Die smarten Karten werden neu gemischt

Hersteller in "Sandwich-Position"

23.03.2001
Trotz guter Geschäfte gibt es neue Herausforderungen für die Smartcard-Produzenten: Sie müssen sich in Systemintegratoren verwandeln und nach dem Handy-Boom neue Märkte erschließen. Von Stefan Krempl*

Grund zum Klagen haben die Hersteller von Smartcards eigentlich nicht. Die Chipkartenindustrie gilt nach wie vor als Zukunftsbranche. So schätzen die Marktforscher von Frost & Sullivan für dieses Jahr den weltweiten Markt für Speicher- und Prozessorkarten auf rund 2,8 Milliarden Dollar. Das wären 34 Prozent Umsatzzuwachs im Vergleich zu 2000. Schon im vergangenen Jahr, als viele Stars der IT-Wirtschaft bereits den Gürtel enger schnallen mussten, glänzten die Großen der Branche mit erstaunlichen Wachstumsraten. So konnte Gemplus, der weltweit größte Kartenproduzent, seine Verkaufszahlen allein in den ersten drei Quartalen 2000 um 62 Prozent auf 820 Millionen Euro steigern. Im Dezember gelang dem französischen Unternehmen sogar der erfolgreiche Einstieg an den Wachstumsbörsen in Paris und New York.

Mehr als zufriedenstellende Ergebnisse konnten auch Schlumberger aus Frankreich und Giesecke & Devrient aus München vorweisen. Der deutsche Banknotendrucker etwa, bei dem die Kartenproduktion inzwischen rund 40 Prozent des Geschäfts ausmacht, setzte 2000 erstmals mehr als zwei Milliarden Mark um. Das entspricht einer Steigerung von mehr als 236 Millionen Mark gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Mitarbeiter stieg um rund 850 auf 6000.

Doch nach einem Jahr der Superlative für die Chipkartenindustrie sehen sich die Hersteller dazu gezwungen, ihr Geschäft neu auszurichten. Chipfabrikanten auf der einen und Softwarehäuser, Banken oder Mobilfunkbetreiber auf der anderen Seite der Wertschöpfungskette schicken sich an, ihr Business in die Hand zu nehmen. "Wir sind in einer Sandwich-Position", beschreibt Jürgen Nehls, einer der Geschäftsführer von Giesecke & Devrient, die unbequeme Lage.

Doch gerade der Bereich mobile Kommunikation kann sich auch als Testfall für die Adaptionsfähigkeit der Kartenproduzenten erweisen. Denn längst geht es angesichts der hohen Erwartungen rund um den M-Commerce nicht mehr allein um das Verkaufen von Chips, sondern um den Marktzugang.

Am Mobilfunk scheiden sich die GeisterNetzbetreiber, die in die UMTS-Technologie Milliarden investiert haben, kommen in Versuchung, die Kartenhersteller zu überspringen und Chips fürs Handy direkt bei der Halbleiterindustrie zu ordern. Die wiederum wartet nur darauf, "Kartenproduzenten aus dem Spiel zu drängen", ärgerte sich Marc Lassus, Chairman von Gemplus. Eine vertrackte Situation, da SIM-Karten zwar nur 20 bis 25 Prozent des Volumens, aber zwei Drittel des Umsatzes der Fabrikanten ausmachen.

Das Geschäft mit den SIM-Karten ist besonders heiß umkämpft, da die Nutzeridentifikation fürs Mobilfunknetz sich auch problemlos mit einer digitalen Signatur verbinden lässt. Dahinter steht die Idee, über das Handy von vornherein ein vertrauenswürdigeres Sicherheitssystem für den Online-Handel aufzubauen, als es das Internet bietet: Um dem im Februar überarbeiteten deutschen Signaturgesetz zu entsprechen und Haftungsschäden auszuschließen, speichern Trustcenter "elektronische Unterschriften" in der Regel auf einer Chipkarte. Doch die meisten PCs sind nach wie vor nicht mit einem Lesegerät versehen. "Mit dem Mobiltelefon hat dagegen jeder Nutzer schon einen Smartcard-Reader in der Tasche", erläutert Stefan Engel-Flechsig, Geschäftsführer der Düsseldorfer Sonera SmartTrust GmbH.

Schwenk zum Security-DienstleisterDie Netzbetreiber sehen nun ihre einmalige Chance, sich mit Hilfe der Chiphersteller als Security-Dienstleister zu empfehlen und das Geschäft mit dem drahtlos shoppenden Kunden zu bestimmen. Doch die Banken haben sich mit der Gründung des Mosign-Konsortiums für die Abwicklung von Authentifizierungsdiensten übers Handy ebenfalls in Position gebracht. In einem Pilotprojekt mit Nokia will das skandinavische Bankenkonglomerat Nordea, die frühere Merita Nordbanken, zudem eine Lösung mit gleich zwei SIM-Karten testen, die den Finanzdienstleistern das Transaktionsgeschäft sichern und die Mobilfunkbetreiber ins Leere laufen lassen soll. Der Clou: Die Smartcard, über die der M-Commerce laufen soll, würde die Bank, die zweite für die normale Netzeinwahl der Mobilfunkbetreiber kontrollieren.

Dahinter stecken "Sicherheitsgründe", versucht Bo Harald, Manager von Nordea, die Telekommunikations-Unternehmen zu beruhigen. Doch ob sich die Lösung mit zwei Handy-Chipkarten auf dem Markt durchsetzen wird, ist eher fraglich. Zumindest müssten die Banken den Nutzern die Zusatzkosten abnehmen oder ihn eventuell gleich ganz mit einem neuen Handy ausstatten.

"Verkaufsagenten der Halbleiterindustrie"Den Chipkartenherstellern bleibt angesichts der Marktveränderungen nichts weiter übrig, als sich in Service-Provider und Systemintegratoren rund um den E-Commerce zu verwandeln. "Unser Ziel ist es, unsere Position in der Wertschöpfungskette sicherer elektronischer Transaktionen weiter auszubauen", gibt Lassus die neue Linie von Gemplus bekannt. Nur Chips in Plastik einzubetten, ist auch für den G&D-Manager Nehls kein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell.

Den Vorteil der Kartenhersteller gegenüber den Chipfabrikanten sieht er vor allem im langjährigen Kontakt mit den Smartcards einsetzenden Branchen. "Wir waren schon immer die Verkaufsagenten der Halbleiterindustrie", so Nehls. Zu kämpfen gebe es dabei genug um Kapazitäten, Preise und Lieferzeiten. Bei der Entwicklung neuer Märkte sollten alle Beteiligten dagegen lieber zusammenhalten.

Einen viel größeren Feind als in der Zulieferindustrie sieht der G&D-Geschäftsführer in Microsoft. Bisher hat sich der Softwaremarktführer aus Redmond eher zögerlich an das Design von Windows für Smartcards gemacht. "Wenn Microsoft bessere Programme entwickeln würde, wäre Gemplus sofort aus dem Rennen", glaubt Karsten Ottenberg, Vice President bei Philips Semiconductors. Und mit der Sicherheit wäre es auch vorbei, wenn es nur noch eine Standardlösung gäbe, reiht sich Ulrich Hamann, Leiter der Security-Abteilung bei Infineon, unter die Bedenkenträger ein.

Die Zukunft der Chipkartenhersteller hängt allerdings nicht nur davon ab, ob sich der Bereich Netzwerksicherheit für sie zum großen Geschäft entwickelt. Angesichts der sich langsam abkühlenden Handy-Euphorie müssen sie sich weltweit neue Massenmärkte erschließen, etwa in den Bereichen Finanzdienstleistung, Transport, E-Government oder Loyalitätsprogramme.

Diversifizierung ist notwendigSoll das Geschäft mit den Smartcards weiter Wachstumsraten von über 30 Prozent aufweisen, reicht die Produktion von SIM-Karten deshalb nicht aus. Ob sich der GSM-Karten-Erfolg für die Branche auf anderer Ebene wiederholen lässt, steht allerdings in den Sternen. Ein großes Fragezeichen rankt sich beispielsweise um den wichtigen nordamerikanischen Markt. Bisher verkauft beispielsweise Gemplus in den USA genauso viele Smartcards wie in Finnland. Billige Telekommunikations-Möglichkeiten, die eine Online-Authentifizierung von Kunden begünstigen, eine größere Vielfalt von Playern im Banken- und TK-Sektor, Bedenken um die Privatsphäre sowie der "Not-Invented-Here"-Effekt haben jedenfalls jenseits des Atlantiks den Herstellern von Speicher- und intelligenten Prozessorkarten bisher das Leben schwer gemacht.

Doch um das Einkaufen nicht nur im Netz sicherer zu machen, stellt zumindest die Kreditkartenindustrie in den USA langsam auf Chipkarten um. American Express hat 1999 mit ihrer Blue Card den Anfang gemacht und davon bislang rund drei Millionen Stück in Umlauf gebracht. Drei Visa-Anbieter haben ihren Karten im Herbst ebenfalls Chips implantiert. Neben Bezahlfunktionen interessieren sich die Amerikaner dabei vor allem um die Bündelungsmöglichkeiten mit Rabattprogrammen.

Für Europa und Asien hofft die Halbleiter- und Chipkartenindustrie derweil vor allem auf den öffentlichen Personennahverkehr. Maurizio Felici, Leiter der Smartcard-Abteilung von ST Microelectronics (STM), schätzt, dass sich die Produktion kontaktloser Chipkarten, die der Passagier nur an einem Lesegerät vorbeiführen muss, in diesem Jahr auf 30 Millionen Stück verdoppeln wird. Die größten Abnehmer dürften die Verkehrsgesellschaften in Tokio und Taipeh sein, die sechs beziehungsweise drei Millionen Kunden an Chipkarten gewöhnen wollen. In Europa will beispielsweise die Stadt Paris Inhabern von Jahreskarten für Metro und Schnellbahnen in diesem Jahr eine Million kontaktlose Karten ausgeben. Um die Kartenangebote für ausreichend viele Kunden attraktiv zu machen, muss die Branche aber zunächst die Probleme mit der Interoperabilität in den Griff bekommen. "Insellösungen", kritisiert Horst Henn, Spezialist für Smartcards bei IBM Deutschland, verhinderten bisher den Durchbruch neuer Killer-Applikationen. Kein Verbraucher wolle sich fünf oder sechs unterschiedliche Chipkarten in die Tasche stecken.

Ein weiterer Stolperstein für die Branche ist die künftige Verfügbarkeit von Chips. So beklagen sich die Kartenhersteller immer wieder darüber, dass sie viel mehr ihrer Mini-Rechner verkaufen könnten, wenn die Halbleiterindustrie mehr Chips liefern würde. Die Chipproduzenten, die laut STM-Manager Maurizio mindestens anderthalb Jahre für den Bau einer neuen Fabrik veranschlagen müssen, schimpfen dagegen auf die viel zu niedrigen Bedarfsprognosen ihrer Abnehmer. Den Boom im Handy-Bereich, der 1999 einsetzte, habe tatsächlich niemand vorhersehen können, rechtfertigt Nehls von Giesecke & Devrient die große Fehleinschätzung der vergangenen Jahre.

*Stefan Krempl ist freier Journalist in Berlinc

Der MarktProfitiert hat die gesamte Branche im vergangenen Jahr vor allem vom Handy-Boom. In jedem der weltweit verkauften 400 Millionen GSM-Telefone steckt eine Smartcard zur Identifizierung des Netzteilnehmers. Auch amerikanische Mobilfunkbetreiber, die nicht GSM verwenden, setzen für diesen Zweck verstärkt Siliziumchips ein. Dataquest schätzt daher, dass in diesem Jahr gut 30 Prozent mehr SIM-Karten (Subscriber Identification Module) verkauft werden: 417 Millionen statt rund 317 Millionen 2000. Die Prognose freut die Hersteller besonders, da sie wegen der großen Nachfrage für eine Handy-Karte etwa zehn Mark pro Stück verlangen können. Das ist fast doppelt so viel, wie im Finanzsektor für Smartcards gezahlt wird.

Linkswww.gemplus.com

www.schlumberger.com

www.gieseckedevrient.com