Intranet/Java könnte echte Groupware-Funktionalität bringen

Lotus & Co. haben gegenüber dem Intranet noch die Nase vorn

30.08.1996

Intranet versus Groupware - dieser Diskussionsansatz ist genauso sinnlos wie der Vergleich zwischen Birnen und Obst: Das eine schließt das andere nämlich nicht aus. Der Begriff Intranet, der ungefähr Anfang letzten Jahres erstmals publiziert wurde, steht für eine Netzwerk- und Anwendungsarchitektur, die auf den im Internet verwendeten Standards basiert: TCP/IP als Netzprotokoll, HTTP und HTML für WWW-Anwendungen (World Wide Web) oder SMTP für die Mail-Kommunikation.

Die Dienste des Internet stehen damit auch intern zur Verfügung: Es lassen sich Dokumente betrachten, Daten übertragen, die Benutzer können ihren gesamten Mail-Verkehr via SMTP und MIME, den Standard für Attachments, verschicken oder in Diskussionsforen Probleme erläutern. Ein WWW-Browser integriert im Intranet- Gedanken diese separaten Programme - sie präsentieren sich für den Benutzer unter einer einheitlichen Oberfläche.

Intranet umfaßt damit ein gesamtes Netzkonzept, das über TCP/IP auch die Standards für den Datentransport und die Rechnerverbindung setzt. Anhand der OSI-Schichten (Open Systems Interconnection) erklärt, berührt das Intranet auch die Ebenen 3 (Vermittlung) und 4 (Transport), während Groupware als reine Applikation nur die Anwendungsebene (Schicht 7) betrifft. Groupware setzt also auf dem Intranet auf und stellt somit quasi eine Untermenge dar.

Bei der Diskussion Intranet versus Groupware ist in der Regel nur die Anwendungsebene des Intranet-Konzepts gemeint. Die Frage ist, ob sich mit den Internet-Standards Applikationen entwickeln lassen, die in ihrer Funktionalität mit existierenden Groupware- Lösungen vergleichbar und damit ersetzbar sind.

Mail-Funktionen, Dokumenten-Management und Diskussionsforen sind sowohl als Internet- beziehungsweise Intranet-Anwendung vorhanden als auch in Groupware-Lösungen wie Lotus Notes integriert. Entsprechend gehen die Überlegungen der Anbieter aus dem Internet- Lager dahin, inwieweit sich aus diesen Einzelkomponenten vollwertige Groupware-Programme stricken lassen.

Als Vorteil des Intranet gilt die weitgehend plattformunabhängige und nicht herstellerspezifische Technologie. Hinzu kommt, daß die Internet- beziehungsweise Intranet-Standards weltweit verbreitet sind, die interne Lösung läßt sich so ohne großen Aufwand auch für den externen Zugriff erweitern. Der HTML-Code, mit dem WWW- Anwendungen erstellt werden, ist frei verfügbar. Editoren sind zum Teil kostenlos über das Internet erhältlich.

Auch die Software zum Bereitstellen der Informationen, also Web- Server und FTP-Server (File Transfer Protocol) etc. sind umsonst zu haben, wenn sich ein Unternehmen mit nicht gewarteten, aber weitverbreiteten Freeware-Programmen begnügt. Die Portierung auf kommerzielle Varianten, etwa von Netscape und Microsoft, gestaltet sich zudem relativ einfach.

Ein weiterer Pluspunkt ist die einheitliche Benutzeroberfläche. So sind Web-Browser mittlerweile für fast alle Client-Plattformen verfügbar - ob Macintosh, Windows-PC, Unix-System oder OS/2- Rechner, sie alle können auf die im Intranet bereitgestellten Informationen zugreifen.

Im Fall von Windows 95 oder OS/2 gehört die WWW-fähige Software sogar zum Betriebssystem, was sich hinsichtlich der Kosten einer unternehmensweiten Informationslösung positiv niederschlägt. Auch die Anwendungsprogramme selbst, etwa für Mail, sind zum Teil kostenlos erhältlich.

Bisher handelt es sich bei den Groupware-Ansätzen auf Basis der Internet-Standards allerdings nur um Stückwerk - mit einem WWW- Browser als integrativem Faktor. Wer die klassische Groupware nur dazu benutzt, Mail und Meinungen auszutauschen oder statische Informationen abzurufen, für den könnte das vorhandene Angebot eine Alternative sein.

Von den verzahnten Prozessen, wie sie in "echter" Groupware realisiert sind, ist dieser Lösungsansatz bislang weit entfernt. "Notes bietet wesentlich weitreichendere Funktionen, als sie gegenwärtig mit reinen Intranet-Lösungen zu realisieren sind", stellt Andreas Kilgenstein, Projekt-Manager vom Notes- Dienstleister What?s up AG in Unterhaching, fest.

Als wichtig ist hierbei unter anderem das Dokumenten-Sharing zu nennen. Mitarbeiter haben so die Möglichkeit, gemeinsam das gleiche Dokument zu bearbeiten. Mit dieser Standardfunktion ausgereifter Groupware-Lösungen kann die Intranet-Welt noch nicht konkurrenzfähig aufwarten.

"Für die Abbildung eines betrieblichen Workflows mit all seinen Facetten ist es unabdingbar, daß sich dedizierte Zugriffsrechte auf die Inhalte eines Dokuments vergeben lassen", erklärt der What?s-up-Mitarbeiter. "Die Vorteile von Notes kommen voll zum Tragen, wenn es festzulegen gilt, wer wann mit welcher Darstellung welche Informationen sehen, wer Dokumente erstellen, ändern oder für eine weitere Bearbeitung freigeben kann."

Auch zur Replikation, einem spezifischen Merkmal von Notes, gibt es bislang keine Alternative. Will sich ein Mitarbeiter beispielsweise per Notes-System über die neuesten Preise informieren, werden dabei nur die aktualisierten Daten vom Server auf den Client übertragen und belasten das Netz damit nur gering. Mit dem Caching gibt es in der WWW-Welt zwar erste Versuche, auch hier nachzuziehen, der Replikationstechnik kann dieses Verfahren allerdings noch nicht das Wasser reichen.

Manche Internet-Technik ist leicht angestaubt

Der grundsätzliche Unterschied zwischen Groupware und heutiger WWW-Software läßt sich am Beispiel der verschiedenen Ausprägungen von Client-Server-Architekturen beschreiben. Bei Groupware finden die Anwendungsprozesse hauptsächlich auf dem Client statt. Anders ist es dagegen bei den heutigen Web-Anwendungen, die als sehr statisch zu bezeichnen sind.

Das Hypertext Transfer Protocol (HTTP), das den Austausch der WWW- Seiten zwischen Server und Client regelt, stammt aus einer Zeit, in der das WWW primär zu Präsentationszwecken genutzt wurde. Der Benutzer war nur Betrachter, der in die Anwendung selbst nicht eingreifen konnte. Für die reine Bereitstellung von Informationen, etwa von Produktkatalogen, reicht diese Technologie aus, wenn jedoch Interaktivität gefragt ist, müssen andere Methoden zum Einsatz kommen.

Über CGI-Scripts (Common Gateway Interface) als Gateways lassen sich in Verbindung mit HTTP zwar Datenbankverbindungen schaffen, doch das Verfahren erinnert eher an die Mainframe-Welt. Auf dem PC ist wie bei einem dummen Terminal nur die Präsentation untergebracht.

Java ermöglicht schnelle Neuerungen

Der Anwender füllt eine Maske aus und sendet seine Eingabe übers Netz zum Server. Dort werden die Richtigkeit der Eingaben geprüft und der weitere Prozeß in Gang gesetzt. Die Anwendungs- und die Datenbanklogik befinden sich also auf dem Server.

Mit neuen Technologien wie der Programmiersprache Java lassen sich komplexere und qualitativ bessere Web-Anwendungen entwickeln. Java benutzt sein eigenes Protokoll, arbeitet also unabhängig vom Internet-Dienst HTTP. Die Applets, wie die kleinen Java-Programme genannt werden, bringen die Anwendungs- und eventuell auch die Datenbanklogik auf den PC. So können richtige Transaktionen ausgeführt werden, im Gegensatz zur Stapelverarbeitung bei den herkömmlichen CGI-basierten Datenbankanfragen.

Die Internet-Branche hofft, daß sich mit Java betriebswirtschaftliche Anwendungen auf Basis des Intranet realisieren lassen. Erfüllt Java die Erwartungen, sind auch vollwertige Groupware-Lösungen denkbar. Marktforschungsinstitute wie Forrester Research gehen davon aus, daß Unternehmen in diesem Jahr noch mit Technologien wie Java experimentieren und im nächsten Jahr damit beginnen werden, Internet-Anwendungen mit Intranets einzusetzen.

Sollten sich die Web-Anwendungen zu echten Groupware-Konkurrenten mausern, wird es sich vermutlich auch hier um integrierte Pakete handeln. Ansätze sind bereits zu erkennen, etwa "Webshare" von der Radnet Inc., die das Produkt als Groupware auf Basis von Internet- Standards positioniert. Webshare bietet Directory-Services, eine Datenbank und einen Web-Server. Auch Netscape hat sich mit "Collabra" eine Workflow-Komponente eingekauft.

Der Vorteil dieser Programme wird sein, daß sie auf internationalen Standards basieren. Die Anbindung zum Internet gestaltet sich problemlos. So sind für die Mail-Kommunikation keine aufwendigen Gateway-Lösungen zu installieren. Zudem lassen sich Dokumente, die über interne Web-Server bereitgestellt werden, ohne großen Aufwand auch via Internet publizieren. Als Schwachpunkt gelten hier jedoch die fehlenden Management-Tools zum Verwalten großer Web-Sites - hier haben die herstellerspezifischen Groupware-Lösungen noch die Nase vorn.

Unternehmen, die bereits in Software wie Notes investiert haben, werden sich für eine Koexistenz beider Technologien entscheiden, mutmaßt JSB Computer Systems Ltd. auf ihrer Web-Site. Kleine und mittlere Unternehmen erhalten dagegen mit dem Intranet die Möglichkeit, Groupware-Funktionalität für einen Bruchteil der Kosten zu verwirklichen.

Der Trend zum Intranet wird jedoch keineswegs ein Heimspiel der Anbieter aus dem Internet-Lager. Lotus & Co. lassen sich den angestammten Markt nicht so leicht streitig machen und erweitern ihre Lösungen um Intranet-Technologien. Lotus stellt für Notes beispielsweise ein Mail-Gateway bereit, das es den Benutzern erlaubt, problemlos mit Internet-Mail-Programmen Nachrichten auszutauschen.

In der neuen Version 4.5 lassen sich die Surf-Touren direkt vom Notes-Client aus starten und Notes-Dokumente gemeinsam mit WWW- Dokumenten verwalten. Damit ist auch der Zugriff auf interne oder externe Web-Sites möglich. Mit "Domino" hat die IBM-Tochter zudem auf der PC Expo eine Server-Lösung vorgestellt, die den Abruf von Notes-Dokumenten mit WWW-Browsern gestattet.

"Mit Domino beendet Lotus den Glaubenskrieg zwischen Internet und Groupware", ist Notes-Experte Andreas Kilgenstein überzeugt. "Der Domino-Notes-Server fungiert als HTTP-Server und unterstützt direkt alle wichtigen Internet-Protokolle, der Web-Browser mutiert zum Quasi-Notes-Client. Domino ist somit die ideale Entwicklungsumgebung für interaktive Web-Anwendungen, egal ob im Intra- oder im Internet."

Dass Groupware-Systeme à la Notes nicht teurer kommen müssen als die Angebote der Intranet-Gemeinde, will Lotus auf der eigenen Web-Site (www.lotus.com./information/20fa.htm) anhand eines Preisvergleichs mit konkurrierenden Microsoft-Produkten wie "Exchange", "Internet Information Server", "Internet DB Connector", "Internet Mail Connector" und angekündigten wie existierenden Netscape-Lösungen beweisen.

"Intranets werden das Business über die nächsten Jahre hinweg dramatisch beeinflussen - und das ist erst der Anfang", wird Microsoft-Chef Bill Gates in einer Pressemeldung zitiert. Er läßt keine Zweifel daran, daß auch die Nummer eins bei Desktop-Software ihren Platz im unternehmensweiten Intranet-Markt beansprucht.

Dem hartnäckigen Versuch folgend, in der unternehmensweiten DV- Landschaft Fuß zu fassen, sieht sich Microsoft als Integrator von Internet- und PC-Technologien mit bestehenden IT-Infrastrukturen, der seinen Kunden den Weg zur Intranet-Lösung ebnet. Microsoft schwenkt im großen Rahmen in Richtung Internet und Intranet ein. Mit "Outlook" soll beispielsweise eine Desktop-Information- Management-Anwendung auf den Markt kommen, die Usern die Organisation, Kommunikation und Zusammenarbeit über Intranets ermöglicht.

In Zukunft wird der Groupware-Markt also mehr Teilnehmer haben. Wer das Rennen machen wird, steht noch nicht fest. Die einen, darunter Netscape, gehen von der proprietären Vergangenheit unbelastet in den Wettkampf, die etablierten Groupware-Hersteller wie Lotus haben sozusagen Altlasten zu tragen - die ihnen jedoch, zumindest was das Wissen um die Anwendungsfunktionalität betrifft, einen Vorsprung verschaffen.

Glossar:

HTTP Hypertext Transfer Protocol, das Protokoll zum Austausch von WWW- Seiten.

HTML Hypertext Markup Language, die Programmiersprache, mit der WWW- Anwendungen erstellt werden.

Java Von Sun entwickelte Programmiersprache auf Basis von C++, mit der sich interaktive Anwendungen für das World Wide Web (WWW) erstellen lassen.

SMTP Simple Mail Transfer Protocol, der im Internet verwendete Protokollstandard für die Mail-Kommunikation.

TCP/IP Transmission Control Protocol/ Internet Protocol.

MIME Multipurpose Internet Mail Extension, ermöglicht das Anhängen von Dateien (Text, Bild, Ton) an Internet-Mails.

Angeklickt

Macht das Intranet Groupware-Lösungen den Garaus? Es stehen sich zwei Welten gegenüber: auf der einen Seite eine ungeprüfte, aber nicht herstellerspezifische, auf weltweiten Standards basierende Umgebung, auf der anderen Seite homogene, funktionierende, aber proprietäre Lösungen. Mit dem Intranet steht eine neue Plattform für Desktop-orientierte Anwendungssoftware bereit - und dazu gehört auch Groupware. So bekommen die Anbieter proprietärer Programme Konkurrenz aus dem Internet-Lager - doch die etablierten Hersteller werden sich das Heft nicht zu schnell aus der Hand nehmen lassen. Microsoft steht der Internet-Technologie bereits sehr nahe, und Marktführer Lotus ist ebenfalls fleißig dabei, sein "Notes" den neuen Standards anzupassen.

*Stefanie Schneider ist freie Fachjournalistin in München.