Mit Sportprogrammen, ausgewogener Ernährung in der Kantine oder einem Gesundheits-Check unterstützen viele Firmen ihre Mitarbeiter. Das ist gängige Praxis. Doch auf viele 40- bis 64-Jährige kommt eine andere Belastung zu, über die sie oft nur ungern sprechen. Neben den heranwachsenden Kindern benötigen auch die eigenen Eltern Hilfe im Alltag.
Verlässliche Zahlen, wie viele Berufstätige heute schon Pflegeaufgaben übernehmen, gibt es nicht. Stefan Reuyß, Soziologe am Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer (Sowitra) in Berlin, schätzt, dass zwei Drittel der Pflegenden diese Aufgaben mit ihrem Erwerbsleben in Einklang bringen müssen. Die Schattenseiten des demografischen Wandels zeigen sich schon jetzt. Rund 2,34 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig, etwa die Hälfte wird zu Hause versorgt. Weitere drei Millionen Bürger benötigen Unterstützung im Haushalt. Die Zahl derer, die nicht ohne fremde Hilfe leben können, summiert sich so auf über fünf Millionen Menschen. Hierzulande leben mittlerweile mehr Pflegebedürftige als Kinder unter drei Jahren. In den kommenden Jahren verschiebt sich dieses Ungleichgewicht weiter.
Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit schwinden
Gleichzeitig aber steigen die Anforderungen im Berufsleben. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwinden immer mehr. Neue Kommunikationsformen erleichtern es Arbeitgebern, schneller und unabhängig vom Büroalltag ihre Mitarbeiter zu erreichen. IT-gestützte Kommunikationsgeräte spielen dabei eine wichtige Rolle. Schon heute beklagen sich immer mehr Berufstätige über die hohe Belastung. Die Zahl der Burnout-Fälle steigt rasant - auch wenn es zu diesem "Krankheitsbild" unterschiedliche Meinungen gibt. Eine Reihe von Unternehmern versteht, unter welchem Druck manche Mitarbeiter stehen, und bieten Unterstützung an.
- Zielsicher in die Katastrophe
Viele Menschen steuern - bewusst oder weniger bewußt - über Jahre hinweg zielsicher auf den Burnout zu. Werden konsequent die häufigsten 13 Fehler gemacht, ist früher oder später der Burnout garantiert! - Allzeit bereit!
Bei Ihrem Job werden "flexible" Arbeitszeiten und Überstunden als selbstverständlich erwartet, auch Reisetätigkeiten, wechselnde Arbeitsplätze, internationale Zusammenarbeit über mehrere Zeitzonen hinweg und Erreichbarkeit 24 Stunden an sieben Tagen per Blackberry, Handy & Co. - Brennen für den Job
Ihre Tätigkeit begeistert Sie, Überstunden stören Sie nicht. Sie stehen für Flexibilität, Schnelligkeit und höchste Qualitätsansprüche. Das Team, der Chef, der Auftraggeber und alle anderen können sich stets auf Sie verlassen. Sie sind ehrgeizig, der nächste Schritt zum Projekt-Manager, Team- oder Abteilungsleiter winkt und fordert vollen Einsatz auf gleichbleibend hohem Niveau. Brennen Sie für Ihre Aufgaben, das Projekt, Ihr Team, Ihr Unternehmen - bis Sie ausgebrannt sind. - Entspannen? Was ist das?
Signale wie anhaltende Müdigkeit, Unkonzentriertheit, Leistungsabfall, Schlafstörungen sowie die Unfähigkeit abzuschalten und aufzutanken, ignorieren Sie. Bedienen Sie sich bei auftretenden Zipperlein großzügig an Produkten der Pharmaindustrie. - Nur nicht wütend werden
Kümmern Sie sich auf keinen Fall um Ihre Gefühle. Wut, Ärger, Ängste, das Gefühl von Überforderung oder ständiger Gehetztheit ignorieren Sie, ebenso wie das Schwinden Ihrer Lebensfreude, zunehmende Teilnahmslosigkeit, Sinn- und Lustlosigkeit und Depressionen. Bei zunehmendem Leeregefühl lösen Sie sich von der Idee, dass Arbeit Sie innerlich erfüllen könnte. - Immer schön fleißig sein!
Ineffektiv verbrachte Arbeitszeit kompensieren Sie mit Mehrarbeit. Das vertreibt auch die Langeweile am Wochenende und im Urlaub. Sind Sie Freiberufler, verzichten Sie ganz auf Urlaub. Sie müssen die Aufträge abarbeiten, oder das Geld reicht nicht. Machen Sie möglichst mehrere Dinge gleichzeitig, um Zeit zu sparen. Sagen Sie "Ja" zu jeder neuen Aufgabe. - Verzweifelt? Sie doch nicht!
Machen Sie sich unentbehrlich. Auch wenn es unmöglich ist und Sie der Verzweiflung nah sind, versuchen Sie, möglichst alle Erwartungen von Teamkollegen, Auftraggebern, internen und externen Projektmitarbeitern, Vorgesetzten und Ihrer Familie und Freunde zu erfüllen. Am besten übertreffen Sie noch deren Erwartungen. - Warnsignale?
Verwerfen Sie sämtliche Warnungen, Vorhaltungen, Vorwürfe, Bitten und Sorgen von Ihrer/m Partner/in, Angehörigen oder Kollegen. Ihre Ausreden sollten wasserdicht sein: "Nach diesem Projekt wird alles besser" oder "nur noch dieser Fall". Oder: "Die Umstände/der Vorgesetzte/der Auftraggeber zwingen mich dazu, ich habe keine Wahl." - Im Hamsterrad
Hämmern Sie sich und anderen ein, es geht nicht anders, in Ihrem Job jedenfalls nicht. Wenden Sie sich dennoch auf Drängen anderer an eine professionelle Beratung, werden Sie es sicher verstehen, die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme unter Beweis zu stellen. - Nur nicht drüber reden!
Gehen Sie auf Distanz zu Menschen, zu denen erstaunlicherweise noch Kontakt besteht. Als Eigenbrötler können Sie leichter die Fassade wahren. Sagen Sie niemandem, wie es Ihnen geht. Gemeinsame Mittags- und Kaffeepausen mit Kollegen sind zeitlich unmöglich, die Zeit mit der Familie wird immer knapper. - Jede Minute zählt - zum Arbeiten.
Streichen Sie sämtliche Hobbys einschließlich sportlicher Betätigungen. Falls Sie doch noch ein Privatleben haben, gestalten Sie die Terminplanung zwischen ihm und dem Job noch engmaschiger, nutzen Sie jede freie Minute. - Gesund leben? Maßlos überschätzt!
Gesundes Essen wird als Zeitkiller abgeschafft zugunsten von Fast Food und belegten Semmeln. Damit Sie überhaupt entspannen und von Ängsten und anderen unangenehmen Gefühlen abschalten können, gönnen Sie sich regelmäßig abends etwas Alkoholisches. - Perfektion, Perfektion, Perfektion
Seien Sie nie zufrieden mit Ihren Ergebnissen, auch wenn andere begeistert sind. Sie sind Ihr strengster Kritiker. Weniger als perfekt kommt für Sie nicht in Frage. Stecken Sie sich zusätzliche Ziele. Erlernen Sie eine Fremdsprache, machen Sie eine berufsbegleitende Ausbildung und laufen Sie Marathon. - Probleme? Ach was!
Lösen Sie keine Konflikte und Probleme grundlegend. Schieben Sie alles vor sich her, damit der Berg von Unerledigtem immer höher wird. - Ein Ausstieg ist möglich!
Falls Sie sich in unserem Text zu stark wiedererkennen, steiegen Sie aus! Je früher, desto besser. Gehen Sie zum Arzt, ändern Sie Ihre Lebensweise, solange es noch früh genug ist. Das raten Ihnen Ruth Hellmich, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin von CoachingTraining.
Gunther Olesch, Geschäftsführer für Personal, Informatik und Recht bei Phoenix Contact in Blomberg, gehört dazu: "Unsere Vision ist es, die Mitarbeiter ganzheitlich zu betrachten. Wenn Menschen Probleme haben, leidet auch ihre Leistungsfähigkeit." Der Elektrotechnik-Riese aus Ostwestfalen-Lippe beschäftigt dort rund 4000 Mitarbeiter, weitere 2450 arbeiten in anderen Niederlassungen in Deutschland, und weltweit summiert sich die Zahl der Beschäftigten auf 12.700.
Dass Olesch seine Sorgfaltspflicht gegenüber den Angestellten ernst nimmt, zeigt das vielfältige Engagement des Unternehmens. Neben Sportprogrammen, Ernährungsberatung oder Gesundheits-Checks gibt es seit gut einem Jahr ein weiteres Angebot. Mitarbeiter am Firmensitz in Blomberg können sich bei persönlichen Problemen an eine ausgebildete Sozialpädagogin wenden. Die angestellte Fachkraft residiert in einem etwas abseits gelegenen Büro, so dass die Ratsuchenden dort mehr oder weniger ungesehen anklopfen können. Selbstverständlich unterliegen die Gespräche der Schweigepflicht.
Die Idee dahinter ist klar formuliert. Hilfesuchende können zunächst 45-minütige Beratungstermine buchen, doch danach sollen sie gemeinsam mit der Sozialpädagogin die weiteren Schritte planen und sich an externe Experten wenden. "Allein im ersten Jahr fanden 1600 Gespräche statt. Wir freuen uns natürlich, dass das Angebot so gut angenommen wird", erzählt Olesch. Doch auch gegenüber dem Personalchef gilt die Schweigepflicht der Sozialpädagogin. Ob Schulden, Scheidung, Drogenprobleme der Kinder oder Abhängigkeiten von Alkohol oder Schmerzmitteln vorliegen, erfährt in der Personalabteilung niemand. Lediglich eine anonymisierte Statistik gibt einen Überblick. Daraus ist ersichtlich, dass etwa gleich viele Männer wie Frauen Rat suchen - und zwar unabhängig von Alter oder Ausbildung.
Mitarbeiter bringen Probleme mit
Auch für Andreas Krause ist klar, dass sich schwierige Situationen im Privatleben negativ auf die Arbeit auswirken können. "Wir pflegen eine Kultur der Achtsamkeit", sagt der Leiter Personalservice bei der Nürnberger Datev. Er ist verantwortlich für die Beratung der Mitarbeiter. Wegsehen sei der falsche Weg: "Wir haben eine Reihe von Instrumenten entwickelt. In der Personalabteilung gibt es Ansprechpartner für Führungskräfte und Mitarbeiter, an die sich Betroffene mit Fragen zu Beruf und Familie wenden können."
Das Durchschnittsalter der Datev-Mitarbeiter liegt bei 45 Jahren. Kein Wunder also, wenn das Thema der Elternpflege und -betreuung immer mehr Beschäftigte betrifft. Auch in Nürnberg übernimmt die Personalabteilung die ersten Gespräche. Ein Kooperationsvertrag mit dem Unternehmen Familienservice ermöglicht es den Betroffenen, sich weitere Unterstützung zu holen. Außerdem entschloss sich Datev, eine kollegiale Beratung ins Leben zu rufen. "Mitarbeiter geben ihre Erfahrungen an Kollegen weiter. Im Intranet stellen sie sich kurz vor und ermuntern Betroffene, sich an sie zu wenden", erläutert Krause. Auch für Führungskräfte existieren solche Angebote. Auf diese Weise entsteht ein persönlicher Austausch, der zwar die professionelle Beratung nicht ersetzen, jedoch die emotionale Belastung abfedern kann.