Die zehn KI-Gebote

GenAI – wie sich Arbeitsmärkte darauf einstellen sollten

10.11.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Ein internationales Expertenteam hat die Köpfe zusammengesteckt, um herauszufinden, wie KI die Arbeitswelt von morgen verändern wird. Herausgekommen ist ein Positionspapier mit zehn Handlungsanweisungen.
Noch ist nicht abzusehen, wie die neue KI-Generation den weltweiten Arbeitsmarkt prägen wird. Umso wichtiger sei es, bereits jetzt, die Weichen zu stellen und Leitplanken vorzugeben, ermahnen Experten die Politik.
Noch ist nicht abzusehen, wie die neue KI-Generation den weltweiten Arbeitsmarkt prägen wird. Umso wichtiger sei es, bereits jetzt, die Weichen zu stellen und Leitplanken vorzugeben, ermahnen Experten die Politik.
Foto: HBRH - shutterstock.com

KI-Anwendungen durchdringen unseren Arbeitsalltag immer tiefer. Die Tools übernehmen bereits Aufgaben, die sich komplett automatisieren lassen, oder sie unterstützen Menschen dabei, ihre Arbeit effizienter zu bewältigen. Doch damit ist das Bild, wie KI unsere künftige Arbeitswelt beeinflussen wird, noch lange nicht komplett. Zwischen den gerade beschriebenen Szenarien, wird es künftig viele weitere Einsatzfacetten geben. Außerdem dürften im Dunstkreis der kommenden KI-Praxis etliche Berufsbilder entstehen, die sich heute noch gar nicht absehen lassen. "Es stecken große Unbekannte hinter dem AI-Faktor X", stellt denn auch das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) fest. Das mache vielen Menschen im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft Angst.

Im Rahmen eines Arbeitstreffens der Global Partnership on Artificial Intelligence (GPAI) im kanadischen Montreal haben 16 internationale Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Politik ein Positionspapier ausgearbeitet, das sich mit den Auswirkungen von KI auf die Arbeitswelt von morgen befasst. Das Gremium spricht von erheblichen Konsequenzen, die KI-Technik weltweit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Wirtschaft sowie die Gesellschaft im Allgemeinen haben wird. Gerade GenAI werde wegen seiner Fähigkeiten, menschenähnliche Ergebnisse beispielsweise in Bereichen Sprache und Text zu erzeugen, viel weitreichendere Folgen haben als frühere KI-Entwicklungen.

GenAI - die große Unbekannte für den Arbeitsmarkt

Welche Folgen das sein werden, sei derzeit noch die große Unbekannte, räumen die Forscher ein. Davon betroffen könnten rund neun Prozent der arbeitenden Bevölkerung auf der Welt sein - etwa 281 Millionen Menschen. Angesichts dieser Dimensionen würden die Auswirkungen der neuen KI-Techniken auf den globalen Arbeitsmarkt in den öffentlichen Diskussionen allerdings viel zu wenig berücksichtigt, kritisiert das Expertengremium.

Jugend befürchtet Jobverlust: Generation Z hat Angst vor KI

Mitgearbeitet an dem "Policy Brief: Generative AI, Jobs, and Policy Response" hat auch Matthias Peissner, Leiter der Arbeitsgruppe Future of Work am Fraunhofer IAO. "Es geht nicht darum, bestimmte Berufe zu erhalten oder zu schützen, sondern die Rolle des Menschen mit seinen Kompetenzen in der zukünftigen Arbeitswelt neu zu definieren und sinnvoll zu gestalten", sagt Peissner. Dass KI unsere Arbeitswelt bereits verändert und weiter verändern wird, lasse sich nicht bestreiten. Umso wichtiger sei es, die Technologie und ihre Auswirkungen jetzt zu verstehen. Es gelte den KI-Einsatz so zu gestalten, dass die Technik nicht nur finanzielle Vorteile für Unternehmen bringt, sondern auch positive Effekte für die Menschen sowie unsere Gesellschaft insgesamt erzielt.

KI-Hausaufgaben für die Politik

Um zwischen all den Unsicherheiten navigieren und sicherstellen zu können, dass die Vorteile von GenAI allen zugutekommen, schreibt das 16-köpfige Expertengremium den politischen Entscheidungsträgern folgende zehn Handlungsempfehlungen ins Hausaufgabenheft:

  1. Es müssten Forschungsmittel bereitgestellt werden, um die Auswirkungen von KI auf die Beschäftigung besser abschätzen und gegebenenfalls steuern zu können. Die Experten plädieren dafür, innovative Forschungsformate zu finanzieren wie zum Beispiel Sandboxes oder Living Labs, also Räume, in denen frei experimentiert werden könne. Dabei gehe es nicht nur darum, den Status quo zu untersuchen, sondern neue Strategien für einen wünschenswerten KI-Einsatz am Arbeitsplatz der Zukunft zu entwickeln. Dafür müsse auch die Forschung zwischen akademischen Instituten, der Industrie und Bildungseinrichtungen intensiviert und mehr gefördert werden. Insbesondere kleine und mittelgroße sollten dabei im Fokus stehen. Diese Betriebe müssten mehr unterstützt werden, KI-Potenziale für ihre Produkte, Services und Prozesse zu erschließen.

  2. In den einzelnen Ländern sollten nationale Beratungsgremien eingerichtet werden. Deren vorrangige Aufgabe müsse sein, mehr Transparenz bei der Einführung von KI zu schaffen und Arbeitnehmer sowie Arbeitnehmervertreter mit Informationen über den KI-Einsatz auf dem Laufenden zu halten. Dadurch könne gewährleistet werden, dass alle beteiligten Parteien in Unternehmen in KI-Fragen mit gehört würden und letzten Endes auch mit bestimmen könnten. Betriebsräte müssten die Möglichkeit bekommen, sich mit externen Fachleuten zu beraten, um ihr Recht auf Mitbestimmung bei der Einführung von KI-Anwendungen wahrzunehmen.

  3. Die einzelnen Länder sollten Anreize für die KI-Investitionen schaffen, beispielsweise durch Steuervorteile, wenn Betriebe neue Jobs durch den KI-Einsatz schaffen. Solche Anreize würden zudem auch kleineren Firmen helfen, KI-Anwendungen einzusetzen. Zuschüsse für Weiterbildung könnten dafür sorgen, dass sich mehr Mitarbeitende im Umgang mit KI-Tools weiter qualifizieren und mit diesen Skills Zugang zu neuen Arbeitsplätzen erhielten.

  4. Die Unterstützung von Trainingsprogrammen zielt in eine ähnliche Richtung. Entsprechende Programme müssten beschleunigt aufgesetzt und angeboten werden. Adressaten seien Menschen, deren Jobs durch KI automatisiert würden und die für neue Jobrollen ausgebildet werden müssten. Dafür gelte es, entsprechend finanzielle Mittel bereitzustellen.

  5. Mehr Geld für Bildung und die Beseitigung von Bildungsschranken, lautet eine weitere Forderung der Experten. Es brauche mehr Initiativen, um einer größeren Zahl von Menschen höhere Bildungsgrade zu ermöglichen. Dafür müssten vielerorts strukturelle Barrieren überwunden werden, die bislang breiten Bevölkerungsschichten den Zugang zu Bildung verwehrten.

  6. Die Auswirkungen von neuen KI-Techniken wie GenAI müssten genau beobachtet werden. Arbeitgeber einer bestimmten Größe sollten verpflichtet werden, die Auswirkungen der KI-Integration in ihren Unternehmen zu überwachen und darüber zu berichten. Dabei müssten Aspekte wie Personalbestand, Qualifikationsanforderungen und Umschulungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Entsprechend sollten diese Unternehmen verpflichtet werden, detaillierte Anpassungspläne vorzulegen, um die durch KI beeinflusste Dynamik am Arbeitsplatz im Blick zu behalten.

  7. Länder sollten eine Art Sicherungs-Fonds einrichten, der die Folgen der durch KI verursachten Disruptionen auf dem Arbeitsmarkt abfedern könnte. Die Experten stellen sich dabei offenbar eine Public Private Partnership (PPP) vor, in die Unternehmen wie auch der Staat mit einzahlen. Die Beiträge der Betriebe würden auf Basis der durch KI verloren gegangenen Arbeitsplätze berechnet. Aus Sicht der Forscher sind die politisch Verantwortlichen gefordert, ein Rahmenwerk zu schaffen, um die Mitarbeitenden aufzufangen, die durch KI ihren Job verlieren. An dieser Stelle brauche es finanzielle Unterstützung und schnelle Hilfe bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen. Dafür brauche es Strategien, um diese Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt zu steuern - vor allem, indem die Anpassungsfähigkeiten der Menschen auf dem Arbeitsmarkt gestärkt würden.

  8. Mehr Sensibilisierung und Awareness: In der öffentlichen Wahrnehmung sollten überall auf der Welt Kampagnen aufgesetzt werden, um die Vorteile der KI-Unterstützung für die Menschen im Job hervorzuheben. Dabei sollte in erster Linie betont werden, dass die Kontrolle über die Technik sowie die letzten Entscheidungen immer den Menschen vorbehalten blieben.

  9. Um die KI-verursachten Veränderungen auf den Arbeitsmärkten möglichst ohne Unruhen durchzustehen, braucht es Widerstandsfähigkeit und Flexibilität. Dafür müssten die einzelnen Länder klare Pfade für die Ausbildung und berufliche Aufstiegsmöglichkeiten entwickeln. Die entsprechenden Strategien sollten flächendeckend ausgebreitet werden, um den privaten wie den öffentlichen Sektor möglichst umfassend zu unterstützen. Der Zugang zu passenden und attraktiven Jobs sollte möglichst rasch und einfach möglich sein.

  10. Um die Veränderungen auf den verschiedenen Arbeitsmärkten richtig bewerten zu könnten, müssten entsprechende Benchmarks entwickelt werden. Es brauche allgemeingültige Maßstäbe für menschenwürdige Arbeit mit speziellem Fokus auf das KI-Umfeld. Unternehmen in globalen Produktionsnetzwerken sollten dazu ermutigt werden, Verträge mit Zulieferern abzuschließen, die hohe Fairwork-Werte vorweisen könnten. Damit soll beispielsweise der Ausbeutung sogenannter Clickworker im globalen Süden durch die großen Tech-Konzerne vorgebeugt werden.

Hinter all diesen Empfehlungen bleibt allerdings immer noch ein Fragezeichen. "Wir sind uns bewusst, dass die vorliegende Publikation sich an aktuellen Berufsbildern orientiert", räumt Fraunhofer-Experte Peissner ein. Doch diese änderten sich momentan laufend.