Gegengewicht zu Microsofts Visual Studio

IBM will offenen Tools-Standard setzen

30.11.2001
MÜNCHEN (ws) - Mit der Übergabe der "Websphere Studio Workbench" an das Open-Source-Projekt "Eclipse" möchte IBM einen offenen Tools-Standard etablieren. Drittanbieter können Zusatzmodule für das Framework schreiben und so Entwicklungsaufwand sparen. Mit Hilfe der Partner möchte die IBM Microsofts Visual Studio Paroli bieten.

Die IBM entwickelte für ihre Open-Source-Initiative Eclipse keine neue Software, sondern gliederte die Workbench aus dem "Websphere Studio" aus. Die Architektur von IBMs neuer Tools-Generation sah aber von Anfang an vor, dass spezifische Werkzeuge in ein möglichst allgemein gehaltenes Framework eingeklinkt werden können. Die Offenlegung des Codes soll nun unabhängige Softwarehäuser oder auch Open-Source-Projekte ermuntern, Plugins für Eclipse zu entwickeln. Gewinnen sollen dadurch beide Seiten: Tools-Anbieter sparen erheblichen Entwicklungsaufwand, weil sie die reichhaltigen Dienste des Frameworks nutzen können, und IBM könnte der eigenen Tools-Plattform dank zahlreicher Zusatzmodule zu großer Popularität verhelfen.

Einheitliche IDEGerade für kleinere Anbieter von Programmierwerkzeugen könnte das Angebot von Big Blue verlockend sein: Die Erstellung einer konkurrenzfähigen integrierten Entwicklungsumgebung (IDE) überfordert nämlich häufig deren finanzielle Möglichkeiten. Auch die zumeist spartanischen Open-Source-Tools haben in puncto komfortable IDEs noch erheblichen Nachholbedarf. Zudem behaupten die Eclipse-Verantwortlichen bei der IBM, dass separate, nicht miteinander verbundene Umgebungen für jede Sprache oder jedes Tool die Softwareentwicklung behinderten. Dies gelte besonders für E-Business-Projekte, die typischerweise eine Reihe von Werkzeugen erfordern.

Tools hingegen, die auf Eclipse beruhen, bieten zwangsläufig ein gewisses Maß an Integration. Das Framework stellt nämlich eine gemeinsame Struktur für alle darauf aufsetzenden Module zur Verfügung (siehe Kasten). Damit verfolgt Big Blue einen ähnlichen Ansatz wie Microsoft mit "Visual Studio .NET". Die Windows-Company sieht ebenfalls vor, dass Dritthersteller .NET-Tools als Plugins für das hauseigene Entwicklerpaket anbieten können. Beispielsweise arbeitet das kanadische Softwarehaus Activestate mit "Perl .NET" und "Python .NET" an derartigen Erweiterungen.

Der Ansatz von IBM und Microsoft trägt nicht nur den angeblichen Wünschen von Entwicklern nach einer einheitlichen Umgebung Rechnung, sondern vor allem auch einem stark konsolidierten Tools-Markt. Trotz dieser Übereinstimmung unterscheidet sich die Tools-Strategie der beiden Hersteller in wesentlichen Punkten. Microsoft lässt keinen Zweifel daran, dass es auf der eigenen Plattform nicht nur bei Anwendungen, sondern auch den Werkzeugen dominieren möchte. Entsprechend handelt es sich bei Visual Studio um eine vollständige Entwicklungsumgebung mit Unterstützung für eine Reihe von Programmiersprachen. Die Windows-Company hält sich zudem offen, ihr Entwicklerpaket beliebig zu erweitern und so gegen Anbieter von Plugins zu konkurrieren. Die IBM hingegen agiert im Tools-Markt nicht aus einer Position der Stärke. Trotz gegenteiliger Beteuerungen ist das Ende der "Visual-Age"-Familie in Sicht. Diese bietet zwar auf mehreren Plattformen Unterstützung für eine Reihe von Programmiersprachen, IBM konnte sich damit aber nie unter den Marktführern etablieren. Nun steht der Übergang zur neuen Java-basierten Generation der "Websphere"-Werkzeuge an. Deren Schwierigkeiten demonstriert "Visual Age for Java" besonders deutlich. Da es von IBM nicht mehr ausreichend aktualisiert wurde, benötigt es für die Programmierung von Server-seitigen Java-Anwendungen die Ergänzung durch Websphere Studio. Dieses wiederum hat in puncto visueller Entwicklung von Benutzeroberflächen noch nicht den Stand von Visual Age erreicht. Deshalb teilen sich beide Tools die Arbeit, Programierer müssen zurzeit ihren Code laufend zwischen den beiden Umgebungen hin- und herschicken. Ein Ende wird dieser Zustand in etwa einem halben Jahr finden, wenn IBM einen GUI-Designer für Websphere Studio auf den Markt bringt.

Vertrauen durch offenen QuellcodeDas Verhältnis zu den zukünftigen Partnern bestimmt die IBM wesentlich durch den Open-Source-Ansatz. Zum einen bekundet Big Blue damit seine Verbundenheit mit freier Software und rechnet wohl auch mit tatkräftiger Unterstützung durch offene Projekte. Zum anderen soll aber damit das Vertrauen der kommerziellen Anbieter von Plugins gewonnen werden. Durch die Freigabe des Quellcodes erlangt Eclipse eine Art Unsterblichkeit, weil IBM das Framework im Falle eines wirtschaftlichen Misserfolgs nicht einfach vom Markt nehmen kann. Hersteller von Tools werden es zudem schätzen, dass Eclipse nur das reine Framework umfasst und ihnen nicht durch mitgelieferte Plugins Konkurrenz macht. Da Websphere Studio schon heute als eine Sammlung von Eclipse-Modulen realisiert ist, kann IBM natürlich einen Startvorteil verbuchen.

Framework-DiensteDas IBM-Framework Eclipse bietet Drittanbietern eine Reihe von Diensten, die sie in ihren Erweiterungsmodulen nutzen können. Dazu zählt natürlich der Plugin-Mechanismus selbst, über den sich Module in die Plattform einhängen lassen. Da IBMs Workbench in Java geschrieben wurde, beruhen Erweiterungsmodule in der Mehrzahl künftig wohl ebenfalls auf der Sun-Technik. Theoretisch lassen sich auch Add-ons einbinden, die aus nativem Code für ein bestimmtes Betriebssystem bestehen, sie bieten aber nur geringe Integration und starten in einem separaten Fenster. Um die Zusammenarbeit von Plugins untereinander zu gewährleisten, bietet Ecplise einen XML-basierten Konfigurationsmechanismus, mit dessen Hilfe Anbieter beschreiben können, auf welche anderen Module ihre eigene Software angewiesen ist.

Zu den Diensten des Frameworks zählt interessanterweise auch ein Toolkit zur Erstellung von Benutzer-Schnittstellen. Die IBM-Entwickler bieten damit eine Alternative zu den "Swing"-Klassen von Sun an. Außerdem umfasst das Framework ein System zur Versionskontrolle. Zum Lieferumfang gehört der Client für das quelloffene "CVS" sowie eine Light-Version von "Rational Clearcase". Für die Fehlersuche umfasst Eclipse eine Debugger-Schnittstelle, ein Hilfesystem befindet sich noch in der Entwicklung.

- http://www.eclipse.org

Abb: Hohe Ansprüche

Was Linux oder Apache bei Betriebssystemen und Web-Servern sind, soll Eclipse bei Programmierwerkzeugen werden. Quelle: IBM