Studie über Anforderungen an Multimedia-Experten

Kreativität im Team macht Know-how erst wertvoll

04.10.1996

Multimedia hat Zukunft und schafft Arbeit. 58,6 Prozent der von Semantec befragten Unternehmen beabsichtigen, in naher Zukunft Multimedia- und Online-Spezialisten einzustellen. Durchschnittlich beschäftigen Großunternehmen vier bis fünf solche Experten, Spezialagenturen haben zwischen 15 und 40 entsprechende Mitarbeiter auf ihrer Gehaltsliste. Insgesamt arbeiten bei 41,4 Prozent der Befragten bereits Arbeitnehmer aus dem Multimedia- Bereich.

Outsourcing scheint dabei das Gebot der Stunde. Zwar beabsichtigen 23,5 Prozent der befragten großen Unternehmen, zwei multimedial qualifizierte Mitarbeiter einzustellen, und weitere 17,6 Prozent glauben, auf Dauer drei solche Experten zu brauchen. Wichtigster Hoffnungsträger für den Arbeitsmarkt sind jedoch die externen Dienstleister: 23,5 Prozent planen Neueinstellungen von zehn und mehr Multimedia-Mitarbeitern. In diesem Segment ist ein enormes Wachstums- und Auftragspotential zu erwarten.

Semantec stellte fest, daß bereits 62,1 beziehungsweise 69 Prozent der Befragten ihr Unternehmen auch via World Wide Web und CD-ROM vorstellen. Abgeschlagen sind als Werbemedium die kommerziellen Online-Dienste wie Compuserve oder America Online (AOL), deren Shopping-Malls oder Supportforen auf verhältnismäßig geringes Interesse stoßen.

Überraschend hoch mit 48,3 Prozent ist der Anteil der Anwendungen, die sich am Point of Information (POI) und Point of Sales (POS) direkt an mögliche Kunden wenden (siehe Abbildung). Hier zeigt sich eine Entwicklung zur digitalen Informationsvermittlung im Handel. Autohersteller und Warenhäuser scheinen starkes Interesse an den Darstellungsmög- lichkeiten der neuen Medien zu haben. Für externe Dienstleister mit speziellen POI/POS-und Handelskenntnissen eröffnet sich ein Arbeitsfeld, in dem mit Neueinstellungen zu rechnen ist.

Technische Qualifikationen sind zwar nötig, genügen aber nicht, um auf dem neuen Arbeitsmarkt zu reüssieren.

Zwar verlangen noch immer 51,7 Prozent der Arbeitgeber Programmierkenntnisse (siehe Abbildung unten) und erwarten zu 44,8 Prozent berufliche Qualifikation im Bereich Software-Entwicklung. Die Schwerpunkte zukünftiger Multimedia-Spezialisten liegen jedoch abseits der üblichen PC-Pfade.

So wünschen sich 55,2 Prozent aller befragten Unternehmen Kenntnisse in Design, 48,3 Prozent verlangen grafische Fähigkeiten zur PC-gestützten Animation. Für 41,4 Prozent gehören auch Fähigkeiten im Umgang mit Texten zum Rüstzeug eines Multimedia- Spezialisten. Didaktische Voraussetzungen, wie sie Lehrer und Erzieher mitbringen, wünschen sich immerhin 34,5 Prozent der Auskunftgeber von ihren neuen Mitarbeitern.

Auch die beruflichen Erfahrungen, die eine Bewerbung als Multimedia-Spezialist aussichtsreich machen, zeigen, daß keine reinen Techniker gesucht werden. Etwa die Hälfte der befragten Unternehmen hoffen auf Kandidaten mit Vorkenntnissen aus Werbung oder Public Relations, 41,4 Prozent erwarten Bewerber aus den herkömmlichen Medien, bei denen es sich auch um Redakteure von Zeitungen und Zeitschriften handeln kann (34,5 Prozent).

Neben den Basiskenntnissen etwa in Programmierung, Tonimplementation, Videoschnitt oder Datenfernübertragungs-Technik sind in erster Linie kommunikative und kreative Fähigkeiten gefragt. Beste Chancen haben nach Ansicht der Befragten heterogene Entwicklerteams, die zum Beispiel mehrere Geisteswissenschaftler unterschiedlicher Schwerpunkte und Programmierer mit bereichsübergreifendem Know-how vereinen. Immerhin 36,4 Prozent der großen Konzerne und Spezialagenturen planen die Einstellung solcher Teams.

Für die Weiterbildungsanbieter schafft das eine besondere Situation. Es genügt nicht, Basistechniken wie Programmierung, Tonimplementation, Videoschnitt und Datenfernübertragung (DFÜ) zur Einzelanwendung zu lehren, sondern die Kurse müssen auch zum bereichsübergreifenden Lernen, zur Kommunikations- und Teamfähigkeit befähigen. Der einzelne muß die Anforderungen der Nachbarbereiche verstehen lernen, um zur Entwicklung eines Produkts beitragen zu können. Erst der Blick über den fachlichen Tellerrand ermöglicht sinnvolle Arbeit am Projekt.

Eine ganzheitliche Weiterbildung, die alle wichtigen Fachgebiete wie Mediendidaktik, Betriebssysteme (MAC-OS, MS-DOS/Windows, Unix), Text- und Kommunikation, gängige Software und Hardware (Grafikkarten, Videokameras, Server-Systeme), Design, Video-, Ton- und Bildbearbeitung, Typografie und Computeranimation berührt, ist Voraussetzung für jede Qualifikation. Multimedia-Software und Online-Dienste, Autorensysteme und das Wissen um Übertragungsprotokolle, Kompressionsverfahren und der Hayes- Befehlssatz gehören schon zur Kür. Zum Abschluß der Theorie sollte eine Projektphase zur praktischen Anwendung des vermittelten Lehrstoffs folgen. Die Programmierung einer werbewirksamen Internet-Homepage oder Konzeption einer POS-Applikation bieten sich als praxisbezogene Aufgaben an.

*Christian Gerhardus ist freier Journalist in Köln.