Microsoft hat Programmiersprache zum 4GL-Tool ausgebaut Visual Basic: Release-Wechsel sind immer mit Aerger verbunden

15.07.1994

BOSTON (CW) - Die kurzfristigen Vorteile von "Visual Basic" muessen langfristig teuer bezahlt werden. Zu diesem Ergebnis kommt Judith Hurwitz* in einer Studie ueber das Microsoft-Tool. Das urspruenglich als Werkzeug zur Erstellung von Windows-Anwendungsoberflaechen entwickelte Produkt sei mit der derzeitigen Positionierung als umfassendes Werkzeug zur Erstellung von Client-Server- Applikationen ueberfordert.

Der zunaechst auch fuer Microsoft ueberraschende Erfolg von Visual Basic beruht vor allem darauf, dass es gelungen ist, einen Markt fuer Objekt-Bibliotheken zu schaffen. Damit wird Visual Basic zu einem Werkzeug, mit dem Entwickler ohne tiefere Kenntnis objektorientierter Techniken Anwendungen generieren koennen, indem sie Objekte aneinanderfuegen. Auf diese Weise lassen sich rasch vergleichsweise komplexe Anwendungen fuer Windows-Front-ends und fuer Bueroumgebungen schreiben.

Die Staerken:

-Front-end-Anwendungen: Wenn es um ereignisgesteuerte Oberflaechen geht, steht der Maskengenerator von Visual Basic den Konkurrenzprodukten in nichts nach. Den Programmierern gefaellt, dass sie sich nicht um die Host-Applikationen kuemmern muessen und dem Endbenutzer trotzdem die spartanische Umgebung der Server ersparen koennen.

-Prototyping von grafischen Anwendungen: Ueberall, wo Windows als Zielplattform eingesetzt wird, ist Visual Basic das Prototyping- Instrument der Wahl.

-Schaffung von Bueroloesungen: Entwickler von individuellen Loesungen berichten, dass das Customs-Control-Verfahren von Visual Basic sich besonders gut eigne, um komplexe Anwendungen fuer die Bueroautomation auf die jeweiligen Kundenbeduerfnisse zuzuschneiden. Ausserdem lassen sich diese Custom Controls als Klassenbibliotheken fuer Visual Basic weitervermarkten.

Die Schwaechen:

-Die Migration: Es ist nicht einfach, von einer Visual-Basic- Version auf die naechste zu wechseln, weil Microsoft jedesmal die zugrundeliegende Technik aendert. Besonders schwierig gestaltet sich der Umstieg von DDE auf OLE, OLE 2.0. und schliesslich auf eine verteilte Variante von OLE.

-Die Objektverwaltung: Am heftigsten fiel die Kritik an den mangelhaften Moeglichkeiten aus, mit Visual Basic geschaffene Objekte zu verwalten. So sei es schwer, alle Objekte wiederzufinden, die zu einer Anwendung gehoeren.

-Die Methodologie: Die mit Visual Basic erstellten Anwendungen sind nicht modular, sondern monolithisch.

Diese Nachteile wirken sich nur bedingt aus, solange die Entwickler sich auf reine Desktop-Anwendungen beschraenken. Bei umfangreicheren Projekten sind jedoch Schwierigkeiten zu erwarten. So gehoert die Skalierbarkeit der Anwendungen bisher nicht zu den Staerken von Visual Basic. Auch wird sich Microsoft noch staerker mit der Server-Seite der Anwendungsentwicklung beschaeftigen muessen.

Die Metamorphose

von Visual Basic

Bei der Vorstellung von Visual Basic im Jahr 1991 positionierte Microsoft die Software als Entwicklungs-Tool fuer Windows- Benutzeroberflaechen und bezeichnete sie selbst oft als "Macro- Sprache". Ein Jahr spaeter war sie bereits zum Werkzeug fuer die Entwicklung von Desktop-Anwendungen aufgestiegen. Aufgrund des Funktionsumfangs der Version 3.0 klassifiziert Hurwitz das Produkt inzwischen als 4GL-Werkzeug fuer Client-Server-Umgebungen.