IT-Rezentralisierung/Über Server-based Computing zurück zum Zentrum

Gute Karten für Thin Clients

30.06.2000
Mittlerweile mehren sich die Zeichen, dass Thin Clients im Markt allmählich Fuß fassen. Sie könnten als Empfänger von Terminal-Services die Sünden wieder ausgleichen, die in den Unternehmen durch eine allzu extensive Verteilung von Daten und Anwendungen zu einer unübersichtlichen und teuren IT geführt haben. Denn die Strategie heißt hier Rezentralisierung von Daten und Anwendungen. Server-based Computing mit Thin Clients als willige Ausführungsgehilfen, meint Hadi Stiel*, passt hier genau ins Bild.

Dass Thin Clients in den Unternehmen langsam Oberwasser bekommen, hat viele Gründe. Einer davon: "Thin Clients haben mittlerweile eine Intelligenz erreicht, die es dem Unternehmen erlauben, dem Benutzer eine angemessene Mischung von Terminal-Services und klassischen PC-Anwendungen einzuräumen", so Jörg Hoffmann, Consultant bei Sornet in Bad Camberg. Damit, so der Berater, wäre auch das Problem weitgehend vom Tisch, dass sich die Benutzer vor ihren Thin Clients nur als dumme Erfüllungsgehilfen fühlen müssten. Denn die neue Generation der Thin-Client-Software kann auf herkömmlichen PCs laufen, die sich damit parallel im Thin-Client- und PC-Modus eingesetzen lassen.

Das ist bei Windows 2000 nicht anders als bei Citrix, einer Erweiterung zu den Terminal-Servern und den Terminal-Services der Windows-2000-Welt. "Diese duale Arbeitsweise erlaubt es dem Unternehmen, Applikationen nach Maß zu platzieren, denn Standardanwendungen wie Microsoft Office, Internet-Browser, Host-Zugriff und SAP-GUI (Graphical User Interface) laufen auf den Terminal-Servern. Der Client erhält in diesem Fall das Verarbeitungsergebnis in Form von Bildschirminhalten und Druckjobs," erklärt Hoffmann. Anwendungen mit eher persönlichen oder Spezialistenzuschnitt bleiben weiterhin vor Ort auf den Clients. Zudem hat Hoffmann in der Praxis festgestellt, dass die neuen Thin Clients wesentlich robuster sind als es die schlanken PCs der jüngsten Vergangenheit waren.

Daneben hat Load-Balancing, die Methode, Arbeitslasten gleichmäßig auf die einzelnen Terminal-Server innerhalb der Server-Farm zu verteilen, mittlerweile einen professionellen Reifegrad erreicht. Der Vorteil: ungebremste Terminal-Services und stets ein Ersatz-Server, der im Notfall die Arbeitslast übernehmen kann. Das wiederum erhöht die Verfügbarkeit der zentral gehaltenen Anwendungen.

Doch in puncto Load-Balancing ist nicht alles Gold, was glänzt, meint Hoffmann. "Während Windows NT Arbeitslasten auf Netzwerkebene nach dem Zufallsprinzip verteilt und Windows 2000 (ab der Version Advanced Server) zumindest kalkuliertes Load-Balancing auf Netzwerkebene bietet, brilliert Citrix in voller funktionaler Breite mit professionellen Load-Balancing-Mechanismen. Es vollzieht für eine gleichmäßige Arbeitslastverteilung auf die Server nicht nur den Verkehr auf den Verbindungen nach, sondern zudem die Auslastung der CPUs, Arbeitsspeicher sowie Swap-Dateien für die zwischenzeitliche Auslagerung von Verarbeitungsaufgaben."

Parallel werden die Anzahl der Sitzungen pro Server registriert. Selbst manuelle Server-Simulationen sind mittels Citrix möglich, um das Verteilungsszenario von außen zu beeinflussen, beispielsweise um einen Server zur Anwendungskonfiguration im laufenden Betrieb aus der Farm zu nehmen. Für Hoffmann steht deshalb außer Frage: "Unternehmen sollten für ein ungebremstes und hoch verfügbares Server-based Computing die Windows-2000-Terminal-Services unbedingt durch Citrix erweitern."

Auch für Server-Farmen, die mit unterschiedlichen Betriebssystemen arbeiten, gibt es mittlerweile eine Load-Balancing-Lösung. "Dann können zwischen Server-Cluster und Thin Clients dazwischengeschaltete Switch-Systeme, so genannte Layer-7-Switch-Systeme, die gleichmäßige Lastverteilung übernehmen", betont Mathias Hein, Netzwerkspezialist und freier Berater in Tavern bei Trier. Alle großen Netzwerkhersteller hätten solche Komponenten im Programm. Hein: "So konzipiert, greifen die Thin Clients nur noch auf einen virtuellen Terminal-Service zu. Die eigentlichen physikalischen Server mit ihren IP-Adressen verstecken sich in diesem Fall hinter einer im Switch definierten logischen IP-Adresse." Diese balancierende Vermittlerrolle kann der externe Anwendungs-Switch, außer im Zusammenspiel mit dem zentralen Terminal-Server-Pool, auch für FTP-(File-Transfer-Protocol-), DNS-(Domain-Name-Services-) und Radius-(Remote-Authentication-Dial-in-User-Service-)Server sowie für redundante Firewall-Systeme übernehmen.

Mit leistungsfähigen Komprimierungsmechanismen verliert zudem das Argument, Terminal-Services für entfernte Lokationen wären zu gebührenaufwändig, allmählich an Bedeutung. Sowohl RDP (Remote Desktop Protocol) innerhalb der Windows-2000-Welt als auch die Protokollintelligenz innerhalb der ICA (Independent Computing Architecture) bei Citrix senken den Bandbreitenbedarf für Bildschirm- und Druckinhalte im Schnitt auf sparsame 15 Kbit/s. "So komprimiert, können beispielsweise über eine ISDN-Verbindung (64 Kbit/s) vier Sitzungen parallel abgewickelt werden", beschreibt Hein. Deutlich sinkende Gebühren für Fernverbindungen lieferten den Firmen ein zusätzliches Kostenargument, verstärkt über Server-based Computing und damit eine weitere Rezentralisierung ihrer DV nachzudenken. Zumal Terminal-Services mit dem Transfer von ausschließlich Bildschirm- und Druckinhalten für das Unternehmen einen positiven Nebeneffekt haben: Anwendungsdaten könnten von Hackern und Industriespionen erst gar nicht an den Verbindungstellen abgegriffen werden.

Ein dicker Pluspunkt zentralisierter Terminal-Services ist vor allem der erheblich reduzierte Betriebsaufwand, was zu beträchtlichen Kosteneinsparungen führt. Das ist aber nur einer der Vorteile: Mit der zentralistischen Server- und Anwendungsarchitektur ist das Netz weniger komplex und lässt sich ohne großen Aufwand zentral administrieren. Parallel erlaubt es dieser übersichtliche Aufbau, Applikationen zu bereinigen und damit die Programmvielfalt in den Unternehmen sehr gering zu halten. Daneben kann sich das Unternehmen mit dieser Verarbeitungsphilosophie aus dem Zwang befreien, mit Programm-Upgrades auf neue, leistungsfähigere Rechner umzusteigen. Das Resultat: Der alte PC kann investitionssicher länger genutzt werden.

Dieser gelungene Zentralismus habe jedoch noch weitere Vorteile, erläutert Heiko Rössel, Geschäftsführer des Ingenieurbüros Röwaplan im schwäbischen Abtsgmünd: "Der zentrale Terminal-Server-Pool vereinfacht das Back-up und Restore von Daten. Zudem steigt die Verfügbarkeit des Netzes, da der zentrale Server-Cluster mittlerweile hoch verfügbar - gleich einer RZ-Umgebung - ausgelegt werden kann." Neue Softwareversionen müssten nur auf den Terminal-Server aufgespielt werden und stünden damit allen berechtigten Benutzern zur Verfügung. Diese Vorgehensweise erspart dem Anwender nicht nur den kosten- und zeitaufwändigen Initial-Rollout von Betriebssystem-Umgebungen auf die Clients. Auch die immer noch komplexe und nachbearbeitungsbedürftige Softwareverteilung wird dadurch obsolet. Für die Zeit der Anwendungskonfiguration auf dem Server lässt sich dieser Rechner einfach aus dem Cluster nehmen. Zwischenzeitlich verteilt Load-Balancing die Verarbeitungslast gleichmäßig auf die verbliebenen Rechner. Der Benutzer bemerkt davon in der Regel nichts.

Wie effizient neue Anwendungen im Terminal-Service-Modus freigeschaltet und alte gesperrt werden können, das wiederum fällt bei Windows 2000 und Citrix höchst unterschiedlich aus, weiß Insider Hoffmann. "So muss der Administrator im Microsoft-RDP-Client definieren, welche Applikationen gestartet werden können. Die Folge: Ändert sich das Portfolio an Terminal-Service-Anwendungen, muss der Verwalter via Remote-Verbindung erneut die Einstellungen an den betroffenen Thin Clients vornehmen." Wesentlich besser sei diese Funktionalität bei Citrix gelöst. Hoffmann: "Hier werden die Anwendungen ausschließlich auf dem zentralen Server freigeschaltet (Published Applications) beziehungsweise gesperrt. Alle Veränderungen werden dann beim Start des Thin Client dynamisch von Citrix nachvollzogen." Die Buttons für die gerade gesperrten Anwendungen verschwinden damit automatisch vom Bildschirm.

Auf die Infrastruktur kommt es anEines steht außer Frage: Server-based Computing lebt in einem hohen Maß von einem funktionierenden Netzwerk, weil die Benutzer ohne verlässliche Terminal-Services nur noch auf ihre lokalen Anwendungen zugreifen können. Effizientes Load-Balancing ist für ein hoch verfügbares Netz aber nur die halbe Miete. Zudem will eine hinreichende Systemredundanz berücksichtigt werden. Eine ausreichend große Anzahl an Terminal-Servern und ein durchsatzstarker Backbone zählen dazu ebenso wie redundante Switch-Systeme inklusive zweifachem Layer-7-Switch. Darüber hinaus sollte die Terminal-Server-Farm in der Nähe der Datenbanken und Datei-Server platziert sein, um eine schnelle Verarbeitung zu garantieren. Last, but not least müssen die Terminal-Server hinreichende Leistungsstärke (genügend Prozessorleistung, Arbeitsspeicher und Swap-Kapazität) bieten, um neben ihrem eigentlichen Dienst, Terminal-Services vorzuhalten, die Datenbankanfragen zügig abarbeiten zu können.

Die Rezentralisierung der Anwendungen und Daten, dort, wo sie möglich ist, zahlt sich auf jeden Fall aus: "Je nach Anwendungsspektrum und Verteilungsgrad des Netzes können darüber Kosteneinsparungen zwischen 30 und 60 Prozent erreicht werden", animiert Sornet-Berater Hoffmann die Anwender, verstärkt über Server-based Computing nachzudenken. In Unternehmen mit wenig Spezialistensoftware ließen sich auf diese Weise immerhin rund 60 bis 70 Prozent der Anwendungen wirtschaftlich rezentralisieren.

Einschränkungen bleiben dennoch. Der Bildschirmaufbau an den Thin Clients braucht Zeit. Damit scheiden Echtzeitanwendungen für den Terminal-Service-Einsatz von vornherein aus. Vor allem das RDP-Protokoll der Windows-2000-Welt erweist sich in diesem Zusammenhang als lahme Ente, weil es jeweils den kompletten Bildschirminhalt und nicht wie das ICA-Protokoll bei Citrix auch nur Teilfenster übertragen und aufbauen kann. Zudem passen komplexe grafische Anwendungen und aufwändige Druckjobs aufgrund der zu hohen Verkehrslasten auf den Verbindungen immer noch nicht ins zentralistische Konzept des Server-based Computing. Sie gehen, trotz leistungsfähiger Komprimierung und stark fallenden Übertragungsgebühren, immer noch ins Geld. Bei Grafikanwendungen muss der Anwender zudem einen weiteren Nachteil in Kauf nehmen, befürchtet Hoffmann: "Sowohl bei Windows 2000 als auch innerhalb der Citrix-Welt können nicht mehr als 256 Farben am Thin Client dargestellt werden." Citrix habe zumindest angekündigt, noch im Verlauf dieses Jahres eine höhere Farbauflösung zu unterstützen. Ein Makel solcher Terminal-Services sei ferner das knappe Angebot an Priorisierungslösungen, um Bildschirm- und Druckinhalten unterschiedliche Präferenzen zuzuweisen. "Datamizer" von Symplex Communications sei eines der wenigen Produkte, die diese Priorisierung beherrschen.

*Hadi Stiel ist freier Journalist in Bad Camberg.