Kommentar: Kritik der IT-Hersteller an behördlichen Einkaufsbedingungen ist unberechtigt

13.11.2007
Die massive Kritik, die der Bitkom an den neuen Einkaufsbedingungen der Öffentlichen Hand für große IT-Systeme äußert, ist nach Ansicht des Fachanwalts für IT-Recht Dr. Christoph Zahrnt nicht gerechtfertigt.
Dr. Christoph Zahrnt, Fachanwalt für IT-Recht
Dr. Christoph Zahrnt, Fachanwalt für IT-Recht

Man könne vieles hinsichtlich der Handhabbarkeit der Bedingungen und des zugehörigen Formularsatzes der neuen EVB-IT System äußern, inhaltlich sei die Kritik des Bundesverbandes für Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) aber überzogen. Zahrnt relativiert die Kritikpunkte des Bitkoms (diese sind im Folgenden in Fettschrift dargestellt):

  • Die Risiken für die Funktionalität des Gesamtsystems liegen beim Auftragnehmer: Es sei bereits vorher der Fall gewesen, dass der Auftragnehmer die vereinbarte Funktionalität der einzelnen Komponenten gewährleisten musste. Das Gesamtsystem sei nichts anderes als die Menge seiner Leistungen. Der Auftragnehmer könne die Pflicht übernehmen, Komponenten in sein System zu integrieren, die vom Auftraggeber zugeliefert werden. Nach Ziffer 13.4 der neuen EVB-IT System hafte der Auftragnehmer in diesem Fall für Mängel in den externen Bestandteilen aber nicht, so Zahrnt.

  • Die Haftung des Auftragnehmers wird nicht angemessen begrenzt, sondern kann vom Beschaffer beliebig erweitert werden: Die Haftung auf Schadensersatz sei in den früheren Einkaufsbedingungen der Öffentlichen Hand (BVB) und in den bisherigen Typen der EVB-IT für die Auftragnehmerseite nahezu ausgeschlossen gewesen. Sie sei nach Angaben des Fachanwalts so großzügig gewesen, dass die großen Auftraggeber in der Praxis schon längst von diesen Einkaufsbedingungen abgewichen seien und den Auftragnehmer kräftig in die Haftung genommen hätten. Die neuen EVB-IT System begrenzten die Haftung des Auftragnehmers auf Schadensersatz der Höhe nach immer noch in einer Weise, wie der Auftragnehmer das in seinen Lieferbedingungen nicht wirksamer vorsehen könnte, nämlich im Normalfall auf den Auftragswert. Die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht erlaube dem Anbieter eine solche Begrenzung eher nicht. Bei dieser Obergrenze könne die Auftragnehmerseite heute besser als bei den früheren EVB-IT oder BVB damit argumentieren, dass die in den EVB-IT System vorgesehene Vorgabe beibehalten werden sollte, sagt Zahrnt. Bisher habe man schlecht argumentieren können, dass der Haftungsausschluss in bisherigen Typen angemessen sei. Im Normalfall begrenze Ziffer 14 die Haftung bei leichter Fahrlässigkeit auf den Auftragswert. Die jetzige Obergrenze sei der Betrag, auf den die Parteien sich bei Verhandlungen ohnehin oft einigten. Private Kunden gäben sich damit eher nicht zufrieden, führt Zahrnt an. Es stünde jedem Beschaffer dank der Vertragsfreiheit frei, eine höhere Obergrenze zu verlangen.

  • Die Nutzungs- und Verwertungsrechte sollen zugunsten der Öffentlichen Hand unangemessen erweitert werden können: Die EVB-IT seien laut Zahrnt keine Rechtsvorschriften, die den öffentlichen Auftraggeber bänden. Inwieweit ihre Anwendung in internen Dienstvorschriften vorgegeben werden könne, müsse man abwarten. Die EVB-IT seien unter Federführung des Bundesinnenministeriums als Muster für die Öffentliche Hand gedacht, die Dienstanweisungen erlassen wolle. Selbst bei Dienstanweisungen stünde es dem Beschaffer frei, von den EVB-IT abweichende Regelungen zu vereinbaren. Die neuen Richtlinien forderten keinen Beschaffer auf, den Umfang der Nutzungsrechte zu erweitern. Der Formularsatz sehe nur Einschränkungen vor.

  • Die vorgesehenen Verjährungsfristen sollen jenseits der Marktüblichkeit ausgedehnt werden können: Auch diesen Kritikpunkt teil Zahrnt nicht: Die Verjährungsfrist für Sachmängel betrage gemäß Ziffer 13.2 der EVB-IT System 24 Monate. Das sei die gesetzliche Länge. Die Frist werd in Verkaufsbedingungen gerne auf ein Jahr begrenzt. Entscheidend für die Auftragnehmerseite sei, von welchem Zeitpunkt an der Auftraggeber die Pflege der Software bzw. die Wartung/Instandhaltung der Hardware bezahlen müsse. Wenn der Kunde ein System ein Jahr lang eingesetzt habe, werde er es kaum im zweiten Jahr wegen Mängeln wieder abschaffen. Das zusätzliche Risiko für den Auftragnehmer sei deshalb gering. Entscheidend sei dagegen die Vergütung. Die EVB-IT System gehe davon aus, dass die Vergütung während der Gewährleistungsfrist in den Systempreis, einbezogen, also bezahlt werde. Mit dieser Einbeziehung verbessere sich für den Beschaffer die Möglichkeit, den Systempreis der einzelnen Anbieter miteinander zu vergleichen.

  • Die Abnahme eines Systems soll vom Auftraggeber selbst dann verweigert werden können, wenn das System voll umfänglich genutzt wird: Dieser Punkt ist nach Auffassung von Christoph Zahrnt in den Vertragsbedingungen so nicht aufgeführt. Die Regelung ziele lediglich auf den Fall ab, dass die Nutzbarkeit wegen Fehlern eingeschränkt sei. Der Auftraggeber könne in solchen Fällen trotzdem darauf angewiesen sein, das fehlerhafte System zu nutzen. Öffentliche, aber auch von der EVB-IT System unabhängige private Auftraggeber zögerten Abnahmeerklärungen oftmals aus Ängstlichkeit oder der Vorteile willen hinaus, weil das Gesetz es ihnen erlaube. Dieses sehe vor, dass eine Abnahme verweigert werden könne, wenn das System auch nur einen einzigen erheblichen Fehler aufweise. Zahrnt sieht die Lösung dieses Missstandes für die Auftragnehmerseite in der Definition von Fehlerklassen und maximalen Fehlermengen. Auch das sei eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zugunsten des Auftragnehmers; das sei aber in der Praxis akzeptiert.

  • Teilabnahmen sollen nur unzureichend möglich sein: Der Bitkom kritisiert die Ziffer 2.9 der EVB-IT System, die lautet: "Teilabnahmen finden nur statt, wenn sie ausdrücklich vereinbart sind." Der Fachanwalt sieht darin lediglich eine Klarstellung und keine Einschränkung für die Wirtschaft. Ziffer 8 des Formularsatzes enthalte allerdings den Text, dass Teilabnahmen nur den Ausnahmefall darstellten und in sich geschlossene und selbständig nutzbare Teilleistung voraussetzten. Wichtig sei das Thema vor allem hinsichtlich der Zahlungen von Leistungen. Die neue EVB-IT System kenne im Formular Nr. 9 neben Teilzahlungen nach erfolgreicher Teilabnahme auch Abschlagszahlungen. Diese können bei nicht selbstständig nutzbaren Leistungen vereinbart werden. Laut Zahrnt werde schon immer um Zahlungstermine gefeilscht. Das könne in Zukunft noch etwas schwieriger werden. (sh)