Freigabe nur für Teile des Windows-Codes?

Microsoft erwägt Open-Source-Modell

04.06.1999
MÜNCHEN (CW) - Microsoft hat erneut die Freigabe des Windows-Sourcecodes in Aussicht gestellt. Doch während Topmanager Steve Ballmer den "immensen Erfolg von Linux" als Grund für die anhaltenden Open-Source-Gedankenspiele nennt, glauben Marktbeobachter noch immer an ein Ablenkungsmanöver für das US-Justizministerium.

Microsoft denkt nach den Worten von President Steve Ballmer immer noch "ernsthaft darüber nach", den Quellcode der Betriebssystem-Plattform Windows öffentlich zur Verfügung zu stellen. "Wir registrieren ein hohes Interesse an Linux. Mehr als ich mir das persönlich wünsche", erklärte Bill Gates'' rechte Hand, nachdem Vice-President Brian Valentine auf der diesjährigen Winhec-Konferenz in Los Angeles erstmals offiziell über eine eventuelle Source-Strategie gesprochen hatte (siehe CW 15/99, Seite 1). Der rege Zuspruch für das Open-Source-Betriebssystem in den letzten Monaten habe, so Ballmer weiter, Microsoft dazu bewogen, sich intensivere Gedanken über den Erfolg des Linux-Modells zu machen.

Ganz klar über das Erfolgsrezept von Linux sei sich Ballmer jedoch trotzdem noch nicht. Weder der niedrige Preis für das freie Betriebssystem noch die oft beschworene Zusammenarbeit der weltweit verstreuten Linux-Programmierer könnten wirklich ausschlaggebend für das große Interesse sein.

Qualität ist wichtiger als der Preis

Zum einen sei Qualität wichtiger als der Preis. Außerdem biete auch Windows Drittanbietern über dynamische Bibliotheken und Gerätetreiber genügend Möglichkeiten, eigene Entwicklungen voranzutreiben.

Dennoch nehme Microsoft derzeit das gesamte Phänomen Open Source genauer unter die Lupe. "Es gibt Teile des Quellcodes, die, falls sie freigegeben würden, Menschen ihre Arbeit effektiver gestalten ließen", räumte Ballmer ein. Offensichtlich liege bei Entwicklern ein Bedarf am Source- code vor. Laut Ballmer könnte beispielsweise die Freigabe von Datenbank-Schnittstellen Vorteile für den Anwender bringen. Unklar sei jedoch, wann und vor allem in welchem Umfang Microsoft das Open-Source-Modell auf Windows anwenden werde. Auf keinen Fall werde der komplette Code des Betriebssystems freigegeben.

Die wiederholten Bekundungen Microsofts, sich eventuell mit dem Open-Source-Gedanken anfreunden zu wollen, stoßen bei Marktbeobachtern allerdings auf Skepsis. Der immense Druck vom US-Justizministerium und den Microsoft-Widersachern sind nach Ansicht von Branchenkennern die wahren Gründe, weshalb die Gates-Company das Erfolgsmodell der Betriebssystem-Konkurrenz Linux kopieren will.