Nach dem Washingtoner Urteil

Microsoft droht eine Flut privater Klagen

07.04.2000
MÜNCHEN (wh) - Nach dem Schuldspruch im Washingtoner Kartellprozess muss Microsoft mit einer Fülle privater Schadensersatzklagen rechnen. Der Konzern feilt unterdessen an einer Strategie für ein Berufungsverfahren.

Mit seinem Verhalten habe Microsoft nicht nur Konkurrenten, sondern auch die Verbraucher geschädigt, argumentiert Richter Thomas Jackson. Zum einen sei ein Schaden durch überhöhte Softwarepreise entstanden, zum anderen habe das Geschäftsgebaren des Unternehmens Innovationen im Softwaremarkt verhindert.

Justizministerin Janet Reno schlug in einer ersten Stellungnahme in dieselbe Kerbe: "Microsoft wird für sein illegales Verhalten zur Rechenschaft gezogen." Für die Verbraucher gelte es nun, Schadensersatz für überhöhte Softwarepreise durchzusetzen. Mehr als hundert private Sammelklagen sollen in den Vereinigten Staaten bereits anhängig sein. Die Staatsanwälte können sich nun auf den Schuldspruch des Washingtoner Richters berufen. US-Juristen rechnen deshalb mit einer Flut weiterer privater Schadensersatzklagen.

Nach den am vergangenen Samstag gescheiterten Vermittlungsgesprächen unter der Leitung des US-Juristen Richard Posner kam der Richterspruch nicht mehr überraschend. Schon vor dem Urteil galt es als sicher, dass die Anwälte des Unternehmens ein Berufungsverfahren anstreben werden.

Die Hoffnungen des Redmonder Softwarekonzerns ruhen jetzt auf dem Berufungsgericht in Washington. Dieses hatte am 23. Juni 1998 schon einmal für Microsoft entschieden, als es um die Frage ging, ob der Hersteller OEM-Partner zwingen darf, auf ihren Rechnern neben Windows 95 auch den Browser "Internet Explorer" vorzuinstallieren. Damals hob das Gericht eine einstweilige Verfügung von Richter Jackson auf. Darüber hinaus argumentierten die Richter - anders als die Microsoft-Gegner -, Windows 95 und der Internet Explorer seien als ein integriertes Produkt zu sehen.

Ob die Strategie Microsofts aufgeht, ist indes fraglich. Das juristische Fachblatt "New York Law Journal" verwies schon im November 1999 auf den "Antitrust Expedition Act", der die Hoffnungen der Gates-Company zerstören könnte. Das Gesetz erlaubt es dem US-Justizministerium, auf Antrag zur Beschleunigung eines Kartellverfahrens eine Entscheidung eines nachgeordneten Berufungsgerichts zu umgehen und die Sache gleich vor dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court) verhandeln zu lassen. In diesem Fall hätte Microsoft nach Ansicht von Rechtsexperten die schlechteren Karten.

Kurt Braatz, Pressesprecher der deutschen Microsoft GmbH in Unterschleißheim, erklärte gegenüber der computerwoche, derzeit sei noch nicht klar, welche gerichtliche Instanz für ein Berufungsverfahren in Frage komme.

Microsoft könne erst in Berufung gehen, nachdem Jackson die Sanktionen festgelegt habe. Damit sei frühestens im Sommer zu rechnen. In jedem Fall sei "ein Zeithorizont von ein bis zwei Jahren" für die Berufung anzusetzen.

Jackson hat in seinen "Findings of Law" dargelegt, wie Microsoft gegen geltende Gesetze verstoßen hat.

Erst in einem zweiten Schritt, dem voraussichtlich noch einmal Stellungnahmen der Prozessparteien vorausgehen, wird der Richter das Strafmaß bekannt geben. Nicht auszuschließen ist angesichts des langen Zeitraums, dass es doch noch zu einer einvernehmlichen Regelung zwischen den Parteien kommt.

Unbestätigten Berichten zufolge hatte sich Microsoft schon zu weitreichenden Zugeständnissen bereit erklärt und damit offenbar gehofft, einer von den Klägern geforderten Zerschlagung zu entgehen (siehe CW 13/00, Seite 9). Trotzdem scheiterten die vor vier Monaten begonnenen Schlichtungsgespräche am vergangenen Samstag.

"Wir haben alles versucht, um das Kartellverfahren gütlich beizulegen. Die Regierung hat eine faire und vernünftige Beendigung des Prozesses im Sinne der Verbraucher und Industrie verhindert", versuchte Gates den Klägern die Schuld zu geben.

In den Vereinigten Staaten kursierten Meldungen, denen zufolge vor allem die Vertreter der Bundesstaaten Schuld am Scheitern der Einigungsgespräche hätten. Auch Gates deutete solche Meinungsverschiedenheiten an: Die Gespräche seien gescheitert, weil das Department of Justice (DoJ) und die Staaten nicht zusammengearbeitet hätten. "Sie schienen entweder eine Aufspaltung oder andere extreme Konzessionen zu fordern, die weit über das hinausgingen, was im Prozessverlauf verlangt worden war", so der einstige Firmenlenker.