Kooperation beider Seiten ist unerlaesslich Anbieterinterssen und Wuensche der Kunden sollten harmonieren

18.06.1993

Eine praxisnahe Schilderung der Vorgehensweise bei der Auswahl ergonomisch sinnvoller SW-Werkzeuge in einer IBM- Grossrechnerumgebung gibt hier Karl-Heinz Heischmann*. Er hebt auf sogenannte Selbstverstaendlichkeiten ab, die jedoch - wie der Alltag zeigt - je nach Problemstellung von Anwender und Hersteller unterschiedlich interpretiert werden.

Unter dem Begriff Ergonomie kann man frei uebersetzt die Anpassung des Werkzeuges an den damit arbeitenden Menschen verstehen. Speziell zur Software-Ergonomie gibt es Definitionen in der DIN- Norm 66234, Teil 8, die man zu folgenden Schwerpunkten zusammenfassen kann:

- Aufgabenangemessenheit,

- Selbstbeschreibungsfaehigkeit,

- Steuerbarkeit,

- Erwartungskonformitaet,

- Fehlerrobustheit,

- Individualisierbarkeit sowie

- Lernfoerderlichkeit (vgl. die Abbildung auf Seite 29).

Diese Anforderungen koennte man auf den ersten Blick als Selbstverstaendlichkeiten abhaken, wenn man nicht in der Praxis immer wieder feststellen wuerde, dass die Interpretation dieser Grundsaetze je nach Problemstellung von Anwendern und Herstellern gaenzlich unterschiedlich gesehen wird.

Unter dem Begriff Software wollen wir im folgenden Anwendungsprogramme, aber auch die zum Betrieb von intelligenten und multifunktionalen Arbeitsplaetzen (PC) erforderlichen Betriebssysteme verstehen, da nur solche Systeme die wesentlichen Anforderungen an Software-Ergonomie aus Sicht des Anwenders abdecken koennen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Gestaltung der Bildschirmoberflaeche sowie der Steuerung der Programme durch Befehle. Die Betrachtung geht im wesentlichen von einem Unternehmen aus, in dem Mitarbeiter mittels PC-Unterstuetzung Aufgaben zu erledigen haben.

Die praktischen Anforderungsprofile an die Ergonomie von Software lassen sich aus Sicht des Anwenders unter folgenden Punkten zusammenfassen.

- Benutzeroberflaeche:

Fuer die unterschiedlichen Anwendungen an einem Arbeitsplatz sollte eine einheitliche grafische Benutzeroberflaeche in der jeweiligen Landessprache zur Verfuegung stehen, die individuell ueber Maus oder Tastatur gesteuert werden kann. Es sollten marktgaengige Standards zum Einsatz kommen, die sich am SAA-Konzept fuer eine einheitliche Benutzer-Schnittstelle orientieren. Hierbei sind die praktischen Voraussetzungen zum Beispiel mit dem Einsatz von Windows nicht schlecht, da dieses Produkt sich am Markt immer mehr durchsetzt.

- Funktionsumfang:

Wenn Software ein Werkzeug zur rationellen Erledigung haeufig wiederkehrender Aufgaben in einem Unternehmen sein soll, dann hat sich der Funktionsumfang auch an der Praxis zu orientieren. Da jedoch die Gegebenheiten in den Unternehmen nicht immer gleich sind und auch die Mitarbeiter individuell arbeiten, muss der angebotene Funktionsumfang von den Anwendern selbst einfach, aber flexibel gestaltbar und nutzbar sein.

- Erlernbarkeit:

Die Einarbeitung in ein neues Programm muss schnell und einfach vonstatten gehen. Nur so ist eine hohe Akzeptanz bei den Anwendern zu erzielen und der Schulungsaufwand in Grenzen zu halten. Die eigenstaendige Umsetzung konkreter praktischer Aufgabenstellungen durch den Anwender muss ohne umfangreiche vorherige Schulungen oder das Waelzen dicker Handbuecher moeglich sein. Aussagekraeftige integrierte Online-Hilfen und Bedienungsanleitungen sind dafuer unabdingbar. Von diesen Anspruechen sind viele Softwareprodukte jedoch noch weit entfernt.

- Praxisorientierte Bedienung:

Die Bedienung der Anwendungsprogramme muss sich an den praktischen Arbeitsablaeufen orientieren und ist von jedem systemtechnischen Ballast freizuhalten. Der zeitliche Aufwand fuer die PC- unterstuetzte Bearbeitung darf auch dann nicht hoeher sein als der konventionelle Aufwand, wenn Zusatznutzen durch bessere Qualitaet der Arbeitsergebnisse und unternehmensweite Datenverfuegbarkeit entsteht. Insbesondere in Verbindung mit dem vorherigen Punkt der leichten Erlernbarkeit besteht auch hierbei noch eine erhebliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

- Fehlerbehandlung:

Bekanntermassen kann kein Softwareprodukt zu 100 Prozent fehlerfrei sein. Wenn jedoch Fehlerbedingungen auftreten, sollten sie zumindest durch verstaendliche Fehlermeldungen dokumentiert und zusaetzlich durch weiterfuehrende Online-Hilfstexte begleitet werden.

Auf jeden Fall sollten fuer die Anwender immer wieder frustrierende Programmabstuerze, die teilweise auch noch mit dem Verlust von gerade erfassten Daten zusammenhaengen, moeglichst vermieden werden. Auch in dieser Richtung ist bei vielen Softwareprodukten noch eine Menge zu tun.

- Verarbeitungsgeschwindigkeit:

Erfahrungsgemaess werden Arbeitsablaeufe empfindlich gestoert, wenn die Antwortzeiten der Programme nicht mindestens im Zwei- Sekundenbereich, besser noch im Sekundenbereich liegen. Die Abstimmung der Leistungsfaehigkeit der Programme und der jeweils eingesetzten Rechner sind hierbei unabdingbar.

Immer haeufiger wird auch ein sogenannter Expertendialog angeboten, der es versierten Anwendern ermoeglicht, schnell und gezielt spezielle Funktionen auszufuehren, ohne ueber umfangreiche Menue- und Dialogschritte zu gehen.

Wenn jedoch fuer bestimmte Funktionen umfangreichere Rechenzeiten erforderlich sind, sollten sie dem Anwender durch geeignete Hinweise angezeigt werden, die auch Hinweise ueber die vermutliche Wartezeit enthalten. Waehrend dieser Phase sollten Eingaben in den Tastaturpuffer, die spaeter moeglicherweise zu unkontrollierten Aktionen fuehren, nicht zugelassen werden. Noch besser waeren hier jedoch echte Multitasking-faehige Systeme, die dem Anwender die Moeglichkeit geben, zwischenzeitlich andere Funktionen durchzufuehren.

Woran liegt es nun, dass offensichtlich zwischen den berechtigten Anspruechen der Anwender und den verfuegbaren

Softwareloesungen haeufig noch grosse Diskrepanzen bestehen?

Die Interessenlagen zwischen Anwendern und Herstellern von Software unterscheiden sich stark:

Waehrend der Anwender an einer wirtschaftlichen Produktion und technischer Unterstuetzung zu einem guenstigen Preis-Leistungs- Verhaeltnis interessiert ist, steht fuer den Hersteller

die wirtschaftliche Erstellung der Software im Vordergrund. Daraus ergeben sich verschiedene Spezialistensprachen, die das gegenseitige Verstaendnis und die Kommunikation erschweren, zumal insbesondere bei den Herstellern von Standardsoftware der Abstand zwischen Anwender und Entwickler sehr gross ist.

Die Loesung dieser Probleme kann nur darin bestehen, dass der Anwender naeher zum Mittelpunkt der Software-Entwicklung rueckt, indem er vom Beginn der Aufgabenstellung bis zum fertigen Softwareprodukt im Entwicklungsprozess mitwirkt. Dabei sollte es sich um Anwender handeln, die genau wissen, was sie wollen, ihre Anforderungen konstruktiv in den Entwicklungsprozess einbringen und sich kritisch mit den erarbeiteten Loesungen auseinandersetzen.

Auf der anderen Seite gehoert dazu auch der richtige Software- Entwickler, der kommunikativ und konstruktiv genug ist, um sich mit kritischen Anwendern auseinanderzusetzen und in der Lage ist, auf deren Ansprueche flexibel zu reagieren und sie unter Ausnutzung aller hard- und softwaretechnischen Moeglichkeiten kreativ in verwendbare Loesungen umzusetzen.

Fuer den Software-Entwicklungsprozess sollte ein Vorgehensmodell Grundlage sein, das die ausreichende Einbindung der Anwender sicherstellt. Insbesondere sollte dabei auch die strikte Einhaltung der marktgaengigen Standards fuer die Benutzer- Schnittstelle beachtet werden.

Fuer die Anwender sollte eine Checkliste bereitstehen, die sie bei der systematischen Qualitaetspruefung von Anwendungssoftware unterstuetzt und den Aufwand dafuer in Grenzen haelt.

Ebenso sollten die Anwenderunternehmen bei der Entwicklung einer Einfuehrungsstrategie fuer neue Softwareloesungen durch die Hersteller unterstuetzt werden.

Sicherlich bedeutet die intensive Mitwirkung von Anwendern bei der Software-Entwicklung fuer beide Seiten zusaetzlichen Aufwand, der wie folgt kompensiert werden koennte:

- Der Anwender erhaelt fuer seine Mitwirkung die Produkte zu Sonderkonditionen.

- Der Entwickler bekommt die Moeglichkeit, im Rahmen seiner Produktwerbung auf die Mitwirkung des Anwendungsunternehmens hinzuweisen, um damit hoeheren Absatz zu erzielen, da die praktischen Erfahrungen von Benutzern bei der Kaufentscheidung grossen Einfluss haben.

*Karl-Heinz Heischmann ist Abteilungsdirektor Organsation- Datenverarbeitung bei der Bremer Landesbank.