Fahnen im Wind

24.05.1996

Christoph Witte

Wer heutzutage Hardware verkauft, hat einen schweren Job. Maschinen mit leistungsfähigeren Prozessoren, Haupt- und Massenspeichern anzubieten, reicht schon lange nicht mehr aus, um die inzwischen gut ausgestatteten Unternehmen vom Erwerb zusätzlicher Rechnerkapazitäten zu überzeugen. Daher suchen viele Hersteller verzweifelt nach Argumenten, die dem Einsatz neuer Maschinen Sinn verleihen. Wie sonst ist es zu erklären, daß fast die gesamte Branche panikartig auf den Windows-NT-Zug aufspringt?

Beispiele für Anbieter, die aus dem Unix-Lager kommen und jetzt NT favorisieren oder zumindest gleichberechtigt verkaufen, gibt es genug: Digital, HP, IBM, SNI, Amdahl, aber auch Spezialanbieter wie Stratus (siehe Seite 33) und Tandem setzen heute auf Microsofts Betriebssystem und zum Teil auf die Prozessoren des Monopolisten Intel. Weder in der Position noch in der Lage, mit eigener Technologie einen Trend zu kreieren, folgen sie den Marktführern - so wie es die Softwarebranche vorgemacht hat, die aufgrund ihrer Windows-Erfahrungen bereits früh damit begann, Applikationen, Tools und systemnahe Programme ebenfalls auf NT abzustellen. Microsoft selbst hat mit der NT-Vermarktung lediglich einen Stein losgetreten, zur Lawine gerät das Ganze erst durch die Angst der Konkurrenz, möglicherweise einen Trend zu verschlafen und den Anschluß zu verpassen.

In der Hoffnung, die Zahl der installierten Maschinen zu erhöhen, haben die Hardwarehersteller für NT-basierte Rechner zunächst das untere Marktsegment ins Visier genommen. Dort arbeiten die Anwender bisher mit PCs und PC-Netzen und sind auf Microsoft-Produkte fixiert. Ihnen scheint NT die logische Wahl, wenn es um das Rückgrat der künftigen Unternehmens-DV geht. Solange sie sich ausschließlich in der Microsoft-Welt bewegen - Windows und -Applikationen auf der Client-Seite sowie NT und Back Office im Server-Bereich - stellt sich der Ausbau der eigenen IT denn auch als relativ einfaches Unterfangen dar. Erst wenn es um das Managen heterogener Netze, Skalierbarkeit und Plattformunabhängigkeit geht, sprechen die Argumente für Unix.

Microsoft interessiert sich jedoch nicht allein für die Upsizer - die Hardwarebranche wird es gerne hören. Die angekündigte Cluster-Technologie "Wolfpack", mit der sich NT auch auf Rechnern mit mehr als vier Prozessoren einsetzen läßt, weist ebenso in die Richtung Corporate-IT wie der Deal mit Tandem. Das geschlossene Abkommen sieht unter anderem die Portierung der fehlertoleranten Datenbank Nonstop-SQL auf NT vor.

Microsoft schickt sich an, gemeinsam mit Intel den Takt zu schlagen, nach dem die gesamte Branche tanzt. Das Wintel-Kartell gibt nicht nur Richtung und Tempo der Entwicklung an, sondern auch die Preise vor. Das hatten wir bereits. In den Jahrzehnten, in denen die IBM den DV-Markt monopolisierte, konnten sich neben der /370-Welt nur wenige preiswertere und effizientere Lösungen durchsetzen. Das sollten nicht nur die Hersteller berücksichtigen, sondern auch die Anwender, denen nach der Gefangenschaft in der proprietären Mainframe-Welt die Abhängigkeit von einem anderen Oligopol drohen könnte.