Weiterentwicklung ist angesagt

MS-DOS muß mit den modernen Betriebssystemen konkurrieren

13.11.1992

MÜNCHEN (CW) - Vor drei Jahren behauptete man bei Microsoft, daß OS/2 als Nachfolger von DOS bereits im Jahre 1992 die Verkaufszahlen von DOS bei weitem übertreffen werde, (nachzulesen in der Broschüre "Microsoft Systemsoftware, Die Grundlagen für den Einsatz des Personal Computers in den 90er Jahren"). Es ist müßig, die Kehrtwendung von damals wieder herbeizuzitieren. Microsoft hat schließlich aus der Vergangenheit gelernt - die Zukunft heißt Windows. Die Konsequenzen für DOS sind simpel.

Win 32 ist das Zauberwort zum Verständnis der Microsoft-Strategie. Ein riesiges, funktional überaus reichhaltiges Graphical User Interface (GUI) baut zum einen auf dem neuen Betriebssystem NT auf und zum anderen auf dem heute erhältlichen DOS. Die Arbeiten lassen sich durch diese Aufteilung deutlich rationalisieren: Die Entwickler können Windows, einmal programmieren und dann auf mehreren Betriebssystemen nutzen.

Diese Vorgehensweise impliziert, daß der Abstand zwischen DOS und NT aus technischer Sicht nicht zu groß sein darf - die Gemeinsamkeiten müssen überwiegen. Sichtbar wird dies an folgendem Beispiel:

Zusammen mit NT liefert Microsoft eine neue Windows-Version mit Namen Win 32 aus. Diese soll in Zukunft auch auf DOS aufsetzen können. Dazu ist das 16-Bit-DOS heutiger Bauart Jedoch nicht in der Lage. Deshalb gibt es zunächst ein Subset des Win 32 mit Namen Win 32 s. Mit der Verfügbarkeit einer echten 32-Bit-DOS-Version ist dieses Subset dann hinfällig, das volle Win 32 ist direkt DOS-kompatibel.

Wann dieser Zeitpunkt gekommen sein wird, hängt fast ausschließlich von politischen Faktoren ab. Erstens wartet Microsoft, bis die 286er und 386sx-Maschinen von Intel noch einmal deutlich weniger geworden sind als heute, da das echte 32-Bit-DOS nach aktuellem Kenntnisstand hier nicht laufen wird. Zweitens sieht Microsoft auch dem Auslaufen der Vereinbarungen mit IBM entgegen, die bis zum September 1993 einen gegenseitigen Austausch von Programmcode vorsehen. Erst nach diesem Zeitpunkt rechnen wir mit einer 32-Bit-DOS-Version.

Auf die Dauer bleibt der Name das einzig Konstante. Diese Strategie eines Herstellers ist insofern legitim, als der Markt selbst über die Akzeptanz der Strategie entscheiden wird. Das DOS der Zukunft wird alle Funktionen enthalten, die einmal dem OS/2 vorbehalten schienen.

Aus Herstellersicht ist diese Strategie Gold wert. Der Kunde kommt durch inkrementelle Wachstumsschritte und viele kleine Updates, die gutes Geld in die Kassen bringen, auf höhere Systemlevels gebracht.

Die nächste DOS-Version 6.0, die in Beta-Testform gelegentlich bereits auftaucht, ist nicht die eben besprochene. Dieses Zwischenrelease dient als Lückenfüller und bedeutet primär eine Reaktion auf den Wettbewerber Novell, dessen DR DOS-Version 6.0 es nachempfindet beziehungsweise verbessert. DR DOS hat übrigens weltweit zirka dreimal so viele Lizenzen wie OS/2! DOS 6.0 wird eine ganze Menge Neuheiten enthalten, ein großer Teil stammt dabei von Fremdherstellern (vgl. Abbildung 1).

DOS wird sich natürlich der Konkurrenz moderner Systeme stellen. So wie Microsoft das gute alte GW-Basic zu einem objektorientierten, grafischen Entwicklungswerkzeug macht, so wird man DOS zu einem hoch modernen Betriebssystem ausbauen. Der eigentliche Wettbewerber von DOS ist OS/2, und bald wird man die OS/2-Funktionalität in DOS wiederfinden - vom echten Multitasking über die 32-Bit-Flat-Memory-Adressierung bis hin zu einem neuen, übrigens objektorientierten Dateisystem. Moderne Betriebssysteme genügen folgenden Kriterien: Sie sind skalierbar, portierbar, objektbasiert, haben einen Microkernel und sind realzeitfähig (vgl. Abbildung 2).

Welches sind die Limits von DOS, die auch ein Bill Gates nicht wegzaubern kann? DOS hat natürliche Grenzen. Obwohl man sich ein DOS vorstellen kann, das auf Intel Multiprozessor-Maschinen läuft, wird DOS mindestens zwei Merkmale auf die Dauer nicht aufweisen: Portierbarkeit und einen Microkernel. Auch wird sich der Grad der Objektorientierung nicht bis in die unteren Systemebenen fortsetzen lassen.

Die Konsequenzen

für DOS

-DOS ist heute die dominierende Betriebssystem-Plattform für Windows und wird es auf absehbare Zeit auch bleiben.

-Microsoft wird von DOS so lange nicht abgehen, wie es eine Intel-Plattform gibt DOS wird die zunehmende Leistungsfähigkeit der Intel-Prozessoren nachvollziehen.

-Die dem DOS heute innewohnenden Beschränkungen technischer Art werden Schritt für Schritt aufgehoben, und zwar so schnell wie die große Mehrheit der professionellen und Freizeitbenutzer bessere Hardware ersteht.

-DOS wird funktionell unterhalb von NT angesiedelt bleiben, jedoch sehr viele Funktionen erhalten, die einmal für High-end- Systeme reserviert waren.

-DOS wird weiterhin als wichtiges Element der Microsoft-Strategie gegenüber dem Wettbewerber Novell fungieren, daher reagiert man bei DOS-Weiterentwicklungen auch auf das was der Wettbewerber (vor) macht.