Kolumne

"Microsoft setzt seine Standards weiterhin selbst"

11.10.1996

Bislang hat Bill Gates Standards über die eigenen Verkaufszahlen definiert. Jetzt scheint er sich eines Besseren besonnen zu haben. Zum ersten Mal gibt Gates mit Active X eine Microsoft-Technologie an ein Standardgremium (siehe Seite 1), das die weiteren Geschicke der Komponentenarchitektur lenken und dafür sorgen soll, daß sie auch auf Nicht-Windows-Plattformen anwendbar wird.

Zwei Fragen drängen sich ob dieser radikal erscheinenden Verhaltensänderung auf: Warum tut Microsoft das, und wieviel Kontrolle wird wirklich abgegeben? Die erste ist relativ einfach zu beantworten. Spätestens seit der Internet/Intranet-Euphorie und den damit einhergehenden Vorteilen von komponentenbasierter, objektorientierter Software sind Offenheit und Plattformunabhängigkeit wieder ein Thema, an dem kein Hersteller vorbeikommt.

Will Microsoft Active X und den daraus resultierenden Komponenten zu breiter Akzeptanz verhelfen, muß das Unternehmen Offenheit gewährleisten. Schließlich setzen Konkurrenten wie Sun, Netscape, IBM und Oracle mit Corba, Java und Javabeans auf Technologien, die in jeder Umgebung laufen - auch in der Windows-Welt. So kann der Mitbewerb seine Komponenten im Windows-Umfeld plazieren, ohne daß Microsoft auf anderen Plattformen Fuß fassen kann.

Aber abgesehen davon, daß Microsoft in Sachen Objekttechnologie einen Sonderweg geht, der den eigenen Altlasten Rechnung trägt, und schon deshalb eine Standardisierung schwierig werden könnte, bleibt fraglich, ob ein offener Standard überhaupt gewollt ist. Dagegen spricht die Zusammensetzung des Active X Steering Committee - dort fallen die Entscheidungen -, die Microsoft entgegen sonstigen Gepflogenheiten ohne Einmischung der Open Group selbst bestimmen konnte. So sind dort bis auf Lotus und Sybase die wichtigsten Microsoft-Partner versammelt: Digital, CA, HP, SAP, SAG und SNI.

Über unterschiedliche Interessenlagen brauchen sich diese Beteiligten sicher nicht auseinanderzusetzen. Es drängt sich deshalb der Verdacht auf, daß Microsoft unter dem Deckmantel "Standard" das gleiche Spiel treiben will wie bisher. Nur schade, wenn sich eine Standardorganisation, die sich offene Systeme auf die Fahnen geschrieben hat, aus Überlebensangst und Geldnot dafür hergibt.