Microsoft riskiert durch den ERP-Einstieg Krach mit seinen Partnern

05.01.2001
Microsoft bedient sich seiner gut gefüllten Kriegskasse und übernimmt Great Plains, einen Anbieter von betriebswirtschaftlicher Software. Obwohl sich deutsche ERP-Anbieter gelassen geben und kurzfristig keine stärkere Konkurrenz durch die Übernahme erwarten, rechnen Analysten auf lange Sicht mit einem bedeutsamen Mitspieler auch im oberen Marktsegment.

1,1 Milliarden Dollar in Aktien legt Microsoft für Great Plains, einen US-Hersteller von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware, auf den Tisch. Damit greift die Gates-Company erstmals in die Kriegskasse, deren Inhalt sich nach Informationen des Beratungsunternehmens Gartner Group auf etwa 20 Milliarden Dollar beläuft - Geld, das Microsoft nach der Regierungsübernahme durch George W. Bush vermutlich einsetzen wird. Gartner rechnet bis 2004 jährlich mit einer Multi-Milliarden-Dollar-Übernahme. "Microsoft baut seine Bargeldreserve zielgerichtet auf und weiß auch, wofür", stützt Meta-Group-Analyst William Zachmann diese Einschätzung.

Über die jetzt erfolgte Akquisition steigt der Softwarekonzern in das Geschäft mit Anwendungssoftware für Unternehmen ein. Great Plains konzentriert sich mit seinen Produkten vor allem auf kleine und mittelständische Unternehmen. Zu den Mitbewerbern zählen in Europa in erster Linie Navision-Damgaard und Sage KHK. Great Plains ist in Deutschland primär über die Apertum-Produkte präsent, die das Unternehmen mit der Übernahme von BTK vor rund einem Jahr erworben hat. Auch in den USA hat der Softwarehersteller im letzten Jahr einige Firmen gekauft. Hierzu gehören zum Beispiel Realworld, ein Hersteller von Abrechnungssoftware, FRX Software, Anbieter einer Lösung für Finanz-Reports, und PWA Group mit Programmen für Personalverwaltung sowie Lohn und Gehalt. Der bedeutendste Zukauf war die Übernahme des direkten Konkurrenten Solomon Software für 140 Millionen Dollar im Mai.

Weltweit beschäftigt Great Plains heute 2000 Mitarbeiter und bedient rund 130000 Kunden. Mit einem Umsatz von zirka 160 Millionen Dollar im Kalenderjahr 1999 lag das Unternehmen laut der Top-500-Liste des "Software Magazine" deutlich hinter wichtigen US-Mitbewerbern wie Lawson Software und J. D. Edwards. Durch die Akquisitionen beträgt der Umsatz im Jahr 2000 schätzungsweise 300 Millionen Dollar.

Kurzfristig soll sich an der Ausrichtung von Great Plains nichts ändern. Mittelfristig, so vermuten Insider, ist aber die Integration der Produkte in Microsofts Online-Service "B-Central" geplant. Gartner rechnet bis 2003 damit, dass die Great-Plains-Produkte und -Technologien in das Portal eingebaut werden. Damit würde die ERP-Software auf Mietbasis im Rahmen des so genannten Application-Service-Providing (ASP) angeboten - ein Distributionsweg, auf den viele Hersteller in kleinen und mittelständischen Unternehmen setzen. Basis dafür bildet die .NET-Strategie von Microsoft, in die sich die GreatPlains-Produkte gut einpassen, da das Unternehmen sehr stark Microsoft-Technologien verwendet. Great Plains wird aber als eigenständige Business Unit fortgeführt, die an Microsofts Productivity and Business Server Group aufgehängt ist. Der bisherige CEO Doug Burgum wird als Chef der Business Unit an Jeff Raikes, Chef der Productivity and Business Server Group, und David Vaskevitch, als Senior Vice President für Business Applications zuständig, berichten.

Burgum wird außerdem in das elitäre Business Leadership Team eintreten - eine Gruppe, die Microsoft-Chef Steve Ballmer in strategischen und geschäftlichen Fragen berät. Das zeigt die Bedeutung, die der Übernahme und dem damit verbundenen Einstieg in ein neues Geschäftsfeld zukommt. Microsoft erzielt nämlich zurzeit noch 30 Prozent seines Umsatzes mit der Bürosoftware "Office". Das zweite große Stück des Umsatzkuchens machen die Betriebssysteme aus. "Die Windows-Umsätze werden wahrscheinlich relativ konsistent sein, aber nicht besonders wachsen", erklärt Meta-Group-Analyst Steve Kleynhans, "die Office-Umsätze sind jetzt flach und werden sich in den nächsten zwei Jahren durch Upgrades nicht signifikant vermehren." Obwohl Microsoft anlässlich einer kürzlich erfolgten Gewinnwarnung vor allem das schwache PC-Geschäft für die unerfüllten Umsatzerwartungen verantwortlich machte, gehen Analysten also von einer fundamentaleren Schwäche in diesen Geschäftsbereichen aus. Damit muss sich der Softwareanbieter neue Märkte erschließen. Der ERP-Einstieg ist dazu der erste Schritt.

Den registrieren einige Beobachter mit Skepsis. "Dass Microsoft nun in die Anwendungsarena geht, wird vielfach als Überschreiten einer Anstandsgrenze empfunden, da der Softwarehersteller damit die Neutralität gegenüber den Anwendungsherstellern verliert", beschreibt Helmuth Gümbel, Managing Partner beim Beratungsunternehmen Strategy Partners, die Auswirkungen auf den ERP-Markt. Es müsse sich erst zeigen, ob Microsoft seine Technologie und die Anwendungen auseinander halten kann.

Trotzdem geben sich die betroffenen ERP-Anbieter, die nun zugleich mit Microsoft kooperieren und konkurrieren müssen, gelassen. "Die Internationalisierung bei mittelstandsorientierten ERP-Anbietern hat sich als schwierig erwiesen. Daher bleibt abzuwarten, wie gut sich Great-Plains-Software in Deutschland etablieren kann - auch mit Microsoft-Unterstützung", sieht Harald Witte, Vorstandsvorsitzender der AP Automation und Productivity AG, Karlsruhe, keine Bedrohung durch die Übernahme. Auch im Mittelstand sei Lösungskompetenz gefordert. Die eigene Unterstützung für Microsofts .NET-Strategie stellt er daher nicht in Frage.

"In den USA wird unser Wettbewerb mit Great Plains sicher schärfer", vermutet Lars Damsgaard-Andersen, Geschäftsführer bei Navision-Damgaard in Deutschland. Mit Blick auf Europa gibt es sich aber gelassen. Die Übernahme zeige, dass die Konsolidierung im ERP-Markt fortschreite. Deshalb sei der erst kürzlich erfolgte Merger zwischen Navision und Damgaard richtig gewesen. Tatsächlich reagieren in den USA schon erste Unternehmen beunruhigt auf die Übernahme. So hat ein Softwareanbieter das US-Justizministerium wegen kartellrechtlicher Bedenken gebeten, eine Untersuchung einzuleiten.

Keine Sorgen ruft die Übernahme angeblich bei Sage KHK und J. D. Edwards hervor. So hält sich der Sage-Deutschland-Geschäftsführer Peter Dewald mit seinen Produkten für unterhalb des Marktsegments positioniert, das Great Plains adressiert. Auch die Great-Plains-Produkte der früheren Apertum treffen sein Unternehmen kaum. So sieht auch J. D. Edwards die Marktverhältnisse: Einem Konkurrenten Great Plains sei der ERP-Anbieter hierzulande praktisch nicht begegnet, erläutert Presseprecher Stephan Vanberg.

Das dürfte aber nicht so bleiben. Zurzeit erwirtschaftet Great Plains nur 17 Prozent seines Umsatzes außerhalb von Nordamerika. Mit Microsofts Hilfe könnte sich das bald ändern. Wichtig ist dafür allerdings nach Ansicht des Marktforschungsunternehmens Meta Group der Aus- und Aufbau einer Vertriebs- und Serviceorganisation für diesen Markt. "Mit dem Eintritt in den Markt für Unternehmenssoftware muss Microsoft - oder ein Handelskanal - viel mehr Support, Consulting und Händchenhalten für Kunden zur Verfügung stellen, die komplexe Anwendungssoftware installieren", zeigt Meta-Analyst David Folger auf. Die Gartner Group rechnet sogar damit, dass bis 2006 etwa 25 Prozent der Fortune-1000-Unternehmen auch diese Lösung ins Auge fassen, weil sich Great-Plains-Software mit Microsofts Unterstützung und durch weitere Zukäufe stark im Markt etabliert haben wird - womit Microsoft in direkte Konkurrenz zu den großen ERP-Anbietern wie SAP, Oracle und Peoplesoft treten würde.

Bei Great Plains Deutschland geht man unterdessen davon aus, dass die Microsoft-Übernahme keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Geschäft und die Produktstrategie hat. Das Hauptgeschäft macht die Softwareschmiede hier mit den Apertum-Produkten, und diese Linie soll zunächst wie bisher fortgeführt werden. Pressesprecherin Sabine Deitz will aber nicht ausschließen, dass sich die Basistechnik mittelfristig noch stärker an Microsoft-Erzeugnissen orientieren wird.

Eine andere Möglichkeit zieht die Meta Group in Betracht: Microsoft könnte bestimmte Geschäftssoftware-Komponenten für unabhängige Softwarehersteller (Independent Software Vendors = ISVs) produzieren, die diese in ihren Produkten einsetzen. Insbesondere bei Standardlösungen, zum Beispiel für die Finanzbuchhaltung, sind die gesetzlichen Randbedingungen so einengend, dass es hier kaum Differenzierungspotenzial gibt. "Microsoft war immer sehr gut darin, seine ISVs zu bedienen, und ich glaube nicht, dass sich das ändern wird", prognostiziert Meta-Group-Analyst David Cearly. Diese Strategie hat auch noch den Vorteil, dass Microsoft den kleinen ERP-Anbieter en passant seine .NET-Technologie unterschiebt, mit der die Great-Plains-Software verheiratet werden soll. Damit würde sich die Verbreitung und Akzeptanz dieser Microsoft-eigenen Basistechnologie deutlich erhöhen.

Ob das für die Anwender so positiv ist, muss sich aber erst noch zeigen. "Wenn die Anwendungssoftware von Great Plains genauso viele seltsame Probleme zeigt wie die Microsoft-Produkte, dann können sich die Anwender nicht freuen", warnt ERP-Experte Gümbel.

Martin Ottomeier

mottomeier@computerwoche.de

BUSINESS-SOFTWARE AUS REDMONDGreat Plains ist zwar der offensichtlichste, aber nicht der erste Versuch Microsofts, Anwendungssoftware für den Back-Office-Bereich von Firmen zur Verfügung zu stellen. Der damit erzielte Umsatz war bisher jedoch eher gering. Die primären Umsatz- und Gewinntreiber sind noch immer die Betriebssysteme und die "Office"-Suite von Produktivitätswerkzeugen wie Textverarbeitung und Präsentationsprogramm. Anwendungen für das Backend gibt es zum Beispiel in den Bereichen Business Intelligence und Dokumenten-Management.

Die Olap-Services in der Datenbank "SQL Server" umfassen Analysefunktionen für gespeicherte Daten . Bis jetzt hat es Microsoft aber nicht geschafft, spezialisierten Anbietern von Business-Intelligence-Anwendungen wie Hyperion ernsthaft Marktanteile abzunehmen. Nach Ansicht der Meta Group liegt das vor allem daran, dass hierzu Services und Support nötig sind, für die Microsoft noch keine Organisation hat. Solche Produkte können nicht einfach installiert und in Betrieb genommen werden, sondern erfordern unternehmensspezifische Anpassungen.

Auch im Bereich Dokumenten-Management versuchen die Redmonder seit einiger Zeit, Fuß zu fassen, ohne etablierten Anbietern in nennenswertem Umfang Marktanteile abzugewinnen. Neuester Versuch sind Produkte unter den Codenamen "Tahoe" und "Polar". Mit einer engen Anbindung an die Office-Pakete sollen damit die Verwaltung, das Publishing und die gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten vereinfacht werden. Tahoe gibt es zurzeit als Betaversion.