Fremde Workstation mit vertrautem Look and feel Bei der BHF-Bank wechselt mit der Hardware nicht die Software

20.05.1994

Von Robert Harnischmacher

Im Bereich Handel der BHF-Bank soll der individuell auf einen Mitarbeiter zugeschnittene Anwendungsmix nicht an einen bestimmten physikalischen Arbeitsplatz gebunden sein. Deshalb wird zur Zeit das bislang Hardware-orientierte Management von 130 Clients und rund 30 Servern auf die Pflege von Benutzerprofilen umgestellt, die zentral verwaltet werden. Damit laesst sich sogar die Huerde unterschiedlicher Plattformen nehmen.

Ehrfurcht vor rekordverdaechtigen MIPS-Zahlen kennen die DV-Manager der BHF-Bank nicht. "Im Wertpapiergeschaeft kann man einen Rechner nicht ueberdimensionieren", urteilt Gerhard Oehne, Leiter Systemtechnik und Datenverarbeitung bei der Frankfurter Privatbank. Nachdem der Umstieg von den alten Video-Switching- Systemen, bei denen die Boerseninformationen per Fernsehsignal am Haendlerplatz eintrafen, auf moderne Workstations weitgehend vollzogen ist, wachsen die Hardware-Anforderungen steil an.

Rechnerleistung wird immer voll ausgereizt

Verantwortlich hierfuer sind sowohl die Informationsdienste von Reuters und Telerate, die im Echtzeitmodus Kursdaten in das dezentrale Rechnernetz der BHF-Bank spielen, wie auch die komplexen Berechnungsmodelle, mit deren Hilfe die Wertpapierhaendler ihre Kauf- und Verkaufstrategien entwickeln.

Nicht selten verwenden die Analysespezialisten derart umfangreiche mathematische Formeln, dass sie ihre ueber 100 MIPS schnellen "Sparcstation-10"-Arbeitsplatzsysteme voll beanspruchen.

Da das Investment-Banking in der BHF-Bank zu den wichtigsten Umsatztraegern gehoert, verfuegen die Haendler stets ueber die jeweils schnellsten verfuegbaren Front-end-Workstations. Das erweiterte Leistungsspektrum nutzen die Wertpapierhaendler fuer den Ausbau ihrer Analyseverfahren. "Die Anforderungen erhoehen sich laufend und fuehren immer wieder zu temporaeren Ueberlasten", so DV-Chef Oehne.

Was die Weiterentwicklung der installierten Rechnerbasis angeht, wird eine zweigleisige Strategie verfolgt. Fuer die Unix-Clients betraegt der Abschreibungszyklus hoechstens drei Jahre. Dies sehen die DV-Manager der BHF-Bank angesichts der rasanten technologischen Entwicklung als den maximal vertretbaren Zeitraum an.

Bei zusaetzlichem Rechnerbedarf innerhalb der BHF-Bank werden die bestehenden Rechner an andere Abteilungen weitergegeben und durch neuere Modelle ersetzt. Auf der Server-Seite setzt der Abteilungsdirektor hingegen auf die Skalierbarkeit der Multiprozessortechnologie. "Bei Datenbank-Servern lohnt es sich, die Leistung durch weitere Prozessor-Boards zu erhoehen, wenn die Anforderungen steigen", meint Oehne.

Die groesste Herausforderung in bezug auf die Administration der Workstations und der Daten-Server liegt im System- und Netz- Management. Da das Handelsraumsystem vollstaendig dezentralisiert ist und damit ohne Host als Master-Plattform auskommt, muessen saemtliche Sicherheits- und Datenintegritaetsfunktionen innerhalb der dezentralen Umgebung abgedeckt werden. Verschaerft wird diese Problematik durch die grosse Vielfalt von Betriebssystemen, die ueber das Ethernet-LAN zusammenspielen. Hinzu kommt, dass jeder Haendler entsprechend seinen Aufgaben im Renten-, Devisen- oder Aktienhandel einen individuell konfigurierten Anwendungsmix benoetigt.

Den Hauptstrang der Applikationsumgebung im Wertpapierhandel bildet ein Informationssystem von Micrognosis, das die von Reuters und Telerate uebermittelten Rohdaten des Reuters Selection Feed (RSF) sowie des gleichartigen Telerate-Filters in den Daten- Servern (Sparcserver 10) aufbereitet. Die strukturierten Kurs- und Indexdaten werden vom Haendler entsprechend seinem Aufgabengebiet selektiert und in selbstdefinierte Windows gestellt. Betreut ein Haendler beispielsweise nur Automobilaktien, so kann er saemtliche Kfz-Werte, die bei Reuters oder Telerate auf unterschiedlichen Seiten stehen, auf dem Monitor in einem Fenster zusammenfassen.

Vor wenigen Wochen hat die BHF-Bank ein Programmpaket eingefuehrt, das aus dem aktuellen Datenstrom von Reuters und Telerate alle wichtigen Informationen herausliest und in einem eigenentwickelten Datenbank-Management-System von Ingres ablegt. Auf die Historientabellen greifen die BHF-Wertpapierhaendler via Ethernet zu, um Kursverlaeufe in laengeren Zeitreihen zu analysieren sowie Prognosen zu entwickeln. Das Programm laeuft auf einer VMS- Maschine. Die Kommunikation der Systeme erfolgt sowohl ueber die DNI-Schnittstelle (Decnet-Interconnect) von Sun wie auch ueber das TCP/IP-Interface von Digital. Weitere Kommunikations-Schnitt- stellen bestehen zu den PCs und zum Host.

Verkabelung: Moderne Konzepte braucht die Bank

Diese Vielfalt ergibt sich zwangslaeufig aus den Anforderungen der Bank, auf die oft sehr schnell und flexibel reagiert werden muss. Da konventionelle Kabeltechnologien durch die Vernetzung zwischen den Unix- und VMS-basierten Haendlerplaetzen sowie den zahlreichen Fremdsystemen an ihre Leistungsgrenze stossen, entschlossen sich die BHF-Verantwortlichen, das gesamte Netz auf moderne Verkabelungskonzepte umzustellen.

Im neuen Rentenhandelsraum wurde bereits ein 100-Mbit-CDDI- Backbone mit Twisted-Pair-Verkabelung gelegt; in den uebrigen Raeumen wird fuer eine Uebergangszeit noch koaxial weitergearbeitet. Mit dem CDDI-Netz treten fuer laengere Zeit keine Durchsatzprobleme auf, hofft Oehne.

Von hoechster Prioritaet ist fuer ihn die Implementierung eines uebergreifenden System-Managements. Die besondere Schwierigkeit liegt fuer den BHF-Manager in den unterschiedlichen Konfigurations- und Nutzungsmerkmalen der Workstations im Wertpapierbereich. Mit einem neuen System-Management-Werkzeug will der Abteilungsdirektor sowohl die Clients wie auch die Server ueber ein einziges Kernsystem zentral verwalten. "Erst wenn wir nur noch die Benutzerprofile statt der Hardware verwalten, haben wir wirklich eine Chance, plattformunabhaengig zu sein", skizziert Oehne seinen Ansatz.

Um dieses Konzept zu verwirklichen, haben die BHF-Verantwortlichen einen dedizierten Unix-Server eingerichtet, der alle Workstation- bezogenen Benutzerprofile (Konfigurationsdaten, Zugriffsberechtigungen, Informationen ueber Programme und Daten) vorhaelt und online aktualisiert. Die eigentlichen Daten und Programme aller Clients werden auf zwei nachgeordneten Network File Servern (NFS) vorgehalten. Jede Workstation erhaelt von diesen Servern das Gesamtspektrum aller zur Verfuegung stehenden Anwendungen einmalig heruntergeladen - die heutigen Einstandspreise fuer Plattenspeicher lassen solche Vorgehensweisen dem Unternehmen zufolge wirtschaftlich zu.

Dem Haendler werden nach der Systemanmeldung entsprechend den Vorgaben seines Benutzerprofils nur die Anwendungen eingeblendet, die fuer ihn vorgesehen sind. Aenderungen, zu denen der Haendler berechtigt ist, werden nachts automatisch zwischen dem Client und den Servern abgeglichen. Der Haendler ist nun in der Lage, in Minutenschnelle beispielsweise beim Ausfall seiner Workstation oder im Vertretungsfall am System eines Kollegen in seiner vertrauten Umgebung weiterzuarbeiten. Sein persoenlicher digitaler Arbeitsplatz wird anhand des im Master-Server hinterlegten Benutzerprofils automatisch aus den Daten der NFS-Rechner auf die neue Workstation uebertragen. "Der Haendler soll an jeder Workstation genau das vorfinden, was er benoetigt, bis hin zu seiner persoenlichen Funktionstastenbelegung", erlaeutert Oehne.

Auch kontinuierlich anfallende Routineaufgaben wie das Einspielen neuer Programme und Releases sowie das Einrichten von Testumgebungen sollen zukuenftig automatisiert erfolgen. Darueber hinaus koennen, etwa um extreme Systemengpaesse durch Benutzeraktionen von vornherein auszuschliessen, einschraenkende Parametervorgaben elektronisch an die einzelnen Arbeitsplaetze verteilt werden.

Die Offenheit der Unix-Welt will der Leiter der Systemtechnik konsequent ausnutzen. So soll der Arbeitsplatzwechsel sogar ueber Herstellergrenzen hinweg bruchlos erfolgen, also etwa von den Solaris-basierten Workstations von Sun Microsystems zu den DEC- Ultrix- oder Alpha-Rechnern und umgekehrt.

Angesichts der Verhaeltnisse im Wertpapierhandel, wo in wenigen Minuten Millionenbetraege umgesetzt werden, ist diese Herstelleroffenheit von zentraler Bedeutung. Faellt etwa das Rechnernetz des gesamten Aktienhandelsraums (30 Sparcstation-10- Systeme) aus, kann das Geschaeft in kuerzester Zeit an den DEC- Ultrix-Maschinen im Rentenhandel fortgesetzt werden und umgekehrt. "Frueher konnten wir das nur durch extrem personalintensives Trouble-Shooting gewaehrleisten, indem wir anfingen, Dateien hin- und herzukopieren", kennzeichnet Oehne den Generationswechsel in den Handelsraeumen der BHF-Bank.

Die Systemverfuegbarkeit und die Ausfallsicherheit der dezentralen Unix-Systeme stellen fuer die DV-Spezialisten ein absolutes Muss dar. Weil mit den Abteilungs-Servern bereits die oberste Ebene der Zentralisierung erreicht ist, muessen die operativen Daten, ohne die der Haendler seinen Geschaeften nicht nachgehen kann, sicher verteilt werden. Aus diesem Grund laesst DV-Manager Oehne bei Bedarf neue Sparcserver im Wertpapierhandel mit der High-Availability- Option ausruesten. Dazu verfuegen jeweils zwei parallelgeschaltete Sun-Server ueber gespiegelte Platten. Faellt eine Maschine aus, uebernimmt der Nachbarrechner ihre Arbeit.

Doch auch diese Sicherungsmassnahme weist noch eine Schwachstelle auf, da das Kabel zwischen beiden Rechnern maximal 25 Meter lang sein darf. Workstations muessen Oehne zufolge jedoch ueber mehrere Kilometer auseinander stehen und trotzdem produktiv sein koennen. Diesbezueglich fehle es in der gesamten Unix-Welt noch an einem ausgereiften Angebot. Doch bis das neue Rechenzentrum der BHF-Bank im sieben Kilometer entfernten Offenbacher Gewerbegebiet fertig ist, erwartet der DV-Verantwortliche auch hier eine praxistaugliche Loesung.

Die Unix-Spezialisten der BHF-Bank sehen die Vielfalt der von ihnen eingesetzten Rechnersysteme weniger als Bedrohung denn als Chance. Sie bietet ihnen grosse planerische Freiheit, die auf der Gewissheit beruht, dass die Technik sich in aehnlicher Geschwindigkeit entwickelt wie das Wachstum der betrieblichen Anforderungen. Dass damit das Zeitalter einfacher Grossrechnerkonzepte endgueltig vorbei ist, schreckt Oehne nicht: "Wir muessen lernen, heterogene Systeme stark automatisiert zu managen. Nur so koennen die Produktionskosten niedrig gehalten sowie eine maximale Flexibilitaet im Bereich der Systeme und Anwendungen geboten werden."