Generative AI überfordert

KI ohne Kompass - Betriebe finden keinen Einstieg

11.09.2023
Von 
Florian Bongartz, Politologe, arbeitet als Head of Communications bei Paycy, einer Plattform für das Bezahlverfahren Request to Pay.

Schlechte Mitarbeiterproduktivität rächt sich doppelt

Wer ein Gefühl dafür bekommen möchte, was kommt, sollte einen Blick in die Arbeiten des britischen Wissenschaftshistorikers Derek John de Solla Price werfen. Eine seiner Thesen, die auch als "Price's Law" bekannt geworden ist, besagt, dass 50 Prozent der Arbeit in einem Team von einer Anzahl von Personen erledigt wird, die der Quadratwurzel der insgesamt an dieser Arbeit beteiligten entspricht. Kurz: Von 10.000 Beschäftigten erzeugen 100 die Hälfte der Ergebnisse.

Wenn man so will, sind das die Hyperproduktiven. Ähnlich wie beim Fußball, wo uns meistens nur die Namen der großen Stars einfallen, gilt auch bei Buchautoren, Musikern oder eben bei Angestellten, dass nur eine Minderheit einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Price's Law geht noch weiter. Er hat - einfach formuliert - festgestellt, dass Inkompetenz innerhalb einer Organisation exponentiell wächst, Kompetenz dagegen linear. Man stelle sich vor, dass sich der kleine Kreis der Kompetenten nun auch noch mit einer KI ausstattet: Die weniger Kompetenten dürften endgültig abgehängt werden.

Marc Andreessen: "Freeze-Frame Moment of AI"

Im Podcast mit Lex Friedman macht Marc Andreessen ähnliche Beobachtungen. Ihm zufolge müsste es da draußen Autoren geben, die Abertausende von außergewöhnlichen Büchern schreiben könnten. Und warum produzieren Musiker nicht tausendfach mehr Songs? Die verfügbaren KI-Werkzeuge seien spektakulär, so der Netscape-Schöpfer und Mitgründer der Venture-Capital-Firma Andreessen Horowitz (siehe Video ab 2:59:50).

Viele Menschen, vor allem die jüngeren, könnten heute mit KI theoretisch schon sehr früh hyperproduktiv werden. Doch der KI-Boom sei bislang ausgeblieben. Andreessen nennt das den "Freeze-Frame-Moment of AI" - ein Standbild, in dem wir uns alle befinden. Die KI-Werkzeuge seien verfügbar, aber die wenigsten Menschen wüssten bislang etwas damit anzufangen. ChatGPT verliert jetzt sogar erstmals Nutzer.

Mehr als 100 Millionen Nutzer monatlich sollen ChatGPT in den ersten beiden Monaten nach dem Launch aufgerufen haben. Im Juni 2023, ein gutes halbes Jahr später, zeigt sich ein eingetrübtes Bild: Um rund zehn Prozent sind die Zugriffszahlen eingebrochen. Heute beschäftigen sich nicht mehr, sondern weniger Leute mit dem Chatbot als damals.

Ist GPT schlechter geworden - oder sind die User unfähig?

Einige Kritiker machen dafür die angeblich schlechtere Qualität verantwortlich, die ChatGPT in der neuesten Version abliefere. Manche Antworten des Systems sind auch wirklich grotesk falsch: Forscher an den US-amerikanischen Universitäten Stanford und Berkeley wollen sogar bewiesen haben, dass GPT-4 gegenüber dem Vorgängermodell signifikant schlechtere Ergebnisse abliefere.

Möglicherweise liegt das Problem aber auch darin, dass die Menschen nicht wissen, wie sie die KI bedienen müssen. Prompt Engineering ist eine noch junge Disziplin. Die Studie der Eliteuniversitäten hat jedenfalls OpenAI dazu veranlasst, Stellung zu nehmen. Auf Twitter verteidigt sich Peter Welinder, Vice Presindet Product von OpenAI, GPT-4 sei gewiss nicht dümmer geworden. Doch wer das Werkzeug nicht intensiv genug nutze, dem blieben viele Eigenschaften und Funktionen verborgen.

Arvind Narayan, Informatik-Professor in Princeton, kritisiert zudem die Methodik der Tester. Die Studie messe das Sprachmodell im Bereich der Software-Entwicklung etwa daran, ob sich der erzeugte Quellcode sofort ausführen lasse. Dabei liefere GPT-4 in den Ergebnissen viele Erläuterungen über den Quellcode hinaus. Der Versuch, hilfreicher für den Nutzer zu sein, werde von den Testern gegen das Modell verwendet und nicht dafür. Jedenfalls zeigt die Debatte, dass sich mit KI ernsthaft beschäftigen muss, wer damit Erfolge erzielen möchte.

Die Menschen "zappen" unkonzentriert durch ChatGPT

Andreessen vermutet bei vielen das "Netflix-Syndrom": Die Menschen ließen sich zu leicht ablenken. Fast jeder dürfte sich schon einmal durch die vielen Filme eines Streaming-Dienstes geklickt haben, ohne am Ende tatsächlich etwas anzusehen. Das Angebot ist groß, und es ist für manche nicht einfach, sich für etwas zu entscheiden. Bei KI ist es so ähnlich: "Ich will mal was mit KI machen", reicht als Vorsatz einfach nicht aus, um hyperproduktiv zu werden.

Wer KI nutzen will, sollte sich zuvor ausgiebig mit dem zu lösenden Problem beschäftigen - und sich nicht davon ablenken lassen.
Wer KI nutzen will, sollte sich zuvor ausgiebig mit dem zu lösenden Problem beschäftigen - und sich nicht davon ablenken lassen.
Foto: Midjourney

Wer KI ohne Kompass nutzt, der produziert nicht, der spielt. Dieses Experiment kann jeder für sich selbst durchführen. Die Webseite https://theresanaiforthat.com listet mehr als 7.000 KI-Tools auf, die sich für fast 2.000 verschiedene Aufgaben eignen. Produktiv wird damit nur derjenige umgehen, der schon weiß, was er mit KI anstellen will und warum. Alle anderen probieren nur ein wenig herum oder sind überfordert. Das sind diejenigen, die sich von ChatGPT wieder verabschieden, weil sie damit nichts Konkretes anfangen können.

Wahrscheinlich verstärkt KI bloß das, was ein Mensch ohnehin erreichen will. So wie es Peter Thiel in seinem Buch "Zero to One" beschreibt, ist es der erste Schritt, der etwas Neues schafft. Von Null auf Eins muss der Mensch alleine kommen, erst danach hilft die KI. Darum warten wir auch noch auf das große KI-Feuerwerk. Wir haben eine mächtige Lösung zur Hand, für die wir jetzt passende Probleme suchen. (hv)