Große Anwenderumfrage von i2s

Kleine ERP-Anbieter haben die zufriedeneren Kunden

11.11.2013
Von 


Dr. Eric Scherer ist Geschäftfsührer der i2s consulting, Zürich und Waldshut-Tiengen (DE), und Lehrbeauftragter an der ETH Zürich. Er gilt als profunder Kenner des ERP-Marktes und unterstützt seit vielen Jahren Unternehmen in der Schweiz und im Ausland bei ERP-Strategien und –Investitionsentscheiden. Er ist Urheber und Initiator der „ERP-Zufriedenheitsstudie“ und berät mit seinem Beraterteam Unternehmen im gesamten deutschsprachigen Raum.

Zufriedene Microsoft-Kunden

Interessant sind die Positionierungen der beiden Microsoft Produkte AX (vormals Axapta) und NAV (vormals Navision), die durchaus von den Marketingaussagen Microsofts abweichen: NAV bekommt als Produkt von den Anwendern die besseren Noten als AX, während sich bei AX vor allem die Partner besser als NAV positionieren. Beide Bewertungen spiegeln klar die positiven Effekte der zahlreichen Initiativen Microsofts in den vergangenen Jahren wider. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass das Image, "NAV ist der kleine Bruder von AX", nicht stimmt. NAV präsentiert sich funktional AX gegenüber mehr als ebenbürtig und kann auch einige sehr große Kunden vorweisen - sogar Konzerne bauen mittlerweile auf NAV-Umgebungen.

Neben den "Platzhirschen" hat sich im Lauf der Jahre insbesondere IFS als Alternative am globalen ERP-Markt etabliert. In Sachen Kundenzufriedenheit positioniert sich der Anbieter im Umfeld der Microsoft-Produkte und vor SAP. IFS hat hier in den zurückliegenden Jahren viel Selbständigkeit bewiesen und seine Kundenbasis beharrlich ausgebaut.

SAP, der langjährige und etablierte Marktführer in der Kategorie Anzahl der Installationen, leidet mit seinem Produkt SAP ERP gerade im Kontext der Zufriedenheitsstudie an seiner eigenen, großen Kundenbasis. Dabei zeigte sich vor allem, dass die SAP-Kundenbasis durchaus wertkonservativ auftritt. SAP fällt es schwer, mit seinen zahlreichen technischen Neuerungen wie beispielsweise der In-Memory-Datenbank HANA an der breiten Kundenfront wirklich Fuß zu fassen. Insgesamt beurteilen die SAP-Kunden Produkt und Partner kritischer als noch vor zwei Jahren, was sich letztlich auch in der Positionierung niederschlägt. Der deutsche Softwarekonzern liegt was die Partnernote betrifft deutlich hinter Microsoft AX. In der Kategorie Softwarezufriedenheit liegen die Walldorfer hinter Microsoft NAV.

Märkte wachsen zusammen

Im Rahmen der diesjährigen ERP-Zufriedenheitsstudie wurden die länderspezifischen Ergebnisse für die langjährigen Kernländer der Studie Deutschland, Österreich und die Schweiz nicht mehr separat ausgewiesen. Der Grund liegt darin, dass sich der Markt aus spezifischen deutschen, österreichischen und schweizerischen Einzelmärkten immer mehr zu einem gemeinsamen DACH-Markt entwickelt hat. So verfügt der langjährige Schweizer Top-Player Dynasoft mit seinem ERP-System "Tosca" mittlerweile auch über Kunden in Deutschland. Gleiches gilt für das österreichische "RS/2" von Ramsauer und Stürmer.

Ansatzpunkte zur Steigerung der Anwenderzufriedenheit
Ansatzpunkte zur Steigerung der Anwenderzufriedenheit
Foto: i2s

Die in Sachen Zufriedenheit führenden ERP-Systeme im DACH-Portfolio sind klar auf kleinere Unternehmen hin ausgerichtet, Auch an dieser Stelle wurde in den vergangenen Jahren viel in neue Funktionalität investiert. Die Spitzenreiter im ERP-Zufriedenheitsportfolio zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, dass sie "rund" sind und Anwenderunternehmen einen guten Kompromiss aus Funktionsumfang, moderner Technik und rollenorientierter Benutzeroberfläche anbieten. Was große Anbieter oft noch hinter Marketinginitiativen verstecken, haben die "Kleinen" häufig schon in ihren Systemen realisiert. Es ist daher sinnvoll, sich gerade auch diese "runden" Systeme näher anzuschauen - sei es als Anwender in der Evaluation oder als Anbieter, um neue Entwicklungsperspektiven zu erhalten.

Beim Blick auf die "hinteren Plätze" im DACH-Portfolio fällt neben den Infor-Produkten "Infor AS" und "ERP LN", die sich im Vergleich zur letzten Studie aus dem Jahr 2011 nicht verbessern konnten, das PPS-System "PSIpenta" der Firma PSI auf. PSIpenta leidet letztlich an der Kompelixität seiner Installationen und dem großen Funktionsumfang. Die Regel, dass viel Funktionalität auch viel Angriffsfläche liefert, bestätigt sich hier einmal mehr.

Konstanter Funktionalitätszuwachs

Die ERP-Zufriedenheitsstudie beleuchtet traditionell die Installationsbasis auch bezüglich der eingesetzten Modulen und des Funktionsumfangs. An dieser Stelle zeigen sich letztlich auch die größten Unterschiede zwischen 2003 und 2013. Während vor zehn Jahren noch zwölf Module und Funktionsbereiche untersucht wurden, sind es mittlerweile 32. Die Studie differenziert hier seit Jahren immer deutlicher nach Art der Realisierung und zeigt auf, wo neben originären ERP-Modulen, Drittsoftware vom ERP-Anbieter selbst, Drittsoftware vom freien Markt sowie selbstentwickelte Lösungen zum Einsatz kommen.

Gerade der Bereich der Dritt- beziehungsweise Add-on-Software hat sich in den vergangenen zehn Jahren zu einem lukrativen, aber auch schwer überblickbaren Markt entwickelt, in dem sich immer wieder neue Player mit wechselnden Namen und wechselnden Besitzverhältnissen bewegen. Gerade die großen ERP-Anbieter, die vor zehn Jahren noch alles eigenständig, selbstentwickelt und aus einer Hand anbieten konnten, mussten beim Wettlauf um funktionale Erweiterungen umstellen und setzen heute vermehrt auf Partnerschaften aber auch auf Akquisitionen.

Modulverteilung
Modulverteilung
Foto: i2s

In der Folge ist das "All-in-one"-Ideal, dass 2003 noch den ERP-Markt beherrschte, einer "Allmost-in-one"-Realität gewichen. Dabei gilt aber auch: Nicht alles, was vom gleichen Anbieter offeriert wird, passt auch problemlos zusammen. In der Folge haben ERP-Ökosysteme massiv an Bedeutung gewonnen und gerade kleine Anbieter sind hier in Zukunft zu klaren Richtungsentscheiden gezwungen, ob sie sich einem Ökosystem anschließen oder sich unabhängig in einer Marktnische einnisten. (ba)