Im Markt fuer DB-Clients wird die Wahl meist zur Qual

05.08.1994

Jede Entwicklung von Datenbankkonzepten muss sich heute mit dem Client-Server-Prinzip auseinandersetzen. Dadurch ist eine nahezu unueberschaubare Produktpalette entstanden, so dass die Wahl der richtigen Front-end-Strategie mitunter zum Roulettespiel wird - die russische Variante inbegriffen.

Von Detlef Borchers*

Das Dilemma heutiger Front-ends in einer Client-Server-Umgebung brachte der gluecklose Praesentationsprofi eines grossen Datenbankanbieters auf den Punkt: Bei der Vorstellung der moeglichen Front-end-Varianten verhaspelte er sich und sprach von einer "Markettecture", die Clients und Server zusammenhaelt. Nun sind es nicht allein die glitzernden Wortschoepfungen der Marketing-Fachleute, die das Terrain verminen. Auch die ueberfrachteten Erwartungen der Anwender und die ebenso ueberzogenen Versprechungen der Hersteller tragen zur allgemeinen Verunsicherung bei. So behaupten die Hersteller, eine Art Schweizer Armeemesser fuer alle Datenbankprobleme anbieten zu koennen letztlich liefern sie jedoch nur einen einfachen Schraubenzieher, den der Anwender dann als Hammer verwendet. Komplettiert wird das Ganze durch die Berichterstattung in der Fachpresse, die das Downsizing mit einem "Fahrstuhl zum Schafott" assoziiert.

Waehrend sich der Server-Markt inzwischen bereinigt hat, faellt es schwer, bei den Clients die Uebersicht zu behalten. Vom einfachen Abfrage-Tool ueber eine geschickt verknuepfte PC-Datenbank bis hin zu kompletten MIS-Paketen gibt es kaum einen Ansatz, der nicht als Client durchgehen duerfte. Selbst das (fuer viele Anwender) altehrwuerdige "Sidekick" von Borland wurde in seiner Windows- Reinkarnation PR-technisch als Client gefeiert. Grund: Der Personal Information Manager (PIM), der nicht auf den hauseigenen Datenbanken aufsetzt, verfuegt ueber eine flexible Import- und Exportfunktion, die SQL-Bestaende einfangen soll. Immerhin nutzt das Windows-Programm Sidekick nicht die von Microsoft propagierte ODBC-Schnittstelle, die derzeit einigen Entwicklern Probleme bereitet. Das Interface sollte urspruenglich in das kommende Windows integriert werden, nach der juengsten Microsoft- Entscheidung ist jedoch weiterhin ein separater Vertrieb vorgesehen.

Im Angebot: Viele neue Entwicklungsumgebungen

Die wichtigste Kategorie unter den Client-Angeboten sind Programmierumgebungen wie Guptas "SQL-Windows", "Objectview" von Knowledgeware oder der "Powerbuilder" von Powersoft. Systeme dieser Art gestatten die grafische Anwendungsentwicklung mit Formulardesignern und Report-Generatoren. Sie besitzen eine eigene Script-Sprache, unterstuetzen mehrere Datenbank-Schnittstellen (ODBC, DRDA) und arbeiten mit einer ganzen Reihe von DBMS- Angeboten.

Mit dem "Team Enterprise Developer" von Symantec kommt ein weiteres Produkt auf den Markt, das zumindest laut Herstellerangaben interessante Alternativen bietet. Das integrierte System zur Versionskontrolle, die objektorientierte Script-Sprache, die Unterstuetzung von E-R-Diagrammen fuer Auswertungen e la CASE, dies alles sind Komponenten, fuer die Konkurrenzfirmen einen Aufpreis verlangen. Beim Team Enterprise Developer sind indes Zuschlaege fuer Datenbank-Links (Oracle, Sybase, Microsoft SQL, XDB) und bei der DB2-Anbindung via DRDA faellig.

Symantecs Einstieg in den Client-Server-Markt enthaelt eine erweiterbare Regelsammlung, die mit den Daten abgespeichert wird. Zum professionellen Handwerkszeug fehlt dem Windows-Programm derzeit noch eine E-Mail-Anbindung. Dass Symantec mit seinem Paket einen neuen Standard setzen will, laesst sich am besten aufgrund des Konkurrenzverhaltens feststellen: Mit dem Erscheinen des Team Developers erwarb Knowledgeware die Firma Fairfield Software, die grafische Konstruktions-Tools im Windows- und Mac-Bereich herstellt. Die Fairfield-Produkte "Clear Access" (Report- und Formgenerator) und "Clear Manager" (Monitor) werden sicher nicht nur als Add-ons, sondern bald als Bestandteil von Objectview zu haben sein.

Eine andere Neuentwicklung kommt aus dem Hause Borland: Neben dem Einkauf des Report-Generators "Report Smith", der Einfuehrung von "Dbase fuer Windows" oder der noch geheimnisumwobenen "Interbase Engine" kursiert der Codename "Delphi". Dahinter verbirgt sich ein klar strukturiertes Tool fuer die schnelle Client-Entwicklung, das derzeit einen breiten Betatest durchlaeuft. Die Betonung liegt dabei offensichtlich auf schnell, denn Delphi lehnt sich so eng, wie es nur eben geht, an Microsofts "Visual Basic" an, um die ungeliebte Konkurrenz auszustechen. Mit Delphi will Borland den Erfolg von Pascal fortsetzen - aehnlich wie Visual Basic an Basic anknuepft.

Dies hat zum Ziel, professionelle Entwickler mit dem integrierten "Report Smith" und der objektorientierten Programmierung (Delphi ist in Delphi geschrieben und erzeugt Pascal-Code) zu gewinnen. Dank Delphi wird nicht nur die Interbase- Engine das noetige Front- end erhalten, der Zugriff auf Dbase, Paradox, Oracle und Sybase/

Microsoft soll ebenfalls moeglich sein. Ob die kommerzielle Realisierung des Tools indes gelingt, haengt nicht zuletzt von der finanziellen Lage der Firma ab, ueber die in Branche und Fachpresse orakelt wird.

In die Delphi-Klasse, allerdings eingeschraenkt auf den Datenbankbereich, gehoert auch der "Infomodeler" von Asymetrix, der seit zwei Monaten auf dem Markt ist. Das Programm erzeugt DDLs fuer SQL-Server von Microsoft und Sybase, fuer Oracle sowie fuer die PC- Datenbanken "Access", "Foxpro" und "Paradox". Die Staerken des Modelers liegen in den "Business Facts", die sehr aehnlich wie die Regeln in Symantecs Team Enterprise Developer arbeiten. Dafuer benutzt der Infomodeler eine Sprache, die Asymetrix FORML (Formal Object Role Modeling Language) getauft hat und die der englischen Grammatik nachgebildet ist.

Wer in Datenbankkategorien denkt, wird hier bei der Entwicklung vielleicht auf groessere Hindernisse stossen, als das Windows- Programm an Vereinfachungen eigentlich bieten moechte. Umstaendlich ist im Vergleich zum regelsynthetisierenden Symantec-Produkt, dass jede Regel einzeln kompiliert werden muss.

Nicht nur dieser Unterschied macht klar, dass Asymetrix seine Chancen mehr im Bereich des schnellen Prototype-Designs sieht: Im Gegensatz zu den grossen Systemen kennt der Infomodeler keine Ansaetze zum Reverse-Engineering vorhandener Datenbanken.

Ein Prototyping anderer Art vertritt Notrix mit dem juengst vorgestellten "Notrix Composer". Hier findet der Modellbau direkt unter Notes statt, wobei der Composer die noetige Datenbankgrundierung besorgt. Fuer den Austausch von Firmendaten benoetigt Notrix Composer die verbreitete Middleware "EDA/SQL" von Information Builders.

Es gibt jedoch auch Entwickler, denen die visuell geleitete Kunst der Front-end-Gestaltung ueberhaupt nicht zusagt. Nicht jeder will ein Formular mit Knoepfen und Schaltflaechen zusammenschustern, zumal er sich in eine starke Abhaengigkeit von der jeweiligen grafischen Benutzeroberflaeche begibt. Ein Programmierwerkzeug, das eine Art objektorientiertes Datenbank-Prototyping anbietet, ist "Magic" von Magic Software. Das urspruenglich fuer DOS, Unix (unter AIX auf der RS/6000) und VMS entwickelte System ist seit neuestem auch unter Windows verfuegbar - und besitzt damit ebenfalls die unvermeidlichen grafischen Konstruktions-Tools sowie eine ODBC- Anbindung. Die Objektorientierung des Systems begruendet Magic damit, dass die klassischen Bestandteile einer Datenbank ueber Namensreferenzen zusammengefasst sind; so etwa die Kundennummer als Datentyp mit Informationen aus verschiedenen anderen Quellen. Eine Aenderung an der urspruenglichen Referenz reicht aus, um alle Verweise zu aktualisieren.

Die SQL-Anbindung an grosse Datenbanken laeuft ueber "Magicgate", das aehnlich wie Microsofts ODBC-Treiber arbeitet: Aus der eigentlichen Abfrage wird ein SQL-Statement geformt und zur Datenbank geschickt. Das Programmieren des Front-ends, das strenggenommen aus vorgefertigten Prozeduren zusammengefuegt wird, laesst sich mit C++ um eigene Routinen erweitern; ein Regel-Repositorium gibt es nicht.

Ein weiterer Windows-Neuling: Mit "New Era" will Informix, bislang ohne eigenen grafischen Tool-Kasten, nicht laenger hinter der Konkurrenz zurueckstehen und die hauseigene 4GL objektorientiert als Client-Server-System auf den Markt bringen. Erscheinungstermin, Preis- und Lizenzrahmen sowie die Form der Entwicklerunterstuetzung sind allerdings noch nicht festgelegt, so dass die neue Informix-Aera vorerst auf sich warten laesst.

Perspektiven fuer die Datenbankhersteller

Spaetestens seit dem Erfolg von MS-Access ist klar geworden, dass der professionelle Entwurf und das Einrichten eines Front-ends nicht allein ueber Programmier-Tools laufen muessen. Die Hersteller von PC-Datenbanken haben diese Botschaft gehoert - und unterschiedlich interpretiert. Da gibt es Angebote wie Borlands Paradox, das spaetestens mit der kommenden Version 5.0 zum Universalwerkzeug fuer Back-ends arrivieren soll. Wie das Beispiel Lotus Approach 3.0 zeigt, ist die Zusammenarbeit mit grossen Datenbanken selbst fuer persoenliche Informationssammler zur Pflicht avanciert, auch wenn das Wort Front-end etwas uebertrieben waere. Ein wichtiger Trend ist hier die kundenfreundliche Diversifikation: Hersteller wie der Superbase-Aufkaeufer Computer Concepts (eigenes Produkt: "Dbexpress 2.1") zerlegen ihre Datenbank in eine Personal- und eine Office-Edition, die sich zum Bau von Front-ends heranziehen laesst.

Auch die Berliner Softwareschmiede BKS gliedert seit neuestem ihr Datenbanksystem "Poet" in eine Personal Ediiton und eine Entwicklerversion. Das Programm ist vollstaendig objektorientiert und wendet sich dementsprechend an die professionellen OO- Entwickler. Mit der bis dato recht einzigartigen Portierung auf das Unix-Derivat Linux soll Poet in Universitaetskreisen fuer eine breite Anwenderbasis sorgen, von der aus dann weitere Front-end- Tools nachgefragt werden.

Einer ewigen Baustelle

gleicht die Datenverarbeitung. Das liegt nicht nur daran, dass staendig neue Anwendungen entwickelt werden, sondern - was schlimmer ist - auch daran, dass sich laut CASE-Spezialist Ernst & Young in Europa 85 Prozent aller Projekte verspaeten. Foto: The Image Bank

Detlef Borchers ist freier Autor und DV-Journalist in Westerkappeln.