Weitere Rückschläge für 80860-CPU

Erste PCs mit P5-Chip sollen in diesem Herbst vorgestellt werden

03.07.1992

MÜNCHEN (CW) - PC-Anwender, die viel mit rechnen- und grafikaufwendigen Anwendungen wie Tabellenkalkulationen oder DTP- und CAD-Programmen arbeiten, können schon mal anfangen, sich auf Intels Nachfolger für den 80486-Prozessor einzustellen. In einer Presseerklärung gab die Intel Corp. jetzt bekannt, daß ihre Kunden in den kommenden Monaten Gelegenheit haben würden, Rechner mit dem bislang nur unter dem Decknamen "P5" geführten Chip zu entwickeln und zu testen. Schon auf der Comdex-Messe im Herbst würden PC-Hersteller die ersten Rechner mit der neuen CPU vorstellen - vom Laptop bis zum Server.

Mit dem P5 ist erstmals wieder ein echter Leistungszuwachs für den PC in Sicht, seit Intel 1989 den 80486 vorgestellt hat. 100 MIPS soll das neue mikroelektronische Muskelpaket laut Hersteller erreichen, das ist mehr als doppelt soviel wie die derzeitige Top-CPU, ein mit 50 Megahertz getakteter 486er, der 41 MIPS bewältigt. Damit werden die zukünftigen Spitzen-PCs fast so fix kalkulieren wie RISC-CPUs (Reduced Instruction Set Computer), die zum Beispiel Suns Sparc antreiben. Tatsächlich behauptet die Intel Corp., daß der 80386 ihr letzter reiner CISC-Chip (Complex Instruction Set Computer) gewesen sei. Schon der 486er nutze teilweise die RISC-Technologie, und der P5 werde sogar, "über das klassische RISC-Konzept hinausgehen".

Zum Teil schöpft der P5 seine Kraft aus dem superskalaren Aufbau. Superskalar heißt: Der Chip vermag mehr als einen Befehl pro Arbeitstakt zu bewältigen. Suns Supersparc-Chip absolviert zum Beispiel durchschnittlich anderthalb Befehle, pro Zyklus. Herkömmliche Rechenwerke brauchen dagegen einen, oft aber mehrere System zyklen, um einen Befehl zu bearbeiten. Doch für hohe Leistung sorgt auch die hohe Integrationsdichte: drei Millionen Transistoren versehen auf dem P5 ihren Dienst. während es beim 486er gerade einmal 1,2 Millionen waren.

Produktzyklus drastisch verkürzt

Die PC-Hersteller läßt der P5 aufatmen, hatte sich doch langsam das Gefühl eingestellt, der 80486-Nachfolger könnte erst kommen, wenn der PC-Markt schon mausetot ist. Doug Johns, Senior Vice-President bei der Compaq Computer Corp., erklärt beispielsweise: "Intel nimmt wieder Kurs auf Höchstleistungen." Sicher war der P5 ein wichtiger Grund für den zweitgrößten PC-Hersteller der Welt, aus der ACE-Initiative auszuscheiden. Denn wenn Intel eine CPU mit RISC-Rechenleistung anbieten kann, die gleich zeitig zu dem bisherigen Industriestandard kompatibel ist, warum sollen die Compaq-Manager dann noch nach den Mips-Prozessoren schielen?

Zumal weiterer Nachwuchs in der 80X86-Familie in Sicht ist: Schon 1993 könnte Intel der PC-Gemeinde das neue Prozessor-Kraftwerk P6 mit sieben Millionen Transistoren und 175 MIPS vorstellen, dessen Serienproduktion dann 1994 anlaufen würde. Und für Ende 1994 steht der P7 auf dem Programm, der mit 20 Millionen Transistoren rund 250 MIPS bewältigen soll. Möglicher Beginn der Massenfertigung: 1996.

Dieses Trommelfeuer neuer Produkte im jährlichen Takt hält Intel nur deshalb durch, weil das Unternehmen den Produktzyklus drastisch verkürzt hat. Begann früher die Arbeit an einem neuen Projekt erst, wenn das vorhergehende beendet war, so arbeiten die Intel-Ingenieure heute an zwei Konstruktionen zur gleichen Zeit.

Mit dem P5 will Intel-Chef Andrew Grove den Vorsprung vor Konkurrenten wie Advanced Micro Devices (AMD), Cyrix sowie Chips & Technologies (C&T) wieder vergrößern. Zwar beherrscht Intel den Markt der 32-Bit Prozessoren mit einem Anteil von 66 Prozent nach wie vor souverän. Doch haben die Wettbewerber mit Nachbauden von Intels 80386-Chip den Gewinnzuwachs des Unternehmens empfindlich gebremst: von 66 Prozent im Jahre 1990 über 26 Prozent 199l auf geschätzte fünf Prozent 1992.

Mit der Entwicklung und den Finanzen hat die Grove-Company also keine Probleme. Schwierig scheint aber die Taufe des P5 zu sein, denn wie der neue Prozessor heißen soll, weiß bei Intel noch niemand. Ein Angestellter des Unternehmens sagte, die Bezeichnungen "80586" und "P5" schieden aus, weil die Gerichtsprozesse der vergangenen Jahre gezeigt hätten, daß sich sowohl Kombinationen aus Ziffern als auch aus Ziffern und Buchstaben nicht als Markenzeichen schützen ließen.

Kraftvoll, aber kaum zu bändigen

Nicht ganz so rosig wie für den P5 sieht es für ein weniger bekanntes Mitglied der Intel-Prozessor-Familie, den 80860, aus. Gerade haben den leistungsstarken, aber glücklosen RISC-Prozessor zwei weitere Schicksalsschläge ereilt: Die Oki Electric Industry Corp. hat die Entwicklung von Rechnern mit dem Chip eingestellt, und die Alliant Computer Systems Corp., ein weiterer 860-Protagonist, sucht dringend nach neuen Geldquellen.

Schon vorher hat Intel mit dem 860 mehrmals Pech gehabt. Die Microsoft Corp. zum Beispiel hat laut Insider-Berichten geprüft, ob sie ihr neues Betriebssystem Windows NT auf den 80860 übertragen soll, sich dann aber dagegen entschieden. Zwar sollen die Microsoft-Ingenieure von dem Leistungsvermögen des Chips beeindruckt gewesen sein. Doch sie "wollten nicht die nächsten sechs Jahre damit verbringen, Assembler-Code zu schreiben", so einer der Programmierer. Bei Software-Autoren gilt der 80860 als schwierig zu programmierendes Rechenwerk.

Auch Intels Plan, die CPU als Grafikprozessor durchzusetzen, ist gescheitert. Als sich der Mißerfolg vor einiger Zeit abzeichnete, hatte das Unternehmen erklärt, daß es die Entwicklung von Grafikroutinen einstellt die anderen Herstellern ermöglichen sollten, die Leistung des Chips voll auszunutzen. Die bisher vorhandene Software ist nach Ansicht von Beobachtern "sehr unvollständig".

Einer der Gründe für das Ende der Software-Entwicklung war wohl, daß die forcierte Entwicklung des P5 viel von Intels Forschungs- und Entwicklungs-Ressourcen verschlungen hat, die sonst vielleicht dem 860 zugute gekommen wäre. Doch trotz aller dunklen Wolken will Intel den 80860 auch weiter verkaufen. Der "M15" genannte Nachfolger des Rechenwerkes soll ebenfalls wie geplant auf den Markt kommen.