internet mit seiner geringen Bandbreite verlangt nach ressourcensparenden Loesungen. Eine Skript-Variante von Visual Basic wird Microsoft allen Interessenten demnaechst kostenlos anbieten. "Visual Basic Script" konkurriert mit "Java Script" und erlaubt wie dieses, Quellcode direkt in HTML einzufuegen. Mit Oracle hat Microsoft bereits einen namhaften Java-Unterstuetzer als Lizenznehmer fuer VB Script gefunden.

Microsoft will eine Bastion seines Desktop-Erfolgs, die Office- Anwendungen, ebenfalls Internet-konform ausbauen. In ueberraschender Offenheit gab Gates zu, dass das Verwalten und Auffinden von Informationen im LAN derzeit schwieriger sei als im Internet.

MS Office wird fuer das Internet angepasst

Dem Durcheinander von Office-Dateiformaten soll ueber eine API- Anbindung an den hauseigenen Web-Server abgeholfen werden. Damit zielt Microsoft auf das sogenannte Intranet, die Nutzung des Internets und von Internet-Technologien fuer unternehmensinterne Ablaeufe. Freilich wird bis zur Umsetzung dieser Plaene noch viel Zeit vergehen. Deswegen wird Microsoft vorerst Viewer fuer Office- Dateien entwickeln, die in Web-Browser eingeklinkt werden koennen.

Microsofts Internet-Faeden laufen bei Windows NT zusammen, das zukuenftig ueber einen integrierten Web-Server verfuegen wird. Fuer einen Erfolg der Internet-Strategie kommt es auf das Zusammenspiel beider Seiten an: Proprietaere HTML-Erweiterungen werden fuer den Anwender nur dann nutzbar, wenn der Server anbieten kann, was die Client-Software zu ueberzeugenden Angeboten aufbereiten soll.

Microsoft sieht im Markt der Web-Server gute Chancen fuer Windows NT. Die Argumente sind hier die gleichen wie im LAN: Dank Windows- Oberflaeche soll es relativ einfach zu bedienen sein, und mit Intel steht eine preisguenstige Plattform zur Verfuegung.