IBM '92: Sturm im Wasserkopf

23.10.1992

Es kann nur noch schlechter werden: Sibyllinisch hatten wir die Kolumne über eine Erneuerung der IBM ausklingen lassen (CW Nr. 42 vom 16. Oktober 1992, Seite 9: "IBM zwischen Einsicht und AS/400"). Big Blue bestätigt die schlimme Ahnung auf eine für den Beobachter bereits wieder problematische Weise: 2,8 Milliarden Dollar Verlust im dritten Quartal 1992, der Aktienkurs an der New Yorker Börse mit 68,50 Dollar (19. 10.) auf einem neuen Tiefstand - es kann eigentlich nur noch besser werden. Wenn es nur so wäre. Die Resultate früherer Versuche der IBM-Führung, den Riesentanker auf einen neuen Kurs zu zwingen, geben eher denjenigen recht, die von einem Sturm im Wasserkopf sprechen. Was hat sich denn geändert in den Jahren, in denen der Mainframe-Marktführer abspeckte? Festzuhalten ist, daß der Mitarbeiterstand der IBM seit 1986 durch Early-Retirement-Maßnahmen kontinuierlich zurückgeht.

Zum Jahresende sollen 40 000 vorzeitig aus dem IBM-Dienst Ausscheidende dazu beitragen, daß der Fixkostenblock gesenkt werden kann - für die Wallstreet-Analysten normalerweise bereits Grund genug, den Daumen zu heben, wie das jetzt etwa bei Digital Equipment aus dem gleichen Anlaß der Fall war. Die IBM-Story - nur so ist das Entsetzen der Analysten zu verstehen gibt indes gar keinen Hinweis, wie sich der Niedergang stoppen läßt. Im Gegenteil: Es tut schon ein bißchen weh, daß sich die IBM in einen Preiskampf mit Dell & Co. beim PC-Direktvertrieb einläßt, einen Kleinkrieg, den sie zwar gewinnen, von dem sie jedoch nicht profitieren kann.

Das Marketing-Geplänkel um OS/2 paßt dazu: Selbst wenn es der IBM gelänge, aus der Windows-NT-Verzögerung Kapital zu schlagen, OS/2 wäre nicht mehr als ein PC

- Betriebssystem unter anderen - das Schicksal der IBM hinge davon nicht ab. Aber sehen die IBM-Strategen das auch so? Und wie werden sie damit fertig, daß viele Mainframe-Anwender eine 370-Zukunft sowieso nicht mehr erwarten, nicht wissen - schlimmer noch - , wohin die Reise geht? Die IBM sagt hü und hott, was SNA, SAA, AD/Cycle oder DB2 betrifft. Die IBM hausiert aber auch im Client-Server-Markt mit Werbesprüchen, die ihre proprietären Midrange-Systeme (AS/400!) als offen und anpaßbar preisen. Die 370-Hardliner ziehen sich derweil schmollend in ihren Mainframe-Kietz zurück.

IBM '92: Die neue Offenheit leidet unter Blutarmut; die Angst, den Anschluß zu verpassen, verdrängt jede DV-historische Erinnerung. An ihre Stelle tritt der fragwürdige Anspruch, überall dabei zu sein, es jedem recht zu machen. Bei vielen Alt-IBMern scheint sich Faszination am Untergang breit zu machen. Die Frage drängt sich auf: Was kommt danach? Herr Akers sagt: eine neue IBM. Doch gehört Akers dann noch dazu?