IT-Hersteller schimpfen über rigide Vergabepraxis der öffentlichen Hand

10.09.2007
Der Bundesverband für Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) äußert massive Kritik an den neugefassten ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von IT-Leistungen in öffentlichen Behörden, kurz EVB-IT. Besonders der Mittelstand werde benachteiligt.

Das Bundesinnenministerium (BMI) hat vor kurzem die Vertragsbedingungen öffentlicher Aufträge in der Informationstechnik deutlich verschärft. Laut Bitkom seien die neuen Regelungen, die nach Abbruch der Vertragsgespräche schließlich ohne Zustimmung der Industrie getroffen wurden, in der bestehenden Form nicht tragbar. "Die Mitgliedsfirmen des Bitkom bedauern außerordentlich, dass das BMI damit die über Jahrzehnte hinweg praktizierte und bewährte Praxis der gemeinsamen und abgestimmten Erarbeitung ausgewogener Beschaffungsbedingungen aufgegeben hat", sagte Bitkom-Präsident Professor August-Wilhelm Scheer. Der Bitkom appelliert an das BMI, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die bislang einseitig veröffentlichen Bedingungen wieder mit der Wirtschaft abzustimmen.

Die EVB-IT sind Musterverträge und Musterbedingungen für den Einkauf von IT-Produkten und -Dienstleistungen durch die öffentliche Hand. Für die Bundesbehörden sind die veröffentlichten Vertragsmuster verbindlich. Aktuell verhandelt wurde der EVB-IT-Systemvertrag, der die Beschaffung großer, komplexer IT-Systeme vereinfachen soll. Trotz Verhandlungsbereitschaft und weitgehender Zugeständnisse der Wirtschaft habe das BMI die Gespräche nach eigenen Angaben "wegen fehlender Zustimmung der Wirtschaft zu dem von der Öffentlichen Hand vorgelegten Entwurf" für beendet erklärt und die so genannten "EVB-IT System" Ende August 2007 einseitig veröffentlicht. Insbesondere der Mittelstand werde nach Auffassung des Bitkom nun im Wettbewerb um öffentliche Großaufträge stark benachteiligt, beispielsweise durch die massive Ausweitung der möglichen Haftung von Auftragnehmern.

Der Branchenverband kritisiert ferner, dass das Ministerium mit der einseitigen Veröffentlichung unter dem Titel EVB-IT den falschen Eindruck erwecke, auch die EVB-IT System seien – wie alle anderen bisher veröffentlichten Vertragstypen im EVB-IT-Kontext – vom Ministerium und der Wirtschaft gemeinsam erarbeitet worden. Während der zunächst konstruktiv verlaufenden Verhandlungen zum neuen Systemvertrag hatte die Wirtschaft große Zugeständnisse gemacht. Insbesondere wurde die Haftung im Vergleich zu den bestehenden EVB-IT Vertragstypen deutlich verschärft. Die jetzt einseitig veröffentliche EVB-IT System sei aus Sicht der Wirtschaft aber weder ausgewogen noch würden die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigt.

Sechs wesentliche Kritikpunkte

Nach den Bestimmungen der EVB-IT System gilt künftig unter anderem:

  • der Auftragnehmer muss sämtliche Risiken für die Funktionsfähigkeit und Funktionalität des Gesamtsystems tragen;

  • die Haftung des Auftragnehmers wird nicht angemessen begrenzt, sondern kann vom Beschaffer beliebig erweitert werden;

  • die Nutzungs- und Verwertungsrechte sollen zu Gunsten der Öffentlichen Hand unangemessen erweitert werden können;

  • die vorgesehenen Verjährungsfristen sollen jenseits der Marktüblichkeit ausgedehnt werden können;

  • die Abnahme eines Systems soll vom Auftraggeber selbst dann verweigert werden können, wenn das System von ihm vollumfänglich genutzt wird;

  • Teilabnahmen sollen nur unzureichend möglich sein.

Besonders an diesen sechs Punkten stößt sich der Bitkom und erhält sowohl vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) als auch dem Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI) Rückendeckung. Laut BDI werde durch die einseitige Veröffentlichung der EVB-IT System die langjährige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Wirtschaft gefährdet. (sh)