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EON: Wie IBM seine PC-Division sanieren will

08.02.2000
Endgeräte als "Verlängerung" des Netzes

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - IBM hat gestern eine weitreichende neue Strategie angekündigt, die unter anderem dem defizitären PC-Bereich wieder auf die Sprünge helfen soll. Big Blue segelt künftig unter der Flagge "EON" (Edge of Network) und will Geräte produzieren, bei denen die Integration ins Netz im Vordergrund steht. Der eigentliche Markenname für die neuen Produkte steht allerdings noch aus und soll im Laufe dieses Monats verkündet werden.

Die gestrige Ankündigung stellt laut IBM nur den ersten Schritt der EON-Initiative dar, die auf mehrere Jahre angelegt ist und auch auf andere Unternehmensbereiche übergreifen soll. Laut Big Blue soll das neue Modell die Personal Systems Group (PSG) zum "Marktführer bei Endgeräten im neuen Jahrtausend" machen.

"Es handelt sich hier um eine umfassende Strategie und nicht um einen Kampf zwischen Network Computern und PCs", erklärte David McAughtry, Vice-President Marketing. "Es geht nicht um einen ´Heiligen Krieg´ der einen Architektur gegen die andere. Wir nutzen die ganze Bandbreite - Windows, Windows 2000, Linux, Windows CE. Darauf kommt es nicht an."

Die neuen EON-Geräte sollen vier herausragende Eigenschaften aufweisen - das jedenfalls hoffen Big Blues Marketing-Leute:

Sie sind für die Bedürfnisse des Endanwenders angepasst und optimiert;

sie sind "geschäftstauglich",

lassen sich daheim ebenso nutzen wie im Büro, und

sie sind "mühelos" zu bedienen.

Von der Konkurrenz, die mit ihren Produkten (Apples "iMac", Compaqs "iPaq", HPs "e-PC", AMDs "Easy-PC", Dells "Web-PC") prinzipiell die gleiche Richtung eingeschlagen hat, will sich Big Blue mit "End-to-end-Lösungen" vor allem durch Beratung und die Beteiligung kompetenter Partner absetzen. Die Kunden, so McAughtry, sollen künftig nicht einfach einen Desktop per se kaufen, sondern ein Endgerät, das speziell auf den Einsatz in einem größeren Netz oder mit einer speziellen Anwendung abgestimmt ist - selbstverständlich sollen auch letztere von IBM kommen. Auf diese Weise will man dem mörderischen Geschäft mit "niedrigen Margen, niedrigen Preisen und hohen Stückzahlen" entkommen.

EON nimmt Gestalt an

Unter anderem sind folgende Produkte vorgesehen, die im Zeitraum Ende April/Anfang Mai auf den Markt kommen sollen:

"Luxor": Ein All-in-one-Rechner mit Flat-Panel-Display und fünf USB-Ports für den Anschluss von Peripheriegeräten. Alle Daten des Benutzers werden auf einer Wechsel-Minifestplatte vom Typ "Microdrive 340" gespeichert, so dass verschiedene Anwender auf einem Gerät ihre individuelle Arbeitsumgebung vorfinden. Preis: Unter 2000 Dollar.

"Stardust": Ein ähnliches All-in-one-Konzept mit besonders kompaktem Gehäuse, allerdings ohne integrierten Bildschirm. Als Prozessoren sind alle Intel-Chips vom Celeron bis zum Pentium III sowie AMD-CPUs möglich. Stardust richtet sich vor allem an Unternehmenskunden, LC-Displays mit 15, 17 und 19 Zoll sind optional erhältlich. Preis: Ab 500 Dollar.

"iCruiser": Ein breitbandfähiges Web-Terminal, das unter einer Vielzahl von Linux-Varianten sowie als WBT (Windows Based Terminal) und mit Windows 2000 läuft. Es verfügt wie Luxor und Stardust über eine neuartige Tastatur mit acht Sondertasten, auf die Benutzer ihre bevorzugten Web-Seiten legen können. IBM will das Gerät nicht selbst, sondern über ISPs und Telcos vertreiben. Farbe und Form werden dabei nach den Wünschen des jeweiligen Vertriebspartners gestaltet. Miete für Benutzer: 25 bis 35 Dollar pro Monat - Breitband-Internet-Zugang inklusive.

"Portofino": Ein neues High-end-Notebook für die Nachfolge der bisherigen "Thinkpad-600"-Linie. Es soll gegenüber dem Vorgänger deutlich leichter ausfallen und ebenfalls über einen Microdrive-Steckplatz verfügen. Als Zubehör ist unter anderem eine Kamera geplant, die sich auf den Bildschirm aufstecken lässt.

Daneben soll die gesamte "Thinkpad"-Linie bereits im Laufe des zweiten Quartals komplett erneuert und auf EON-Kurs gebracht werden. Alle Modelle erhalten unter anderem einen speziellen "Thinkpad"-Knopf, der bei Bedarf mit Web-Seiten für Support oder Produkterweiterungen verbindet. "Wir tauschen die Consumer-Geräte komplett aus und gehen auch mit den Preisen herunter", kündigte Vice-President Rich McGee an. "Die neuen Thinkpads werden wettbewerbsfähiger - allerdings wollen wir kein billiger Jakob sein."

Im Laufe des Jahres soll im Rahmen der "Netfinity"-Familie von PC-Servern auch ein Web-Caching-Gerät erscheinen, mit dem IBM auf kleinere ISPs (Internet-Service-Provider) und ASPs (Application-Service-Provider) abzielt. Weitere Neuvorstellungen und Neuerungen sind in den Bereichen "Workpad" (IBMs Lizenzausgabe der "Palm"-PDAs = Personal Digital Assistants) und Bluetooth vorgesehen.

Schließlich findet auch der "Wearable PC" in der EON-Strategie den gebührenden Raum - und zwar überall dort, wo der Endanwender einerseits mobil sein und andererseits direkt auf die Leistung eines PCs zugreifen muss, ein Ingenieur bei der Flugzeugwartung beispielsweise. Der trägt in der Vision von IBM seinen Rechner künftig um den Hals, einen Tastatur-Handschuh an der einen und einen Maus-Handschuh an der anderen Hand und betrachtet die Ausgabe des Geräts auf einem Mini-Bildschirm, den er dank Headset stets vor Augen hat.