Mehr als schöne Bilder

02.08.1991

Raimund Fröschle, Pecom Unternehmensberatung und Datenverarbeitung GmbH, München

Eine der wichtigsten Schnittstellen von Computersystemen ist die zum Menschen. Seit es Computer gibt, ist man bemüht, seine Bedienbarkeit so einfach wie möglich zu gestalten und auch Laien den Zugang zum Rechner zu erleichtern. Wirkliche Fortschritte auf diesem Gebiet wurden allerdings erst in den 80er Jahren erzielt, seit es Bildschirme erlauben, nicht nur Text, sondern auch Grafiken darzustellen. Mit der Verbesserung der Hardware bezüglich Rechnergeschwindigkeit und verfügbarer Speicherkapazität wurden grafische Applikationen immer performanter und annehmbarer. Die Maus hat sich dabei neben der Tastatur als fast nicht mehr wegzudenkendes Eingabemedium etabliert.

Man begann sehr schnell, ganze Fenstersysteme zu entwickeln, um so den Bildschirm in sich überlappende grafische Bereiche auszuteilen. Der Benutzer hat dadurch "mehr Platz" zur Verfügung und kann mehrere Arbeiten am Bildschirm "gleichzeitig" erledigen. Dieser Effekt wird natürlich durch Multitasking-fähige Betriebssysteme wie Unix verstärkt, wobei Anwendungen in mehreren Fenstern "parallel" ablaufen können. Aufbauend auf de Fenstersystemen, werden immer komfortablere Benutzeroberflächen entwickelt, die den unbedarften Anwender durch grafische Nachbildung seiner gewohnten Schreibtisch-Umgebung an den selbstverständlichen Umgang mit dem Computer heranführen sollen.

Längst sind nicht mehr nur Softwarespezialisten gefragt, sondern auch Designer, die den Erfolg einer Benutzeroberfläche durch eine ausgeklügelte Ergonomie entscheidend mitbestimmen. Leider bemüht man sich erst in allerjüngster Zeit eine gewisse Vereinheitlichung in die Vielfalt der Entwicklungen zu bringen.

Grafische Benutzeroberflächen werden mittlerweile auf allen marktgängigen Systemen angeboten. Im PC-Bereich hat sich Windows unter DOS mit der aktuellen und sehr leistungsfähigen Version 3.0 etabliert. Nicht ganz so verbreitet ist der Presentation Manager unter OS/2, der sehr viel Ähnlichkeit mit Windows besitzt und als Konkurrent versucht, Windows Marktanteile abzuringen. Die große Stärke von OS/2 gegenüber Windows ist die Fähigkeit zum echten Multitasking. Aber dennoch wird der Presentation Manager nur sehr zögernd eingesetzt. Es gibt noch zuviel Software, die nur unter Windows läuft, als daß ein schneller Umstieg auf Presentation-Manager denkbar wäre.

Aus diesem Grund ist man auch eifrig bemüht, mit der Entwicklung von Übersetzungs-Tools eine höhere Kompatibilität zu erreichen. Beide Fenstersysteme haben gemeinsam, daß sie vollständig in ihr Betriebssystem integriert sind. Mehr noch, sie werden oft sogar als eigenständige Betriebssysteme bezeichnet. Der Anwender erhält sofort nach dem Starten des Rechners eine grafische Oberfläche, von der aus sämtliche Funktionen auf einfache Weise erreichbar sind. Hieran wird deutlich, daß niemand auf Dauer an grafischen Benutzeroberflächen und Fenstersystemen vorbeikommt.

Überall dort, wo sich Unix als Betriebssystem durchsetzt, hat sich das X-Window-System als Basis für grafische Benutzeroberflächen weitgehend etabliert. Es handelt sich um ein Fenstersystem, das in der zweiten Hälfte der 80er Jahre entwickelt wurde und mittlerweile als Standard bezeichnet werden kann. Das X-Window-System (Server) bedient, und verwaltet einen Bildschirm und kommuniziert mit den verschiedenen Anwendungen (Clients), die ebenfalls lokal oder auf anderen, über Netz verbundenen Rechnern ablaufen können.

Auf diesem Fenstersystem aufbauend, wurden sehr schnell leistungsfähige Toolkits entwickelt, die den damit erstellten grafischen Benutzeroberflächen ein besonderes Profil geben sollen.

An erster Stelle ist hier sicher OSF/Motif zu nennen, das neben einem Toolkit eine Menge objektorientiert aufgebauter grafischen Objekte zu Verfügung stellt, die es erlauben, mit relativ wenig Aufwand anspruchsvolle Benutzeroberflächen zu erstellen. Ein Style Guide soll dafür sorgen, daß die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auch richtig eingesetzt werden. Open Look ist ein anderes System, das sich ebenfalls auf der Basis von X-Window durch ein eigenes "Look and feel" einen Namen gemacht hat, aber nicht so weit verbreitet ist wie OSF/Motif.

Die Vielfalt der Fenstersysteme in den verschiedensten Bereichen und Anwendungen, die mit diesem kurzen Überblick sicher noch lange nicht erschöpft ist, macht deutlich, daß sich hier ein neues Gebiet in der DV auftut, in dem viele neue Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen sind:

- Strategien und Problemlösungen sind zu erarbeiten, die genau auf die einzelnen Ziele zugeschnitten sind, welche mit dem Einsatz eines bestimmten Fenstersystems verfolgt werden. Das beginnt bei der Auswahl der geeigneten Hardware (Mehrplatz-Systeme, Workstations, PCs) und führt über die Festlegung des Betriebssystems (DOS, OS/2, Unix) zu einem konkreten Fenstersystem. Nur weitreichende Kenntnisse auf allen Bereichen können hier zu einer optimalen Lösung führen.

- Schulung und konkrete Einarbeitung sind sowohl für den Anwender als auch für den Entwickler grafischer Benutzeroberflächen unerläßlich.

- Design und ergonomische Gestaltung sind ebenso wichtig wie das technische Verständnis, denn nur eine Benutzeroberfläche, die sich weitgehend selbst

erklärt, findet auf Dauer Akzeptanz beim Anwender.

- Die Software-Entwicklung hat sehr vielschichtige Aufgaben. Das beginnt bei der Entwicklung neuer Programmierschnittstellen oder von neuen grafischen Objecktbausteinen und führt bis zur Implementierung von Endbenutzeroberflächen. Dabei ist der Trend zu beobachten, durch die Entwicklung von gemeinsamen Schnittstellen auf mehreren Fenstersystemen die Vielfalt unter einen Hut zu bringen und etwas übersichtlicher zu machen.