BMW-Tochter Kontron installierte europaweites WAN

Internationaler VAN-Anbieter als Partner fuer X.25-Datennetz

19.02.1993

Wie bei vielen Dingen im Leben begann es mit dem grossen Aufraeumen. Bei Kontron hiess das die Restrukturierung des kompletten bisherigen DV-Systems. Die existierende und veraltete IBM/36/38-Welt war ausschliesslich fuer dedizierte Anwendungen ausgelegt, viele PC-Inseln sowie unstrukturierte Netzloesungen mit unterschiedlichen Architekturen hatten sich in einer Art Wildwuchs entwickelt. Als Ergebnis dieses Wildwuchses war das vorhandene DV- Szenario bei Kontron ueber viele Jahre vom IBM-Host ueberschattet, mit entsprechenden Cluster-Loesungen innerhalb von Big Blues SNA- Welt.

Budget und Zeitrahmen vorgegeben

Die Restrukturierung sollte daher zwei Hauptaufgaben erfuellen: Einmal galt es, die Installation eines heterogenen und flexiblen Inhouse-Netzes voranzutreiben. Zum zweiten musste eine durchlaessige Kommunikation zwischen der Kontron-Zentrale in Eching bei Muenchen und den sieben deutschen sowie fuenf europaeischen Aussenstellen gewaehrleistet werden. Die Geschaeftsfuehrung gab dabei sowohl das Budget als auch den Zeitrahmen fuer die Realisierung des Gesamtprojektes vor. Eine der essentiellen Forderungen des Managements hiess, die Personal- und Reisekosten zu senken sowie gleichzeitig die Kommunikation innerhalb des Unternehmens effektiver und kostenguenstiger zu gestalten.

Die Kontron-Verantwortlichen verlangten ausserdem, ein vollkommen transparentes, heterogenes Netz zu konzipieren. Darin sollten sowohl IBM-Mainframes als auch Unix-Systeme sowie DOS- beziehungsweise OS/2-Rechner auf Basis unterschiedlicher Uebertragungsprotokolle miteinander kommunizieren koennen. Gleichzeitig war es unabdingbar, die Wirtschaftlichkeit im Auge zu behalten.

Gerade unter diesem Gesichtspunkt versprach die Entscheidung, ausschliesslich Komponenten auf der Basis von Industriestandards zu verwenden, eine Kostenoptimierung. Nicht zuletzt war eine vollstaendige Integration der Administratoren vorgesehen; man wollte auch personell ein wesentlich groesseres Netz mit deutlich weniger Aufwand betreiben, als fuer die bisherige unstrukturierte Loesung erforderlich war. Dies alles ging jedoch nicht ohne eine Strukturreform des eigenen Fernnetzes.

Schon lange vor dem Inkrafttreten des EG-Binnenmarktes hatte man bei Kontron entschieden, die Selbstaendigkeit der europaeischen Niederlassungen auf einen jeweiligen Vertriebs- und Servicestatus zu reduzieren. Konsequenz fuer die Netzstruktur: Der Datenfluss musste weitgehend sternfoermig von der Zentrale zu den Aussenstellen und zurueck verlaufen. Man entschied sich also gegen eine SNA-Loesung und verzichtete auch auf teure Standleitungen, was die Anschaffung unverhaeltnismaessig vieler neuer und teurer Geraete erfordert haette. Vielmehr entschloss man sich zu einer X.25- Konzeption.

Einen hohen Stellenwert hatte von Beginn an auch die Datensicherheit. So sollten alle Datenpakete mit registrierten Netznummern uebertragen werden, um auf diese Weise - ueber den physikalischen Anschluss der jeweils nationalen PTTs - auch die Kommunikation einzelner PCs im internationalen Netz zu ermoeglichen. Um die Betriebskosten in den Griff zu bekommen, war ab sofort die Aussenkommunikation nur ueber die Zentrale moeglich. Die geringere Anzahl von Telefonmodems trug darueber hinaus ebenfalls zu einer besseren Steuerung der Betriebskosten bei.

Die Installation des Inhouse-Netzes und die Restrukturierung der uebrigen DV war in knapp einem Jahr abgeschlossen. Dagegen gestaltete sich der WAN-Ausbau schwieriger. Fuer die Vernetzung der sieben deutschen Aussenstellen stand ausser Frage, dass die Loesung Datex-P heissen sollte. Kompliziert wurde es jedoch jenseits der Staatsgrenzen, wo die Kompetenz der deutschen Telekom endet. Oft scheiterten die Verhandlungen mit den anderen PTTs nicht nur an sprachlichen Barrieren, auch buerokratische Vorschriften richteten fast unueberwindbare Huerden auf.

Auch aus technischer Sicht musste man erkennen, dass X.25 durchaus nicht immer der Standard ist, fuer den die paketorientierte Uebermittlungstechnik gehalten wird. X.25 spricht vielmehr, wie sich herausstellte, sehr viele Sprachen, da die einzelnen TK- Gesellschaften in Europa dem angeblichen Standard oft unterschiedliche Parameter unterliegen. Konsequenz: Nur ein international taetiger Carrier mit entsprechender Infrastruktur war in der Lage, bei der Loesung dieses Problems zu helfen.

Bevor die endgueltige Entscheidung zugunsten von BT fiel, erfolgte eine gruendliche Bedarfsanalyse. Dabei kam es auch auf die Verbindungen des in Frage kommenden Dienstleisters zu den jeweiligen nationalen PTTs an, die besonders in puncto Netzbetrieb eine entscheidende Rolle spielen. Hierbei war letztlich ausschlaggebend, dass die britischen VAN-Spezialisten mit ihren Global Network Services (GNS) ein identisches und globales X.25- Netz mit Knoten in allen Laendern, wo Kontron Niederlassungen anzubinden hatte, anbieten konnten (vgl. Abbildung 1).

Das GNS-Netz, hervorgegangen aus dem ehemaligen Tymnet von McDonell Douglas, gewaehrleistet dem IT-Management von Kontron eine 99,9 prozentige Verfuegbarkeit in allen Standorten, Backup-Funktionen durch "alternate routing" und eine zentrale Ueberwachung des Datenflusses rund um

die Uhr (End-to-end-Service). Das One-stop-shopping-Prinzip erspart dabei vor allem Probleme bei der Fehlerbehebung, der Wartung und im Umgang mit den nationalen PTTs. Mit einer einheitlichen Rechnungstellung, die - wie im Fall Kontron - auch aus einem monatlichen Festpreis bestehen kann, wird darueber hinaus die Buchhaltung entlastet und die Kostenueberwachung vereinfacht.

Die von BT eingesetzten Knotenrechner stammen aus eigener Produktion (Tymnet-Technologie). Der Zugang zu GNS erfolgt ueber Waehl- oder Standleitungen, wobei eine Vielzahl von CCITT-Standards und proprietaeren Protokollen vom asynchronen Dial-up ueber X.25, 3270 SNA/SDI bis hin zu X.32 unterstuetzt werden. Dies bei einer Uebertragungsgeschwindigkeit bis zu 64 Kbit/s beziehungsweise 2 Mbit/s bei Frame Relay. Eine automatische Protokoll-Konvertierung sorgt dabei fuer Kompatibilitaet und einen einfachen Anschluss beziehungsweise Einbindung neuer Kommunikationspartner.

Zu den speziellen Netzzugangs-Sicherungen zaehlen unter anderem ein eigenes internes Netzprotokoll, Netzidentifikation und persoenliche Identifikation, Datenverschluesselung sowie geschlossene Benutzergruppen, die ein privates "Netz im Netz" bilden. Weitere Sicherheitskomponenten sind ein automatisches Abschalten nach Zugriffsfehlversuchen und die Registrierung und Ueberpruefung unautorisierter Zugriffe sowie unregelmaessiger Netzaktivitaeten.

In puncto Netzhardware ist hervorzuheben, dass die verwendete Bridge-Router-Klasse Netbuilder von 3Com und die BT-Systeme gegeneinander validiert sind, um das im internationalen Verkehr notwendige Mass an Sicherheit zu garantieren. Bei der Konzeption hatten sich daher im Vorfeld sowohl die BT Telecom (Deutschland) GmbH als auch die deutsche 3Com GmbH beteiligt. Die 3Com-Geraete wurden zudem vorkonfiguriert und auf die BT-Applikationen eingestellt, was die Installationszeit erheblich verkuerzte und dazu beitrug, Investitionskosten einzusparen.

Im Falle Kontron wird hauptsaechlich das Bridge-Router-Modell "Netbuilder I" eingesetzt. Dabei kommt es vorwiegend auf den Betrieb unter Datex-P und die Nutzung der GNS auf X.25-Basis an, wobei im Vordergrund der PC-Applikationen Loesungen unter DOS beziehungsweise Windows stehen. Entscheidungen ueber die Einfuehrung von E-Mail gemaess X.400, Frame Relay oder ISDN stehen bei den Muenchner Netzspezialisten noch an; hier moechte man zunaechst die weitere Kostenentwicklung und einen sich abzeichnenden internen Bedarf abwarten.

Ein perfektes Menue gelingt nur dann, wenn die Zutaten stimmen. Nicht kompatible Software-Applikationen auf dem Desktop koennen schon vor der Zubereitung den Appetit verderben. Hier galt es also zuerst einmal, die Spreu vom Weizen zu trennen. Nur 500 der ueber 1000 bei Kontron installierten PCs und andere Rechner erfuellten letztlich die Bedingungen, um in das Netz integriert zu werden. Nachdem diese Auswahl abgeschlossen war, wurden neun Subnetze definiert. Darin koennen maximal 254 IP- beziehungsweise Netware- Rechner angeschlossen werden.

Dieses "Sub-neting" bedeutete zwar einen etwas hoeheren Installationsaufwand, sorgte aber fuer klare Verhaeltnisse. Fuer das Routing wurde eine IPX- und IP-Plattform geschaffen, auf der ueber Gateways auch die IBM-Rechner eingebunden werden konnten. Auf dieser Basis war es moeglich, auch die AS/400-Rechner, die innerhalb SNA via Token Ring vernetzt sind, in das Gesamtkonzept einzubinden (vgl. Abbildung 2).

Eines der wesentlichen Probleme bestand zudem darin, das Know-how rechtzeitig an den richtigen Ort innerhalb der europaeischen Unternehmensorganisation von Kontron zu transportieren. Nicht jede Niederlassung der Muenchner verfuegt ueber einen eigenen Netzspezialisten. Die Folge waren bis dato hohe Reisekosten und ein unverhaeltnismaessig grosser Zeitaufwand, da die Experten aus der Zentrale staendig unterwegs sein mussten. Aufwendige Update- Prozeduren fuer neue Software und kostenintensive Abwicklung (Auslieferung, Versand etc.) taten das uebrige.

Durch die Uebertragung ganzer Programmpakete ueber das Netz konnte die permanente Reisetaetigkeit deutlich eingeschraenkt werden. Zudem liess sich die Implementierung neuer Software wesentlich beschleunigen und im Datenaustausch mit den Niederlassungen via GNS eine praktikable Buerokommunikation aufbauen. Dies war noetig, weil vor allem das Lager- und Bestellwesen sowie ein entsprechendes Controlling die Hauptfunktionen einer europaweit operierenden Organisation darstellen.

Bei der Kopplung der einzelnen LANs entschied man sich fuer Glasfaser-Verbindungen, nicht zuletzt aus Gruenden der Benutzerfreundlichkeit und um auch interne Cluster in die Host- Umgebung integrieren zu koennen. Die Netzsegmente wurden ueber ein Standard-Ethernet-Backbone verbunden. Bei den Verbindungen kommen Uebertragungs-Systeme zum Einsatz, die vorerst Bridge-Funktionen wahrnehmen und erst nach einer spaeteren Umstellung der Software als Router arbeiten. Die im Netz eingesetzten Server benuetzen als Softwareplattform entweder Novells Netware oder ein Unix-Derivat. Die auf diese Weise realisierte transparente Struktur ermoeglicht es, dass auf PC-Arbeitsplaetzen auch Host-Emulationen und Unix- Applikationen laufen.

Es ist nur zu leicht, alles neu zu machen. Man deklariert alles Vorhandene als Schrott und schafft neue Geraete an. Dass dies aber sicher nicht die Ultima ratio sein kann, erklaert im Zweifelsfall der Controller. Seine Forderung heisst Investitionssicherung. Leider wird dies oft als Marketing-Schlagwort abgetan. Kontron bewies mit seinem Projekt, dass dem durchaus nicht so sein muss. Eine entsprechende Vorbereitung und die kritische Ueberpruefung aller vorhandenen Komponenten auf ihre Weiterverwendbarkeit haben dazu beigetragen, Geld und letztlich auch Zeit zu sparen. Dank dieser Philosophie gelang es, die Investitionskosten erheblich unter der allgemein ueblichen Marke von 800 bis 1000 Mark pro Netzknoten zu halten.

Das heute erreichte Niveau der internationalen Datenkommunikation bei Kontron stellt lediglich einen wichtigen Zwischenschritt dar, mit dem das Unternehmen die Grundlagen gelegt und nuetzliche Erfahrungen gesammelt hat.

Damit sind jedoch noch lange nicht alle Kommunikationsbeduerfnisse der Muenchner gestillt. Singapur und die USA stehen vor der Tuer, wenn es ueber kurz oder lang um die Anbindung weiterer Dependancen geht. Weitere Plaene orientieren sich in Richtung Fernost (Japan). Mit der Infrastruktur des Partners BT ist die Ueberbrueckung solcher Netzdistanzen kein Problem mehr, gilt es doch im Prinzip nur, weitere neue Knoten ins Netz zu flechten. Aehnlich verhaelt es sich mit neuen Techniken wie Frame Relay oder ISDN.

Kontron sieht sich also fuer die Zukunft geruestet und beobachtet aufmerksam die weitere Entwicklung - nicht nur aus eigenem Antrieb, sondern schon im Interesse der eigenen Netzkunden.

Aber auch "um das Haus herum" tut sich bei den Muenchnern eine Menge. So lotet man derzeit die technischen Alternativen eines Home-Office fuer den mobilen Vertriebsmann aus. Hier werden Loesungen mit asynchroner Einwahl in paketvermittelnde Systeme wie Datex-P oder GNS von BT diskutiert. Angestrebt wird eine Komplettloesung, fuer die derzeit jedoch noch keine geeigneten Programme existieren. Eines ist jedoch klar: Auch hier geht um Rationalisierung.

*Hans Gruenert ist freier Journalist und PR-Berater in Muenchen.

Kontron Elektronik

Die Kontron Elektronik GmbH, Muenchen, Tochter der BMW AG, Muenchen, hat sich in ihrer ueber zehnjaehrigen Firmengeschichte einen Namen als Entwickler, Hersteller und Distributor fuer technisch- wissenschaftliche Elektronik gemacht. Das Unternehmen konzipiert und realisiert herstellerunabhaengige und individuelle Loesungen im Netz- und Kommunikationsbereich. Dabei sind die Muenchner nach eigenen Angaben bestrebt, Komplettloesungen aus einer Hand zu liefern. Die Dienstleistungspalette reicht von der Systemanalyse und Beratung ueber die Planung und Durchfuehrung bis hin zu Wartung und Service. Das weitere Produkt- und Leistungsspektrum des BMW- Ablegers umfasst die Bereiche Industrierechner, Messtechnik-Systeme, Material- und Bildanalyse-Geraete sowie Grafikkomponenten.

Abb. 1: BT kann mit GNS eine europaweite, den jeweiligen nationalen Bedingungen Rechnung tragende, X.25-Infrastruktur anbieten.

Abb. 2: Neun Subnetze gewaehrleisten den Anschluss von maximal 254 IP- beziehungsweise Netware-Servern. Durch IPX- und IP-basiertes Routing koennen auch IBM-Rechner wie die AS/400 eingebunden werden.