Gates-Company legt neue Technik auf Eis - vorerst

Microsofts Smart Tags - Link-Innovation oder linke Masche?

06.07.2001
MÜNCHEN (wm) - Bereits in Office XP hat Microsoft einen Vorgeschmack auf seine neue Smart-Tag-Technik gegeben. In Verbindung mit Windows XP und dem Internet Explorer (IE) 6 hat diese ein heftiges Medienecho ausgelöst: Der Marktführer lenke mit den neuen Zusatz-Links die Surfer auf die eigene Website, so der Vorwurf. Überraschend wurde nun die Einführung abgesagt. Statt mit Windows XP sollen die Tags etwas später kommen.

Wieder einmal hat es Microsoft geschafft, die Öffenlichkeit gegen sich aufzubringen. Die in der aktuellen Betaversion des IE 6 implementierten Smart-Tag-Links stellen zum größten Teil Links auf Web-Seiten des Softwarekonzerns her, so etwa auf die Suchmaschine und die Börsenseiten "Moneycentral" von MSN. Das gezeigte Feature ist weltweit auf scharfe Kritik gestoßen, US-Kartellwächter sahen darin einen neuerlichen Versuch des Unternehmens, seine marktbeherrschende Stellung mit der Windows-Plattform auszunutzen, um eigene Services zu begünstigen.

Links ohne AutorenzustimmungNeben der Befürchtung, Microsoft werde nun feste Links auf eigene Seiten in dem Betriebssystem verankern, hat aber viele Kritiker noch ein anderer Umstand erregt: Mit den Smart Tags wird erstmals im großen Umfang eine Technik bereitgestellt, die Web-Inhalte extern am Client verlinkt, ohne dass der Verfasser eines Textes einen Einfluss darauf hat. Nach Ansicht einiger Kritiker ist dieses Verfahren aus urheberrechtlicher Sicht problematisch.

Die Aufregung hatte kaum ihren Höhepunkt überschritten, da machte das Unternehmen einen Rückzieher und kündigte an, auf die Smart Tags in Windows XP zu verzichten. Offiziell heißt es als Begründung, dass man bis zum 25. Oktober die Technik nicht vollständig fertigstellen könne, aber auch das externe Feedback sei ein Grund. Gegenüber der COMPUTERWOCHE erklärte Firmensprecher Thomas Baumgärtner, dass es Microsoft mit den Smart-Tag-Links auf MSN lediglich um eine Demonstration der Technik geht. Microsoft wolle dabei allenfalls allgemeine Alltagsfunktionen liefern und setze ansonsten auf die Spezialkompetenz von Drittanbietern.

Die Smart Tags setzen gewisse Maßnahmen an der verlinkten Web-Seite voraus, um korrekt zu funktionieren. Vor allem bei aktiven Inhalten wie Active-Server-Pages-(ASP-)Seiten habe es noch Probleme gegeben. Das sei auch der Grund gewesen, weshalb in der Testversion auf die eigenen Web-Seiten verlinkt wurde und nicht auf andere. Laut Baumgärtner sei man keinesfalls unglücklich über das Medienecho. Provider und Inhaltsanbieter seien nun auf das Thema aufmerksam geworden und könnten mithelfen, bei der Implementierung die letzten Hürden zu überwinden.

Baumgärtner betonte außerdem, dass es für Microsoft wichtig sei, die Smart-Tag-Technik offen zu legen: "Microsoft kann die Verbreitung der Tags im Internet niemals im Alleingang schaffen. Daher ist die Plattform grundsätzlich offen, und wir setzen auf Content-Anbieter mit redaktioneller Kompetenz, die eigene Smart-Tag-Dienste einrichten." Ein nützliches Anwendungsbeispiel wären etwa Lexika oder Glossare. Als Service könnte eine Website in diesem Zusammenhang eigene Smart Tags zu Download anbieten, die nach der Installation Fachbegriffe oder Akronyme mit einem Link hinterlegen.

Dass die Redmonder ernsthaft an einer offenen Smart-Tag-Infrastruktur interessiert sind, zeigt sich laut Microsoft-Deutschland-Geschäftsführer Richard Roy auch an den Office-XP-Tags. Hier gebe es bereits eine Reihe von Drittanbietern, die eigenentwickelte Smart-Tag-Funktionen anbieten. Mit dem Smart Tag SDK (Software Development Kit) stellte Microsoft bereits vor Monaten ein Entwicklungs-Tool vor, das die Erstellung individueller Tag-Module erlaubt. Im Unterschied zu den IE-Tags beschränken sich die Office-eigenen Links in der Hauptsache auf Programmfunktionen am Client oder im LAN. Die mit dem Internet Explorer vorgestellte Variante hingegen öffnet beim Klick auf einen durch eine gepunktete Linie gekennzeichneten Smart-Tag-Link ein Kontextmenü, das ausschließlich Web-Links enthält.

Smart Tags für jedermannEntwicklern und Anwendern bieten sich verschiedene Vorgehensweisen, um eigene Tags für Office XP und den Browser einzusetzen. Die einfachste Variante ist die Erstellung einer XML-Datei mit einem Text- oder XML-Editor. Microsoft hat hierzu ein eigenes XML-Schema, das "Smart Tag List Schema", definiert. Eine auf dieser Basis erzeugte Datei, beispielsweise ein Glossar, muss lediglich in das vorgesehene Verzeichnis kopiert werden - beim nächsten Start von Office und IE erscheinen die definierten Begriffe als Smart Tags. Mittlerweile liegen auch ausführliche Beschreibungen und Anleitungen zum Erstellen von Smart Tags vor, so etwa auf den Seiten des Microsoft Developer Network (MSDN) (http://msdn.microsoft.com/library/en-us/ dnsmart~tag/html/odc_stxml.asp).

Ein Problem, das sich bereits vor der offiziellen Einführung der Tags abzeichnet, ist das Link-Management am Client. Denn wenn sich ein Anwender zehn oder 20 verschiedene Smart-Tag-Sets herunterlädt, dürfte er jeglichen Überblick in den Link-Kontextmenüs verlieren. Laut Baumgärtner gibt es erste Programme von Drittanbietern, die die Smart Tags in einer Datenbank organisieren. Eine solche Datenbank, die online oder am Client zwischengeschaltet sein kann, generiert dann auf Basis von Filtern die entsprechenden URL-Listen.

Nach der Kehrtwende der Redmonder werden in der endgültigen Version von Windows XP nicht nur die umstrittenen Smart-Tag-Links fehlen, sondern die gesamte Engine. Damit Entwickler dennoch bis zum offiziellen Erscheinungstermin damit arbeiten können, wird der Release Candidate 1 (RC1) von Windows XP, der weitgehend identisch mit dem fertigen Produkt ist, nach Angaben von Baumgärtner die Tags noch enthalten.

Offenbar hat Microsoft von vornherein mit einer Ablehnungsfront gerechnet und verschiedene Abschaltmechanismen eingebaut. Wer das System nicht benutzen will, kann in den Optionen des Internet Explorer die Funktion komplett deaktivieren. Außerdem liegen die Indizes der Begriffe, die der Parser als Smart Tag identifiziert, als Dateien vor und können somit gelöscht werden. Diese Verzeichnisse sind: C:\Programme\MSN\smarttag\ beziehungsweise C:\Programme\Gemeinsame Dateien\Microsoft Shared\smarttag\.

Bleibt noch das Problem von Autoren und Site-Betreibern, die verhindern wollen, dass ihre Inhalte mit fremden Links von Microsoft und anderen Smart-Tag-Anbietern am Client verunstaltet werden. Hierzu hat die Gates-Company einen neuen HTML-Meta-Tag eingeführt. Wird diese Anti-Smart-Tag-Kennzeichnung vom Browser beim Aufruf einer Seite gelesen, unterlässt er die Anzeige der Tags. Es liegt somit bei den Betreibern einer Site, nachträglich alle Seiten mit dem Blocker-Tag zu versehen. Wegen des Aufwands der nachträglichen Kennzeichnung dürften aber die wenigsten Anbieter diesen Schritt vollziehen.

Externe Verlinkung in Zukunft selbstverständlichIm Übrigen dürften sich die Sorgen um unautorisiertes Verlinken von fremden Inhalten in Zukunft ohnehin von selbst erledigen. Mit den neuen XML-Standards Xlink/Xpointer, die sich derzeit in der Verabschiedungsphase befinden, gibt es schon bald einen offenen Standard, um Links von außerhalb einer Site bereitzustellen. Eine der Grundideen dabei ist, das Management von Links zu erleichtern, indem nicht mehr die Quelltexte bearbeitet werden müssen. Im Vergleich zu den beschränkten Möglichkeiten der HTML-Links wird mit Xlink/Xpointer ein neues Kapitel in der Hypertext-Entwicklung aufgeschlagen. Neben der Verwaltung von Links außerhalb einer Site sind Link-Menüs wie bei den Smart Tags ebenso möglich wie ein Rückverweis von einem Link-Ziel auf eine Link-Quelle.

Somit mag Microsofts neues Smart-Tag-Konzept zunächst viele Anwender überraschen und Autoren verärgern - im Grunde ist es aber ein Vorgeschmack darauf, was im Internet bald möglich sein wird.