Die Linux-Anwender in der IBM-Anwendergruppe GSE

"IBM hat aus der Not eine Tugend gemacht"

15.02.2002
STUTTGART (ls) - Die neue Working Group Linux in der deutschen IBM-Anwendersektion der Guide Share Europe stößt auf reges Interesse. Über ihre Ziele und das Verhältnis der IBM-User zum quelloffenen Betriebssystem sprach CW-Redakteur Ludger Schmitz mit dem GSE-Deutschland-Chef Christoph Laube und dem ersten Vorsitzenden der Linux-Gruppe, Thomas Uhl.

CW: Wer hat den Anstoß zur Gründung der Working Group Linux in der GSE gegeben?

Laube: Wir haben seit einiger Zeit aus der GSE-Mitgliederschaft immer mehr Anfragen bekommen, eine Working Group zum Thema Linux einzurichten. Außerdem möchte ich als Regional-Manager Deutschland der GSE neue Mitglieder für unsere Anwendervereinigung gewinnen. Dazu ist Linux sicher ein geeignetes Thema. Es scheint zu klappen, denn bei der Gründung der Linux-Working-Group waren etliche neue Gesichter zu sehen.

CW: Was sind die Ziele der Working Group?

Laube: Die GSE ist eine Vereinigung mit einer historisch gewachsenen starken Präsenz der S/390-Anwender. In dieser Gruppe wollen wir allerdings das Thema Linux quer über alle IBM-Server-Linien behandeln.

CW: Welche Aufgaben leiten sich daraus ab?

Uhl: Wir müssen die Working Group jetzt weiter strukturieren, beispielsweise durch Untergruppen, die sich spezieller Aspekte annehmen. Der Erfahrungsaustausch ist das Entscheidende. Die Early Adopters sollen denen, die sich dem Thema Linux annähern, Hinweise geben. Wir sollten darüber hinaus Interessenten mit allgemeinen Informationen über Linux versorgen. Die Kombination von OS/390 und Linux, seine Verwendbarkeit im Highend-Bereich, wird in großen Unternehmen heiß diskutiert.

CW: Könnte die direkte anwenderunterstützende Rolle der GSE oder der Working Group mehr als Tipps von User zu User bedeuten?

Laube: Wir werden sicher keine Supportstruktur aufbauen. Die GSE könnte höchstens beispielsweise eine CD mit nützlichen Programmen zusammenstellen, die unsere Mitglieder geschrieben haben. So machen das andere Gruppen auch. Wir bleiben gleichwohl primär eine Plattform für einen persönlichen und sehr intensiven Erfahrungsaustausch.

CW: Hat das plötzliche und entschiedene Engagement der IBM seit zwei Jahren für Linux die Anwenderschaft überrascht?

Laube: Es war ja schon IBM-intern ein Problem, sich vorzustellen, dass ein Betriebssystem verteilt statt verkauft wird. Genauso erstaunlich haben wir das empfunden, wohl auch weil wir die Open-Source-Community nicht kannten. Wenn wir deren Regeln und Verfahren gekannt hätten, wäre uns das nicht so fremd vorgekommen. Deren Standards muss man einhalten, denn an der Community kommt keiner vorbei. Ich finde es faszinierend, dass sich diese riesige IBM wie jeder andere auch der Community anschließt und sich ihren Spielregeln unterwirft.

Uhl: Ich glaube, ein paar Strategen bei IBM haben aus der Not eine Tugend gemacht. IBM hatte ein Meer von Servern und Betriebssystemen und musste konsolidieren. Linux hat zwei interessante Aspekte: Einerseits kann man auf der S/390 physikalisch viele Server konsolidieren, andererseits kann man mit Linux Betriebssysteme konsolidieren. Linux ist in der Lage, das zu halten, was Unix einmal versprochen hat. Die IBM hat erkannt, dass sie mit Linux einen konsequenten Schritt zur Öffnung aus der Enge proprietärer Unix-Derivate machen kann. IBM vergibt sich damit relativ wenig und macht sich für die riesige Schar der jungen Entwickler in der Open-Source-Szene attraktiv. Für mich war faszinierend, wie schnell diese Wendung kam.

CW: Eine Betriebssystem-Konsolidierung würde allerdings voraussetzen, dass Linux in absehbarer Zeit das Leistungsvermögen anderer Betriebssysteme erreicht. Ist das realistisch?

Uhl: Ja. Linux hat eine Evolution hinter sich, die ihresgleichen sucht. Es läuft auf allen Umgebungen von der Armbanduhr bis zum Mainframe. Und wenn den heutigen Anwendern noch Features aus der AIX- oder der 390-Welt fehlen, dann wird IBM die in Linux einbringen, weil es einfach der Wunsch der Kunden ist. Ich glaube fest daran, das Linux im Laufe der nächsten Jahre die Leistungsfähigkeit kommerzieller Unix-Derivate erreichen wird.

CW: Welche Vorbehalte gegen Linux sind in der IBM-Anwenderschaft verbreitet?

Laube: Die Standardeinwände: Es sei nicht sicher, weil es offen ist. Allerdings hat es für Aufmerksamkeit gesorgt, dass der deutsche Bundestag sich deswegen für Linux interessiert, weil seine Offenheit erst Sicherheit bringt, und dass Microsoft reagierte, indem es den entsprechenden Gremien den Windows-Quellcode vorlegen will. Es gibt ferner Vorbehalte gegenüber der völlig anderen Art der Entwicklung eines Betriebssystems. Und manche haben Ressentiments gegenüber dem äußeren Erscheinungsbild, das einige Mitglieder der Community bieten.

CW: Und welche Vorteile von Linux sind in der IBM-Anwenderschaft anerkannt?

Laube: Inzwischen sagen wohl alle, dass es ein stabiles System ist. Die Robustheit ist mit Windows gar nicht zu vergleichen. Linux und S/390 bringen die gleichen Eigenschaften, Stabilität und Robustheit, in die Ehe ein. Das ist unter Anwendern kaum umstritten.

CW: Ist es für die Anwender von Interesse, den Linux-Quellcode verändern zu können?

Laube: Bisher ganz bestimmt nicht. Niemand hat die Absicht, am Quellcode etwas zu verändern oder zu erweitern. Die Unternehmen haben kein IT-Personal mit den entsprechenden Kenntnissen, und viele haben Verbote erlassen, irgendetwas an einem Betriebssystem zu verändern. Denn jede Veränderung würde beim nächsten Release zu großen Problemen führen, die Änderungen weiter nachzuvollziehen.

CW: Gilt der Lizenzkosten-Aspekt als vorteilhaft für Linux, oder wird der als minimal abgetan?

Laube: Ich glaube nicht, dass die Anwender in erster Linie an den Kostenaspekt denken. Ihnen geht es wohl eher darum, dass sie weitere Software einsetzen können, zum Beispiel Apache.

CW: Kommt Linux in der IBM-Anwenderschaft aus der Web-Nische heraus?

Laube: Fast alle Unternehmen gelangen mit Linux erstmals in Kontakt, wenn sie einen Web-Server installieren oder einen Web-Shop einrichten. Aber es gibt in Deutschland auch schon einige hundert Unternehmen, die SAP-Software auf der Basis von Linux verwenden. Und noch mehr Anwender, bis hinauf in die Gruppe der S/390-Benutzer, haben SAP-Linux-Projekte in der Pilotphase. Linux gilt also als geeignet für unternehmenskritische Anwendungen, es bleibt nicht auf Web-orientierte Anwendungen beschränkt.

CW: Die GSE ist ein Sprachorgan der Anwender gegenüber IBM. Gibt es bereits Stimmen, die möchten, dass IBM in dieser oder jener Richtung zur Entwicklung von Linux spezifische Beiträge übernimmt?

Uhl: Das geschieht permanent. Nachdem IBM Linux auf die S/390-Plattform gebracht hat, gibt es einige Punkte auf der To-do-Liste, bei denen Anwender Prioritäten sehen möchten. Es geht um eine noch bessere Ausnutzung der S/390-Hardware, den Support von älterer Hardware. Mit der Entwicklung unserer Working Group wird diese Wunschliste konkretere Formen annehmen. Wir werden die Anwenderwünsche bei IBM besser vertreten können.

Laube: Wir bieten durch die Working Group den Teilnehmern die Möglichkeit, Einfluss auf IBM zu nehmen. Ohne die Working Group wäre ein Verbesserungsvorschlag eines Anwenders sehr viel schwerer durchzusetzen. Die GSE hat durch das Requirement-Verfahren von jeher etablierte und schnelle Kanäle in die IBM hinein.