Arbeiten in neuen Organisationsformen

Flash Organizations sind projektbezogene Firmen auf Zeit

16.06.2020
Von 
Stephan Grabmeier ist Speaker, Berater und Autor. Er beschäftigt sich in seiner Arbeit in, an und mit Unternehmen mit den Themen Innovation, Digitalisierung und New Work. Er bewegt sich als Mentor und Business Angel für Start Ups sowie Creative Consultant in klassischen Unternehmen zwischen beiden Welten und versteht sich als Brückenbauer der Kulturen und Arbeitsweisen.
Flash Organizations verändern die Arbeitswelt, indem sie als kurzfristige Arbeitgeber auftreten. Sie unterscheiden sich von Crowdworking durch ihre ausgereiften Organisationsstrukturen und versetzen sie in die Lage, deutlich komplexere Projekte anzugehen.

In der digitalen Welt stehen Unternehmen vor zahlreichen Herausforderungen, die sich mit den alten Herangehensweisen zunehmend schwerer lösen lassen. So erhöht sich die Komplexität der Aufgaben - umfassende Expertise ist notwendig und sie muss innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung stehen. Denn nicht nur die Komplexität steigt, sondern auch die Geschwindigkeit der Märkte.

Neue Plattformen sollen helfen, die Teamzusammensetzung zu verbessern.
Neue Plattformen sollen helfen, die Teamzusammensetzung zu verbessern.
Foto: Freedom my wing - shutterstock.com

Gleichzeitig fordern die neuen Themen die althergebrachten hierarchischen und funktional differenzierten Organisationsstrukturen in den meisten Unternehmen heraus: Denn es handelt sich um Querschnittsthemen, die nicht in Abteilungssilos behandelt werden können. Stattdessen sind fluide und flexible Teams notwendig. Hinzu kommt der steigende Innovationsdruck: Die Abstände, in denen neue Produkte und Services auf den Markt kommen, werden immer kürzer. Damit erhöht sich auch der Konkurrenzdruck.

Um mit diesen Herausforderungen umzugehen und passende Lösungen zu finden, eignen sich Flash Organizations - schnelle Unternehmen, die zeitlich begrenzt und projektbezogen komplexe Aufgabenstellungen bewältigen.

Flash Organizations: zeitlich begrenzte Unternehmen

2017 entwickelten die Stanford-Professoren Melissa Valentin und Michael Bernstein das Modell der Flash Organizations (Hier können Sie sich das Paper zu Flash Organizations downloaden). Mittlerweile werden diese auch hier immer bekannter und finden ihren Weg in die unternehmerische Praxis. Denn mithilfe von Flash Organizations lassen sich, anders als beispielsweise durch Crowdsourcing, auch komplexe Projektvorhaben mit offenem Ausgang schnell und effektiv umsetzen.

Flash Organizations zeichnen sich durch folgende Kriterien aus:

  • zeitliche Begrenzung auf die Projektdauer

  • hierarchische Strukturierung

  • definierte Rollen mit zugewiesenen Kompetenzen

  • IT-gestützte "Personal"-Auswahl aus einem bestimmten Pool

  • hohe Geschwindigkeit

  • ausschließlich virtuell

Von Crowdsourcing zu Flash Organizations

Mit dem Ausbau des Web 2.0 entstand vor circa zehn Jahren das Crowdsourcing. Hierbei werden Teilaufgaben aus Projekten an "die Crowd" vergeben. Heute ist Crowdsourcing ein vielfach genutztes Mittel, das Unternehmen für eine Vielzahl von Aufgaben nutzen - von stupiden Tätigkeiten wie dem Einlesen von Texten für die Schulung von Spracherkennungssoftware bis hin zu komplizierten Entwicklungstätigkeiten von Software. Mit zunehmender Nutzung sind jedoch auch die Grenzen von Crowdsourcing zutage getreten. Denn damit Projekte - egal ob simpel oder komplex - mittels Crowdsourcing umsetzbar sind, müssen sie

  • in klar definierte Teilaufgaben mit fixer Zielsetzung aufgeteilt werden.

  • als Gesamtprojekt vorab detailliert geplant werden.

  • die Aufgaben so definieren, dass Crowdworker unabhängig voneinander arbeiten können.

Diese Grenzen heben Flash Organizations weitgehend auf, indem sie digitalisierte Crowdsourcing-Techniken mit temporären Organisationsstrukturen ergänzen. Dadurch wird ein integriertes Vorgehen bei der Planung und Koordination der Aufgaben gefördert. Durch die höhere Komplexität der Flash Organization an sich kann sie auch komplexere Aufgaben bewältigen. Sie können nicht nur Projekte und Prozesse bearbeiten, die vorher komplett ausdefiniert wurden, sondern auch während des Projektes auf Marktveränderungen oder Kundenwünsche reagieren und das Projekt und seine Aufgaben entsprechend anpassen. Flash Organizations sind agil und modifizieren sowohl die Aufgaben als auch die Teamzusammensetzung je nach Bedarf.

Mitarbeiter profitieren

Nicht nur hinsichtlich der möglichen Aufgabenstellungen, sondern auch in sozialer Hinsicht sind Crowdworking und die vermittelnden Plattformen immer wieder Kritik ausgesetzt. Die häufigsten Kritikpunkte sind Unsicherheit und Entfremdung. Denn Online-Arbeitsmärkte sind auf kurzfristige Tätigkeiten spezialisiert und fördern damit das schnelle Hire-and-Fire. Damit steigt massiv der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig gibt es keine soziale Absicherung, ebenso wenig wie geregelte Verfahren bei Streitigkeiten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Denn ersterer tritt häufig gar nicht in Erscheinung - und die Plattformen sehen sich lediglich als Vermittler und damit nicht verantwortlich für vertragliche Details.

Zudem führt die Zergliederung von Projekten in kleine Teilaufgaben dazu, dass der Einzelne gar nicht das (angestrebte) Endergebnis im Blick hat - dieses oftmals nicht einmal kennt. Dadurch geht der übergeordnete Sinn verloren und man empfindet keine Erfüllung in der Arbeit. Diesen Problemen versuchen Flash Organizations entgegenzuwirken, wie die folgenden Beispiele zeigen. Auch Gewerkschaften begrüßen deshalb prinzipiell den Trend der Flash Organizations.

Motivation in der digitalen Arbeitswelt

Die Unternehmensberatung COMATCH nutzt Flash Organizations bereits seit einiger Zeit bei der Vermittlung von Beratern auf bestimmte Projekte. Ihr Ziel ist es, die digitale Arbeitswelt stärker auf den Menschen auszurichten; aber auch, das Arbeiten effektiver und effizienter zu machen. Denn was Menschen motiviert und zur Identifikation mit ihrer Aufgabe beiträgt, führt auch zu besseren Ergebnissen. Miteinander vertraute Teams arbeiten demnach besser zusammen als kurzfristig zusammengewürfelte. Durch Flash Organizations lassen sich zudem eine längerfristige Karriereplanung, Weiterbildung und Kompetenzentwicklung sowie ein stabiles Einkommen realisieren. Durch die höhere Komplexität der Aufgaben, die Zusammenarbeit und Kommunikation in Teams und den Gesamtblick auf das Projekt erhöht sich auch die Identifikation mit den Aufgaben und damit die Erfüllung, die Menschen in ihrer Arbeit finden.

Optimale Teams bilden

Als Online-Marktplatz für Berater und ihre Klienten sieht COMATCH-Geschäftsführer und Co-Founder Christoph Hardt die Vorteile von Flash Organizations in zwei Aspekten: zum einen in der Geschwindigkeit, in der sich Teams bilden lassen und zum anderen in der hohen Passgenauigkeit, mit der Projektmitarbeiter ausgewählt werden können.

Dafür wählt COMATCH aus einem Pool qualifizierter Experten, die in einer Datenbank erfasst sind. In großen Unternehmen können das beispielsweise alle Mitarbeiter sein; es können aber auch Plattformen wie clickworker.de diesen Pool bilden. Auch externe Experten können enthalten sein und werden je nach Bedarf an Board geholt. So entstehen virtuell zusammengesetzte und globale Teams.

Der Algorithmus zur Mitarbeiterauswahl wird von COMATCH stetig weiterentwickelt. Dafür hat das Unternehmen rund 6.000 Experten interviewt, detaillierte Performance-Daten zu ihnen abgelegt und sie bewertet. So kann der Algorithmus in sehr kurzer Zeit 20 bis 25 Experten auswählen, die die notwendigen Kompetenzen für die Aufgabe besitzen. Die finale Entscheidung liegt jedoch beim Menschen, der qualitätssichernd die Endauswahl trifft.

Neben der hohen Passgenauigkeit ist auch die hohe Geschwindigkeit ein entscheidender Vorteil. Statt mehrerer Wochen Vorlaufzeit von Projekten ist die Personalauswahl dank guter Datenbasis und treffsicherer Algorithmen in wenigen Stunden zu schaffen.

Interne Projektmarktplätze

Bei der Telekom beispielsweise arbeitet man mit internen Projektmarktplätzen. Dort nutzt man seit vielen Jahren Pool Organizations. In Pools von mehreren hundert Leuten befinden sich dabei Telekommitarbeiter mit verschiedenen Kompetenzen, aus denen die Projektleitung die am besten geeigneten auswählt. Bislang ist das Auswahlverfahren jedoch noch nicht digitalisiert.

Um auf die oben genannten sozialen Probleme in der digitalen Arbeitswelt zu reagieren, von denen besonders häufig kreative Berufe betroffen sind, gründete Bastian Unterberg die Crowdtalent Plattform Jovoto. Diese gibt Designern und anderen Kreativen die Möglichkeit, frei und projektbezogen zu arbeiten - und trotzdem gewisse Sicherheiten zu erreichen. Bastian Unterberg sieht Jovoto als Talent Assessment Center zum Experimentieren und Weiterentwickeln der eigenen Fähigkeiten. Innerhalb der Plattform hat man auch die Möglichkeit zum Aufstieg: Wer gute Leistung liefert, bekommt Zugang zu größeren Projekten und Unternehmen, höhere Tagessätze und garantierte Bezahlung. Die Plattformarbeiter profitieren damit von Weiterentwicklung, Karriereplanung und mehr Sicherheit.

Die Auftraggeber wiederum profitieren von einer höheren Trefferquote, wenn es darum geht, den Richtigen für ein Projekt zu finden. Denn dezidierte Bewertungssysteme machen die Fähigkeiten und Kompetenzen der Freelancer auf der Plattform transparent.

GigWork: eine Art Airbnb für Jobs

Um den Pflegenotstand zu bekämpfen, gründete Nicolai Kranz die Plattform GigWork, die er als "eine Art Airbnb für Jobs" beschreibt. Viele Krankenhäuser, Pflegeheime und Reha-Einrichtungen nutzen Zeitarbeitsfirmen um ihren Personalbedarf zu decken. Seit Januar ist als Alternative die Plattform GigWork online und vermittelt befristete Festanstellungen im Pflege- und Gesundheitsbereich.

Wer auf welche Stelle passt, das beurteilen auch bei GigWork Algorithmen, die mit den Wünschen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gefüttert werden. Ist ein Match gefunden, dann schließen die beiden Parteien den Vertrag direkt miteinander ab - ohne monatlich eine Zeitarbeitsfirma mitzufinanzieren. Damit fördert GigWork die Entstehung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse; das sehen auch Gewerkschaften positiv.

Eine Plattform wie GigWork verbessert auch die Verhandlungsposition der Fachkräfte in puncto Gehaltsvorstellung, sie erhalten mehr Freiraum bei der Bestimmung ihrer Arbeitszeiten und Aufgaben. Gerade in Pflege- und Gesundheitsberufen ist eine hohe intrinsische Motivation nötig. Mehr Selbstbestimmtheit und Wertschätzung verbessern die Bedingungen für alle Seiten.

Die Zukunft von HR ist digital

HR wird zunehmend digital; vor allem die Auswahlprozesse für Projekte oder Stellen sind zunehmend IT-gestützt - sie sind schneller, effizienter und effektiver. Die finale Entscheidung bleibt jedoch (noch) beim Menschen. Aber je länger Algorithmen existieren und je mehr Daten sie zur Verfügung haben, desto höher wird ihre Treffsicherheit. Flash Organizations sind eine konsequente Weiterentwicklung von Crowdworking und der nächste Schritt in der Plattformarbeit. Personaler und HR-Abteilungen ebenso wie Organisationsstrukturen müssen sich auf diese neue digitale Arbeitswelt einstellen - und auch die Politik ist gefordert, die Realität in den rechtlichen Rahmenbedingungen abzubilden, so dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer verlässliche Spielregeln bekommen.