Server-Strategien/Energieversorger EAM setzt seit drei Jahren auf Open Source

Linux knipst das Licht beim Kunden an

22.03.2002
Das Open-Source-Betriebssystem Linux soll bei der Energie Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM) in einer IBM-S/390-Umgebung für Web-basierenden Kundenservice sorgen. Im Blickpunkt steht dabei, die Kosten zu reduzieren und die bestehende heterogene Systemlandschaft zu konsolidieren. Von Karin Gall*

Mit der Deregulierung des Strommarktes 1998 waren die EAM-Verantwortlichen gefordert, ihre IT-Strategie an das liberalisierte Wettbewerbsumfeld mit steigendem Preisdruck anzupassen. Es war notwendig, die DV-Infrastruktur zu konsolidieren, um effizienter wirtschaften zu können.

"Um unsere Energiepreise wettbewerbsfähig zu halten, sollte die IT-Durchdringung des Unternehmens verstärkt werden", schildert Harry Lammich, als CIO von EAM zuständig für Informations- und Organisationsprozesse, die Situation. "Dieser Auslöser für eine Konsolidierung ließ uns nach neuen Wegen suchen und führte schließlich zur strategischen Neuordnung unserer IT-Landschaft. Erstmalig wurde dabei Linux im Einsatz auf IBM-Maschinen in Betracht gezogen."

In einem ersten Schritt haben die IT-Verantwortlichen einen Reengineering-Plan für die gesamte IT-Infrastruktur von EAM entwickelt. Die technische Ausgangslage war von einer heterogen zusammengesetzten Systemlandschaft geprägt. Neben einem IBM-Mainframe der Serie S/390, auf dem die Großkundenrechnungen abgewickelt wurden, lief in einer geclusterten IBM-SP2-AIX-Unix-Umgebung eine Oracle-Datenbank für die Endkundentransaktionen. Darüber hinaus bestand die Client-Server-Landschaft für die Office-Applikationen der Mitarbeiter aus einem Windows-NT/2000-Netzwerk mit 1200 Clients und 110 Servern.

Die Umstrukturierung des DV-Betriebs wurde von zwei Faktoren bestimmt: Zum einen wollte man die Kosten reduzieren und zum zweiten Geschäftsprozesse digitalisieren. Um den Zeitaufwand in einem schlankeren Betrieb zu senken, waren IT-gestützte Arbeitsvorgänge im Endkundenservice gefordert. Langfristig strebten die IT-Manager darüber hinaus eine Konsolidierung der Plattformen an, was eine Migration verschiedener Anwendungen nötig machte.

IT soll die Kunden bindenDurch die Liberalisierung des Strommarktes kann der Kunde seinen Energielieferanten frei wählen. Um Abwanderungstendenzen zu günstigeren Energieanbietern zu verhindern, wünschten sich die EAM-Manager ein effizientes Kundenbindungs-Instrument für die rund zwei Millionen Bürger, die in weiten Teilen Hessens, in Südniedersachsen und Ostwestfalen mit Energie versorgt werden.

Faktoren wie die permanente Verfügbarkeit und damit die Stabilität eines neuen Web-basierenden Kundenbindungs-Systems waren ein strategisches Muss für das Versorgungsunternehmen. 680000 Haushalte sollten die Möglichkeit erhalten, ihre bislang manuell abgewickelten, formularbasierenden Prozesse mit dem Energielieferanten künftig online umzusetzen. Das Tool sollte nahtlos in die bestehende IT-Infrastruktur integriert werden.

Mit diesem Anforderungsprofil trat EAM im März 1999 an seinen EDV-Dienstleister Millenux GmbH heran. Beim Kunden-Management entschieden sich die Verantwortlichen aus Kostengründen für den Einsatz von Linux. Das System mit den entsprechenden Web-Servern sollte in der vorhandenen Infrastruktur der S/390-Umgebung realisiert werden. Der Preisvorteil für die freie Software, gepaart mit den Vorteilen wie zum Beispiel das effiziente System-Management, gaben den Ausschlag für diese Entscheidung. Der IBM-Mainframe von IBM wurde aus Performance-Gründen ausgewählt, da diese Plattform in Sachen Verfügbarkeit optimale Voraussetzungen bot.

Da es zu diesem Zeitpunkt noch keine offizielle Linux-Distribution für IBM-Mainframes gab, betrat man mit dem Vorhaben Neuland: EAM entwickelte sich zu einem Pilotprojekt für alle beteiligten Parteien - inklusive der Entwickler von IBM in Böblingen, die eng in die Umsetzung der Aufgabenstellung einbezogen wurden.

Linux musste sich in Testumgebung beweisenAuf dem IBM-Großrechner lief unter OS/390 Version 2.9 bereits das Trägersystem CICS 4.0, um die EAM-eigenen Anwendungen zu steuern. Hierzu zählte EAS das Abrechnungssystem für Sondervertragskunden aus der Industrie sowie die Personalabrechnung unter Paisy. Hier stand allerdings eine Migration in die SAP-HR-Umgebung an, um ein einheitliches SAP-Umfeld und gleichzeitig Platz zu schaffen.

Mit Hilfe des Virtualisierungs-Features auf dem Mainframe wurde eine logische Partition (LPAR) für Linux eingerichtet. Auf den dafür reservierten Platten setzten die Administratoren neben einer Produktiv-Einheit eine Test-Umgebung auf. Da noch keine technischen Erfahrungswerte vorlagen, mussten sich in dieser Testumgebung die aus der OS/390 Welt bekannten Verfahrenswege unter Linux erst noch beweisen. Daher kam ein Apache-Web-Server als Standardapplikation zum Einsatz, der zum Kunden hin die Funktionalität der Online-Transaktionen abdeckt.

Die Linux-S/390-Konstellation hat die Bewährungsprobe bei EAM mittlerweile bestanden. Innerhalb von drei Tagen war die Installation abgewickelt und der Web-Content eingespielt. Danach konnte die Produktiv-Umgebung live geschaltet werden. Nach Abschluss der Testphase ist das System seit Oktober 2000 im Einsatz. Die Endkunden haben das System angenommen, wie die Zugriffszahlen von täglich 10000 Besuchen belegen.

Werner Gold, Geschäftsführer Millenux, zeigt sich mit dem Linux-Pilotprojekt bei EAM zufrieden: "Das Linux-System läuft nach einem ersten Kernel-Update so problemlos, dass bisher auf Veränderungen verzichtet werden konnte." Für die EAM-Entscheider diente dieses erste Projekt mit Linux dem Sammeln von Erfahrungen auf dem Weg zur Umsetzung weiterer Ziele. IT-Leiter Lammich sieht die Kernfrage geklärt: "Für uns war es in einem ersten Schritt wichtig, im Rahmen eines kleinen Testprojekts herauszufinden, ob Linux in der S/390-Umgebung mit gleicher Stabilität läuft wie unsere anderen Plattformen."

Allerdings möchte der CIO noch einige Fragen geklärt haben, bevor weitere Schritte in einer umfangreichen Neuorganisation der IT-Infrastruktur eingeleitet werden. So muss beispielsweise die Strategie der IBM hinsichtlich der Unterstützung beider Betriebssysteme transparent sein. "Die Belastbarkeit des Systems hat uns überzeugt. Ungeklärt sind allerdings Fragen hinsichtlich des Supports der OS/390, AIX-Unix- und Linux-Welten von IBM. Ferner interessieren uns Anwender natürlich künftige Lizenz- und Kostenmodelle."

Die Weichen für die weitere Linux-Implementierung bei EAM sind allerdings gestellt. So plant man beispielsweise Web-Applikationen auf dem Mainframe. Ein SAP-Mitarbeiterportal steht ebenfalls in den Startlöchern. Auf dem Weg zu einer schlankeren IT-Infrastruktur mit Konsolidierung der drei Hard- und Softwareplattformen sind jedoch noch einige Schritte zurückzulegen. Als mittelfristiges Ziel steht für das kommende Jahr die Entscheidung an, mit welchem System eine leichtere Administrierbarkeit zu realisieren ist. Hier ist der Einsatz von Linux im Austausch der Windows-NT-Server-Infrastruktur angedacht. Langfristig können sich die IT-Verantwortlichen auch vorstellen, den SAP-Bereich weiter zu konsolidieren und sich von der AIX-Unix-Welt ganz zu verabschieden. (ba)

*Karin Gall ist freie Autorin in München.