Anwenderschulung/Das Feilen am "th" überlasse man dem Lehrer

Multimediale Englisch-Lernprogramme für die betriebliche Fortbildung

12.11.1998
Immer mehr Unternehmen brauchen Mitarbeiter, die sich auf dem internationalen Parkett zurechtfinden. Englisch ist als Fremdsprache die erste Wahl. Welche multimedialen Lernhilfen eignen sich für das betriebliche Sprachtraining? Johannes Kelch* hat das Angebot sondiert.

Im Computer-basierten Training (CBT) ist die Steinzeit beendet. Der Homo sapiens muß bei der Aneignung von Fremdsprachen nicht mehr mit primitiven Werkzeugen hantieren. Der intelligenzarme DOS-Rechner mit einem stupiden Paukprogramm gehört ebenso der Geschichte an wie die ersten Windows-Vokabeltrainer. Die Evolution hat zu einer neuen, ausgefeilteren Form des computerunterstützten Fremdsprachentrainings geführt. In den Programmen von Verlagen und Lernsoftwarefirmen spiegelt sich der Fortschritt.

1997 sortierte der Max Hueber Verlag sämtliche DOS-Lernprogramme aus. Das gleiche Schicksal ereilte 1998 Windows-Programme wie "Aktiv-Wortschatz" und "Travel-Kit", die erst 1995 aufgelegt worden waren. Nach Auskunft von Sylvia Tobias erscheint Anfang 1999 unter dem Titel "Reward" ein neuer multimedialer Englisch-Selbstlernkurs, der neben CDs für das Lernen offline einige "Online-Services" bietet: ein monatliches Magazin auf vier Niveaustufen, ein virtuelles Klassenzimmer (Forum), einen Lehrer, der eingesandte Arbeiten korrigiert, sowie Sprachlernspiele.

Bereits 1996 legte die englische Softwarefirma Interactive Lan- guage Teaching (ILT) ihr umfassendes Lehrwerk "English Express" für das Sprachtraining in Unternehmen in einer verbesserten CD-Version auf. Die erste Ausgabe war 1991 auf 18 Bildplatten erschienen. "English Express" umfaßt neben CDs Benutzerhandbücher, Arbeitsbücher, Lösungshefte und Lehrer-Handreichungen für die drei Lernniveaus. Videos sehen, Texte lesen, Dialoge hören, Aufgaben lösen, in ein Mikrofon sprechen und die Aussprache mit einem Muster vergleichen - all das ist in ein didaktisches Konzept eingebunden.

Einen fliegenden Wechsel im Fremdsprachenprogramm vollzog die NETG Applied Learning GmbH erst vor wenigen Monaten. Einige Anfänger-, Fortgeschrittenen- und Wirtschaftsenglisch-Programme wurden komplett durch das Universalprogramm "Tell me more Pro" ersetzt, ein von der französischen Firma Aura-Lang mit EU-Geldern und nationaler Förderung entwickeltes CD-Lernprogramm, das mit Spracherkennung arbeitet. Das Programm umfaßt etwa 8000 Übungen für alle Lernniveaus. Außer CDs und einem Trainerhandbuch erhält der Kunde keine Begleitmedien, alle Übungen und Texte lassen sich jedoch ausdrucken.

Auch der Schulbuchverlag Cornelsen vertreibt neuerdings "Tell me more", allerdings in einer abgespeckten Version für den Schul- und Nachmittagsmarkt. Ein nur wenige Jahre alter Titel - "33 Horror Mistakes" - befindet sich dagegen nach Auskunft des Verlages "nicht mehr auf dem aktuellen Stand".

Inzwischen drei Jahre alt ist das Internet-Sprachcenter von Berlitz-Online/Fernstudium. Es beruht auf Erfahrungen aus EU-geförderten Pilotprojekten und nutzt die Aus- und Weiterbildungsplattform "Global Learning" der Deutschen Telekom. Interessenten laden sich einen Einstufungstest auf den PC und senden eine E-Mail zur Auswertung zurück. Berlitz empfiehlt darauf einen Kurs.

Bei der Online-Einschreibung erhält der künftige Student eine User-ID und ein Paßwort. Per Post schickt ihm Berlitz sodann ein Startpaket mit Büchern, Tonkassetten und CDs. Studienbriefe sind im Internet abrufbar.

Im "virtuellen Klassenzimmer" können die Kursteilnehmer wie in einer Newsgroup Mitteilungen senden und lesen, sich mit dem Tutor bei Berlitz verständigen und gemeinsam mit den anderen Teilnehmern Aufgaben lösen. Stefanie Fischer, Leiterin der Abteilung Online-Fernstudium, glaubt, daß der Kontakt zu einem persönlichen Tutor gerade beim Selbstlernen ein "hohes Maß an Motivation" erzeugt.

Außerdem führt Berlitz in Zusammenarbeit mit der Telekom ein völlig neues Medium in die berufliche Weiterbildung ein - das Bildtelefon. In einem Pilotprojekt können wenige Firmen kostenlos für eine begrenzte Zeit Bildtelefone installieren. Die Kursteilnehmer haben so bei Bedarf die Möglichkeit, Übungen mit dem Tutor von Berlitz direkt am Telefon zu besprechen.

Die CD ist heute im Fremdsprachenbereich das mit Abstand am häufigsten eingesetzte Lernmedium. Dies entspricht dem generellen Trend zur CD, den eine noch unveröffentlichte, von der EU geförderte Untersuchung des europäischen CBT-Marktes unter dem Titel "Base ''98" ermittelt hat.

Es gibt jedoch noch Selbstlernmedien, die ganz ohne Computer auskommen. Die vom Fernsehen her bekannten Telekolleg-Medien der TR Verlagsunion lassen die Studenten nach wie vor mit Video- und Tonkassetten, Büchern und Arbeitsheften lernen.

Cornelia Wiedemann von der TR Verlagsunion glaubt, daß der "CD-ROM-Markt nicht unbedingt boomen wird". Sie begründet dies mit den "wahnsinnigen Kosten" des Mediums. Die CD sei "betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll".

Welche Rolle spielt das Internet bei der Fremdsprachenvermittlung am Computer? Die Untersuchung "Base ''98" bezeichnet die Strategien der Lernmedien-Produzenten, das Internet zu nutzen, als "noch nicht sehr klar". Rainer Illing von ILT sieht das Internet aufgrund der hohen Leitungskosten nur als "für Zusatzoptionen geeignet" an.

Man könne übers Netz aktuelle Themen senden, Trainersupport leisten und die Unterhaltung in Foren organisieren. Lernprogramme übers Netz zu schicken, so Ingenieur Illing, rentiert sich nicht. Um akzeptable Antwortzeiten zu erreichen, müßten die Programme sehr einfach gestrickt sein.

Mit der Qualität der Programme und den Online-Services steigen die Anforderungen an die technische Ausstattung der Computer. Ein 468er PC genügt gerade noch für die meisten Lernprogramme, empfohlen wird überwiegend ein Pentium-PC, was heute dem "Home-Standard" entspricht. Windows 3.x ist die mindestens nötige Betriebssystem-Version, Windows 95 oder 98 wäre besser. Ein CD-ROM-Laufwerk ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Modem, ISDN und Internet-Zugang sind für Online-Services unabdingbar. Um Videos und Tonaufnahmen abzuspielen, braucht der Lerner eine SVGA-Grafikkarte sowie eine Soundkarte.

Sprachaufzeichnung und Spracherkennung erfordern den Anschluß eines Mikrofons an den Computer. Die beiden Konzepte unterscheiden sich fundamental. Bei der Sprachaufzeichnung nimmt der Lernende auf, was er spricht, und hört danach zuerst seine Aufnahme und dann das Muster eines Muttersprachlers. Er entscheidet dann, ob er mit seiner Leistung zufrieden ist oder die Übung wiederholt.

Obwohl English Express genau dieses Vorgehen ermöglicht, räumt ILT-Mitarbeiter Illing ein, "daß Otto Normalverbraucher sich nur zu 70 Prozent selbst kontrollieren kann". Der Lerner könne auf diesem Weg aber "Selbstvertrauen gewinnen und Sprechhemmung verlieren".

Bei der Spracherkennung vergleicht nicht der Lernende, sondern der Computer das gespeicherte Muster und das vom Schüler gesprochene Wort. Der Unterschied wird am Bildschirm entweder in Intonationskurven (Tell me more) oder in prozentualen Trefferquoten (Berlitz) angezeigt.

Der Einsatz der Spracherkennung "steckt noch in den Kinderschuhen", weiß Joachim Graf, Herausgeber des Branchendienstes "Multi-Media". Der Max Hueber Verlag ist gegenüber der Spracherkennung "etwas zurückhaltend", so Mitarbeiterin Tobias. Das eigene Gehör reiche den Trainierenden in der Regel aus, um sich selbst zu beurteilen.

Illing geht mit der Spracherkennung im Fremdsprachenunterricht hart ins Gericht. Intonationskurven machten die Grenze zwischen richtiger und falscher Aussprache nicht erkennbar. Der Schüler könne niemals identische Kurven erreichen. Dies erzeuge sehr schnell "Frustration" oder ende im "Versuch, die Kurve zu überlisten".

Während der Streit zwischen den Anhängern der Sprachaufzeichung und denen der Spracherkennung voll entbrannt ist, ist die Kontroverse zwischen den Computerfreaks und den Englischlehrern weitgehend ad acta gelegt. "Multi-Media"-Herausgeber Graf erklärt, CBT sei auch bei den Lehrern als "wichtiges Element der Weiterbildung" anerkannt. Umgekehrt sei auch eingeschworenen PC-Freunden klargeworden, daß die Arbeit am Computer nur "eingebettet in andere Lernaktivitäten funktionieren kann".

Laut Illing bietet sich eine neue Arbeitsteilung zwischen Trainern und Lernprogrammen an: Die Software lehrt nach Lehrplan Grundfunktionen der Sprache wie Grammatik und Wortschatz, der Trainer wird dagegen zum Coach, der "bedürfnisorientiert die praktische Anwendung der Sprache begleitet", so Illing.

Englisch-lernmedien

Etwa 17500 Lernprogramme für Aus-, Fort- und Weiterbildung haben Unternehmen allein in sieben europäischen Ländern produziert. Das ist das Ergebnis einer Analyse des europäischen CBT-Marktes unter dem Titel "Base ''98", an der auf deutscher Seite Psychologen der Universität Erlangen-Nürnberg mitgewirkt haben. Wie können Unternehmen aus dieser Fülle für ihren speziellen Bedarf die optimalen Programme herausfiltern?

Eine Fundgrube ist die Datenbank "Internet Learning Technology Center" (Iltec; siehe auch www.iltec.de) der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Iltec kennt 1748 multimediale Selbstlernmedien von 121 überwiegend deutschen Anbietern. Das Themenspektrum reicht von A wie Allgemeinwissen bis W wie Warenwirtschaft.

Unter dem Suchwort "Sprachen" listet die Datenbank 329 Einträge auf, davon wiederum widmen sich mehr als ein Drittel der Vermittlung der englischen oder amerikanischen Sprache. Zieht man jedoch die digitalen Wörterbücher und Übersetzungsprogramme ab, bleiben nur noch weniger als 100 Titel - alle aus den Jahren 1994 bis 1997 - übrig.

Das Angebot schrumpft weiter, wenn man Titel unberücksichtigt läßt, die - jedenfalls nach erstem Augenschein - den betrieblichen Fortbildungsbeauftragten viel Mut abverlangen, so die Titel "Surfing California" oder "Dracula". Ansonsten reicht das Spektrum vom simplen Vokabel- und Grammatiktrainer bis zu didaktisch anspruchsvollen Programmen. Wer des Englischen bereits mächtig ist, findet ein breites Angebot an Selbstlernmedien für Wirtschaftsenglisch und Englisch im Bereich Technik.

Wie so viele andere Online-Datenbanken ist auch Iltec nicht ganz auf dem neuesten Stand. Ausgemusterte Medien sind noch gespeichert, neue Produkte fehlen. Die IHK hat jedoch aus dem raschen Wechsel im Angebot Konsequenzen gezogen. Ab 1999 wird sie den Firmen die Möglichkeit bieten, die Einträge in Iltec zu den Selbstlernmedien nach Eingabe eines Paßwortes unkompliziert auf den aktuellen Stand zu bringen.

Preisvergleich

Englisch-Lernmedien, die speziell für den Bedarf von Unternehmen produziert wurden, stehen unter Preisdruck. "English Express" kostete 1991 komplett auf Bildplatte 48000 Mark, heute muß man für die CD-Version noch 10000 Mark hinblättern. Das Universalprogramm "Tell me more Pro" wurde heuer für 1500 Mark eingeführt, die Vorläufer-Kurse kosteten zusammengenommen 4400 Mark. Ein sechsmonatiger Kurs bei Berlitz-Online schlägt mit 1980 Mark zu Buche.

Die neuen Medien für den Schul- und Nachmittagsmarkt sind teurer als die CBT-Programme, die Anfang der 90er Jahre für 30 bis 50 Mark zu haben waren. Das Professional Pack von "Reward" mit acht CDs kommt bereits auf 298 Mark. Wer "Tell me more" ohne "Pro" einsetzen will, muß für die vier CDs der vier Niveaustufen jeweils 99 Mark zahlen.

Angeklickt

Der Markt für digitale Lernmedien erlebt einen rasanten Umbruch. Erst vor kurzem herausgebrachte Titel wandern zugunsten besserer Nachfolge-Produkte in den Orkus. Unverkennbar ist eine Tendenz zu hochwertigen Programmen. Die Anbieter versuchen, die Erkenntnisse aus öffentlich geförderten Projekten zur Erprobung digitaler Lernmedien in klingende Münze zu verwandeln. Bei den heute aktuellen Produkten ist die CD das vorherrschende Lernmedium, das Internet ergänzt lediglich als Zusatzmedium für die Kommunikation zwischen Lernern und Trainern die Fremdsprachen-Fortbildung.

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München.