Methoden und Organisation muessen stets zeitgemaess sein Vieles an der Softwarekrise ist hausgemacht

11.02.1994

Noch gleichen in der Bilanz der Computerbranche Umsatz- und Gewinnzuwaechse der Software-Industrie Rueckschlaege bei der Hardware aus. Aber auch in diesem Marktsegment ist die Goldgraeberstimmung vergangener Jahre verflogen. Etliche Jahresabschluesse zeigen deutlich negative Trends.Ueber Defizite der deutschen Software- Industrie und moegliche Auswege sprach CW-Redakteur Ludger Schmitz mit Hans Strack-Zimmermann, Mitgeschaeftsfuehrer des Muenchner Unternehmens Ixos Software GmbH.

CW: Wie stellt sich die Krise der Software-Industrie dar?

Strack-Zimmermann: Man muss verschiedene Sparten dieser Branche unterscheiden. Mainframes geraten langsam aufs Altenteil. Und Softwarehaeuser, die ausschliesslich auf Mainframe-orientierte Produkte ausgerichtet waren und daran festhielten, haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

CW: Geht es den Firmen, die sich an offenen Systemen orientieren, besser?

Strack-Zimmermann: Die schlagen sich mit ihren Produkten schon viel wackerer. Allerdings sind viele von ihnen in sogenannter Middleware und Entwicklungssoftware steckengeblieben. Das sind technologiegetriebene Firmen, die Entwicklungswerkzeuge verkaufen, nicht aber die eigentliche Anwendungssoftware. Und leider ist der Markt fuer Tools begrenzt.

CW: Den Anwendungsentwicklern im PC-Markt geht es in vielen Faellen aber auch nicht gerade blendend.

Strack-Zimmermann: Das ist die dritte Gruppe. Die bewegen sich in einem Markt mit den grausamsten Spielregeln ueberhaupt. Dem Preisverfall der PC-Hardware folgt der Preisverfall der PC- Software. Wenn ein PC nur noch 2000 Mark kostet, dann darf das Anwendungssoftwarepaket eben nicht mehr als 300 Mark kosten. Also ist in diesem Markt Masse alles. Wie macht man Stueckzahlen? Die macht man in grossen Maerkten durch viel Marketing-Geld und Feldgeschrei.

CW: Zeigt sich im Unix-Markt nicht ein vergleichbarer Trend zu Off-the-shelf-Software?

Strack-Zimmermann: Ja, aber nur bei PC-Unix. Meistens handelt es sich bei Unix-Software um grosse, komplexe Produkte mit einer starken Vernetzungskomponente. Das verlangt und schliesst normalerweise viel Dienstleistung ein, die mitverkauft und mitbezahlt wird. Grosse Stueckzahlen wie im Windows-Bereich macht man mit Unix-Software nicht.

CW: Auch im Windows-Bereich zaehlen deutsche Softwarehaeuser nicht gerade zu den grossen.

Strack-Zimmermann: Der deutsche Softwaremarkt hat ein zu geringes Nachfragepotential.

CW: Und der europaeische?

Strack-Zimmermann: Der ist zu fragmentiert. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu: Bei amerikanischen PC-Softwarehaeusern betraegt das Verhaeltnis zwischen Entwicklungs- und Marketing-Kosten heutzutage ungefaehr eins zu zwoelf. Marketing kostet das Zwoelffache der Entwicklung. Eine gute amerikanische Firma gibt fuer die Verpackung, Handbuecher etc. genausoviel Geld aus wie fuer die eigentliche Entwicklung. Und der Rest geht fuer eine brutale, marktschreierische Werbung drauf. Das lohnt sich fuer den deutschen Markt nicht.

Ausserdem gilt als gut, was aus den USA kommt. Deutsche Softwarehaeuser, die fuer Windows Produkte machen, muessen so viel Geld mitbringen, dass sie sich eine Vertriebsorganisation in den USA leisten koennen und dann den deutschen Markt von dort aus beackern. Wer das nicht kann, sollte die Finger davon lassen.

CW: Die auf Dienstleistungen setzenden Softwarehaeuser stehen vor dem Problem sinkender Stundensaetze.

Strack-Zimmermann: Weil es viele Billiganbieter gibt. Die rekrutieren sich auf der einen Seite aus den angeschlagenen Softwarehaeusern, die Auftraege brauchen, und auf der anderen Seite aus den vielen Einzelkaempfern, die heute teilweise fuer Stundensaetze von 100 Mark und weniger arbeiten. Ausserdem gibt es einen Preisdruck aus den osteuropaeischen und den asiatischen Laendern.

Entwickler sind ja in Ungarn oder Tschechien nicht weniger qualifiziert. Und wenn ich dort fuer ein Fuenftel des Preises etwas entwickeln lassen kann, dann hat das Auswirkungen auf den deutschen Softwaremarkt und auf die hiesigen Stundenloehne.

CW: Welche Loesung bleibt deutschen Softwarehaeusern?

Strack-Zimmermann: Jene, die rechtzeitig in ihre Produktivitaet investiert haben, das heisst in bessere Entwicklungswerkzeuge, in wiederverwendbare Softwarekomponenten, in bessere Organisation und in die noetige Hardware-Ausstattung, stehen eigentlich ganz gut da. Ausserdem bieten sich Mischkalkulationen an: Ein Teil wird im Ausland programmiert, ein Teil hier.

CW: Wieso ist wiederverwendbare Software wichtig?

Strack-Zimmermann: Wenn wir es nicht lernen, Teile der Programme, die wir einmal geschrieben haben, wiederzuverwenden, koennen wir in einem Hochlohnland wie Deutschland einfach keine Software mehr entwickeln. Wiederverwendung heisst nicht unbedingt Objektorientierung. Das ist eine Methodik, die sich einsetzen laesst. Man kann auch einen klassischen Bibliotheksansatz verwenden oder integrierbare Teilprodukte.

CW: Was heisst bessere Organisation?

Strack-Zimmermann: Es geht darum, kleine und hochmotivierte Entwicklungsteams zu schaffen, die gemeinsam in begrenzten Zeitrahmen an ueberschaubaren Projekten arbeiten. Bei grossen Gruppen reden neun von zehn Leuten, und einer programmiert.

CW: Laeuft das auf die Softwarefabrik hinaus?

Strack-Zimmermann: Nein. Es ist ein Manager-Wunschtraum zu glauben, man koenne eine Softwarefabrik bauen mit Ingenieur- Zombies, die ihre DIN-Codes vor sich liegen haben, sie mit Normwerkzeugen bearbeiten etc. Nichts davon ist wahr. Software- Entwicklung ist eine kreative Taetigkeit. Sie laesst sich nicht in ein Produktionsschema pressen und durch beamtete Manager abwickeln. Software kann man nicht vorhersagbar roboten.

Allein die Produktivitaetsunterschiede zwischen Programmierern sind gewaltig. Da gibt es Leute, die fehlerfreien Code 30mal schneller schreiben als ein Kollege mit gleicher Ausbildung. Solche Verhaeltnisse gibt es am Fliessband nicht.

CW: Das legt das Bild des freischaffenden Softwarekuenstlers nahe.

Strack-Zimmermann: Ich wehre mich gegen das Wort freischaffender Kuenstler. Es geht um manchmal ungewoehnliche Leute, aber es sind Geistesarbeiter. Mit Betonung auf Arbeit. Algorithmen zu schreiben in grossen Mengen, tagein, tagaus, ist einer der haertesten kreativen Jobs. Der verbraucht und verzehrt. Das hat nichts mit Kuenstlertum zu tun. Das ist einfach brutale Arbeit. Und zwar eine, die nicht automatisierbar ist, bei der es unvorhersehbare Wege gibt, in der es Genialitaet gibt.

CW: Sollten Manager von Softwarehaeusern unbedingt etwas vom Programmieren verstehen?

Strack-Zimmermann: Ja, ein x-beliebiger Betriebswirt ist eine Katastrophe. Software-Experten, die managen koennen, sind gute Manager, weil sie den Prozess und die Leiden kennen, die juengere Entwickler gerade durchmachen. Die Software-Industrie ist wirklich reif genug, um von Leuten geleitet zu werden, die einen DV-Beruf gelernt und gelebt haben.

CW: Nun stehen Informatiker nicht gerade im Ruf, viel von Marketing zu verstehen.

Strack-Zimmermann: Beim Vertrieb geht es um etwas anderes. Vertrieb ist eine Sache fuer Menschen, die kontaktfreudig sind. Wer zusaetzlich einen technischen Hintergrund hat, tut sich natuerlich leichter, technische Produkte zu praesentieren. Aber tiefgreifendes DV-Know-how ist im Vertrieb meist keine Voraussetzung, eher Branchenkenntnisse.

CW: Ist buerokratischer Overhead ein relevantes Problem von Softwarehaeusern?

Strack-Zimmermann: In weiten Teilen unserer Branche hat man sich angewoehnt, dass ein paar hoehere Leute eine Projektstudie machen, das Papier an eine Spezifikationsgruppe weiterreichen und diese dann die Aufgaben an Programmiererteams auf der niedrigsten Stufe abschiebt. Ich bin ein entschiedener Gegner solcher Verfahren, die fast immer zu Schrottanwendungen oder Entwicklungsleichen fuehren.

Richtig ist ein alle Phasen der Entwicklung umfassender Dialog. Die meisten unserer Kunden fangen an mitzudenken, wenn sie die ersten Bildschirmmasken, Windows- oder Listenelemente sehen. Dann ploetzlich ...

CW: ... kommen die Kunden auf die Idee, was sie vielleicht noch alles gern zusaetzlich oder anders haetten.

Strack-Zimmermann: Das ist ja in Ordnung. Deswegen arbeitet man mit Werkzeugen, die Aenderungen vereinfachen. Weil man weiss, dass es so ist.

CW: Ein haeufiger Vorwurf in Richtung Software-Industrie lautet, dass den Kunden eigentlich gar nicht richtig zugehoert wird.

Strack-Zimmermann: Lange Zeit haben wir Software-Entwickler eine grenzenlose Arroganz an den Tag gelegt. Wir haben das Kriterium Nuetzlichkeit ignoriert. Wie nuetzlich ist das eigentlich, was wir da entwickelt haben? Wem nutzt es? Hilft es dem Kunden oder mir? Macht es den Anwender produktiver, systematischer, schneller oder sein Leben leichter? Was tun wir eigentlich? Derartige Sinnfragen werden von einem reinen Technokraten ueberhaupt nicht angestellt.

Ich glaube, durch die Werkzeuge, die wir heute einsetzen koennen, sind wir sehr viel schneller imstande, Kundenbeduerfnisse zu befriedigen. Wir sind viel besser in der Lage, nach deren Vorstellungen zu arbeiten und Ergebnisse vorzuweisen.

CW: Aber durch Tools wird man ja noch nicht in die Lage versetzt, Kundenbeduerfnisse ueberhaupt zu erkennen.

Strack-Zimmermann: Nein, aber dadurch, dass man im Team mit dem Kunden gemeinsam entwickelt. Es ist wichtig, dass der Anwender nicht etwas in Auftrag gibt und dann abgeliefert bekommt, sondern dass er mitentwickelt und mitdenkt. Das geht heute. Man kann viele Dinge gemeinsam mit dem Anwender produzieren, der neben einem am Bildschirm sitzt. Der denkt mit, der hat Spass daran.

CW: Viele Anwender sind sauer, weil ihnen die Software-Industrie zu viele unerfuellte Versprechungen gegeben hat.

Strack-Zimmermann: Ja, wir leben natuerlich in der Branche der schnellen Sprueche. Es ist zuviel versprochen und zuwenig eingeloest worden. Aber wir Softwareleute sind noch Waisenknaben, verglichen mit den sogenannten Beratern, die flott daherreden, von Software- Entwicklung keine Ahnung haben und verschwinden, wenn es an die Realisierung geht.

Es ist wichtig, einen Kunden nicht nur zu beraten, sondern auch die Realisierung zu uebernehmen, damit er einen beim Wort nehmen kann.

CW: Haben denn umgekehrt die Realisierer, die Softwarehaeuser, Beratungskompetenz?

Strack-Zimmermann: Manchmal nicht. Das ist in den einzelnen Sparten sehr unterschiedlich. Wenn man Beratungs- und Realisierungskompetenz in einem Hause hat, muss man aufpassen, dass die Beratung nicht zur vertrieblichen Speerspitze der Realisierung verkommt. Das haben die Kunden nicht gern, weil dann die Beratung immer darauf hinauslaeuft, einen Auftrag zu ergattern. Insofern ist eine Zusammenarbeit von unabhaengigen Realisierern und Beratern wohl das beste.

CW: Ein weiteres Problem: Die Klagen ueber fehlerhafte Software reissen nicht ab.

Strack-Zimmermann: Natuerlich muessen wir besser testen, automatische Testroutinen entwikkeln. Aber ebensoviel bringt das Wiederverwenden von Software. Wenn wir abgeschottete und erprobte Komponenten wieder und wieder verwenden, wird die Fehlerquote automatisch sinken.

Es ist ausserdem auch der Markt, der die Software-Industrie zum Schludern erzieht. Wenn wir heute ein Programm schreiben, gilt es nach einem Jahr als alt und ist unverkaeuflich. Da ist Schludern, dirty, but quick, eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Wenn der Innovationsdruck einmal etwas nachlaesst und der Markt uns die noetige Zeit gibt, koennen wir die Produkte auch perfekter machen.

CW: Aber am aelteren US-amerikanischen Softwaremarkt sieht es gar nicht danach aus.

Strack-Zimmermann: Ein amerikanisches Softwarehaus faengt heute fuer ein PC-Produkt das Test-Marketing an, bevor die erste Zeile Code geschrieben ist. US-Softwareprodukte werden schon verkauft, bevor die Anwendung fertig entwickelt ist. Das macht hier keiner.

CW: Wollen Sie die Renaissance der Vaporware propagieren?

Strack-Zimmermann: Es ist bei Massenprodukten eine Notwendigkeit, dass Marketing und Entwicklung gleichzeitig laufen, weil man eben nur ein Jahr hat, bis das Produkt wieder veraltet ist.