Kolumne

Microsofts Tabubruch

05.01.2001
Heinrich Vaske, Chefredakteur CW

Einen günstigen Zeitpunkt hat Microsoft für die Übernahme des ERP-Spezialisten Great Plains gewählt. Die Meldung ging im vorweihnachtlichen Trubel mehr oder weniger unter. Lästige Fragen über die künftige Ausrichtung des Konzerns blieben erst einmal aus.

Dabei sind Fragen angebracht: Microsoft ist nun wie SAP, Oracle oder Navision-Damgaard auch ein Anbieter von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware. Gates & Co. treten mit einer prall gefüllten Kasse in direkte Konkurrenz zu Unternehmen, die bisher enge Partner und Verbündete waren.

Eine Vielzahl an ERP-Installationen laufen derzeit auf Basis der Betriebssystem- und Datenbankinfrastruktur von Microsoft. Diesen Kunden kann der Softwaregigant aus Redmond nun auch die passende Anwendungssoftware andienen - als Softwarelizenz oder Dienstleistung im Rahmen der .NET-Strategie.

Microsoft riskiert mit diesem Handel, dass sich Partner aus der Anwendungssoftware-Szene von Windows als Basis-Betriebssystem abwenden und ihren Kunden verstärkt Alternativen wie Linux sowie andere Datenbanksysteme empfehlen. Dazu wird es kommen, denn der Kartellprozess gegen Microsoft hat sehr deutlich gemacht, dass die Softwareschmiede mit Partnern - insbesondere wenn diese auch Wettbewerber sind - nicht gerade zimperlich umgeht.

Ohne Not erfolgt ein Strategiewandel dieses Ausmaßes nicht. Die Gewinnwarnung vor wenigen Wochen zeigte deutlich, dass Microsoft unter Druck geraten ist. Das Office-Geschäft, das immerhin noch mit 30 Prozent zum Konzernumsatz beiträgt, schwächt sich ab. Windows 2000 ist im vergangenen Jahr nicht so recht aus den Startlöchern gekommen, und auch für 2001 sind die Prognosen verhalten. Als Investor und Venture-Capitalist - zuletzt ein nicht unerheblicher Posten in der Microsoft-Bilanz - leidet die Softwareschmiede unter der schwächeren Konjunktur. Viele Initiativen im vergangenen Jahr waren bereits darauf ausgelegt, Umsatzquellen zu erschließen und in neue Märkte vorzustoßen - das Spektrum reicht vom Dokumenten-Management bis zur Spielkonsole. Als Anbieter von Basisinfrastruktur kann Microsoft die Expansion in neue Märkte jedoch nicht ohne Opfer vorantreiben. Die Frage ist also nicht ob, sondern wie stark Microsofts bisheriges Kerngeschäft unter der Neuausrichtung leiden wird.